Vom Schaumburgergrund ins Lichtental. Gerhard Tötschinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Tötschinger
Издательство: Bookwire
Серия: Wiener Geschichten für Fortgeschrittene
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783903083196
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Hilfe, sondern auch der frühen Forschung nützte. Am 12. Februar 1404 fand im Heiligengeistspital die erste anatomische Sektion von Wien statt. Das war nicht nur wissenschaftlich eine Sensation, denn die Kirche hatte gegen solche Praxis massive Vorbehalte. Allerdings begann bald nach diesem Datum der Einfluss des Klerus zu schwinden.

      Die Reformation traf in Wien auf vorbereiteten Boden, auf Unzufriedenheit. Um 1520 gab es im Heiligengeistspital nicht einen einzigen Ordensbruder mehr, aus Rom reiste Dr. Jakob Nagel an, der Großmeister. Er setzte sich für Erhalt und Zukunft des Spitals und der Kirche ein, aber er konnte keine Wunder wirken. Und nur ein Wunder hätte im Herbst 1529 die Bauwerke außerhalb der Stadtmauern vor den osmanischen Horden retten können. Die Brandruinen wurden später nicht restauriert, auch die Heiligengeistmühle neben der Steinernen Brücke verfiel, obwohl sie bis zum Türkensturm die wichtigste Mühle Wiens gewesen war. Direkt an der Straße gelegen, kamen bei ihr die hoch beladenen Erntewagen von den Bauernhöfen und Gütern südlich von Wien an. Der Müllermeister hatte das Recht und die Pflicht, die Getreidelieferungen auf andere Mühlen der Stadt zu verteilen. Und weil er auch eine Bierausschankkonzession hatte, wird es dem Heiligengeistmüller nicht schlecht gegangen sein. Mit 1529 war diese goldene Zeit vorbei, die nahe Bärenmühle trat die Nachfolge an.

      À propos Mühle: Das älteste Haus nicht nur der Wieden, nein, von ganz Wien wird wohl die Heumühle sein. Der Mühlbach, er verlief als Seitenarm neben dem Wienfluss, versorgte die Mühlräder der Schleifmühle, der Bärenmühle und der Heiligengeistmühle und wurde ebenso von der Heumühle in Anspruch genommen.

      Diese wurde auch Steinmühle genannt, stand im Besitz des Wiener Bischofs und wurde wie der mächtige Laszlaturm und fast alle anderen Gebäude der Siedlung ein Opfer der Türken. Sie wurde wiedererbaut, wenn auch verändert, das Mühlrad klapperte weiter munter am rauschenden Bach – bis 1683, da setzten die Osmanen fort, was sie 1529 begonnen hatten.

      Doch die Heumühle, die mit der Bärenmühle für Wiens Versorgung sehr wichtig war, wurde abermals neu aufgebaut. Nun war sie freilich schon ziemlich verändert. Wer dieses älteste Haus der Stadt – nur Kirchen sind älter – besuchen will, ja vielleicht gar für eine eigene Veranstaltung nutzen will, kann das tun. In der Schönbrunner Straße 2 steht das rundum erneuerte Haus, dessen historischer Kern aus dem 14. Jahrhundert erhalten ist.

      Aus sanitären Gründen beschloss der Wiener Gemeinderat 1856, den Mühlbach zuschütten zu lassen. Das war eine teure Sache – man musste den Bach dem Besitzer um 30000 Gulden ablösen, der Erzdiözese Wien. Die Summe entsprach ungefähr zwölf Jahresgehältern eines einfachen Handwerkergesellen.

      Sprechende Straßennamen erinnern an den nunmehr unterirdisch fließenden Mühlbach und seine Mühlen – Schleifmühlgasse, Heumühlgasse, Mühlgasse, Bärenmühldurchgang. Und wenn diese Straßen selbst sprechen könnten … Die Heumühlgasse 10 stand einst im Besitz der Soubrette Mizzi Kaspar. Musste sie eine Berufsbezeichnung angeben, so war es »Hausbesitzerin«. Die Nr. 10 ist noch dazu ein Eckhaus, dreistöckig! »Eckhausbesitzer« war für die alten Wiener ein halber Adelstitel. Und diese Nr. 10 hatte in der Tat eine enge Beziehung zum Adel, zum allerhöchsten, ebenso wie die Besitzerin. Kronprinz Rudolf hatte ihr 1887 das Haus gekauft, um 60 000 Gulden. Als er zwei Jahre später starb, bedachte er sie in seinem Testament mit 30 000 Gulden. Wieder zwei Jahre später, 1891, verkaufte Marcella »Mizzi« Kaspar das Haus. Sie blieb dem Bezirk treu und zog in die Paniglgasse 19.

      Die Schleifmühlgasse – eine Fundgrube! Während wir vom 4. Bezirk in den 9. spazieren, hat der einstige Hausherr von Nr. 12 den Weg in die Gegenrichtung genommen. 1718 kam Peter Lichtmanegger aus dem Lichtental und erwarb ein Grundstück, auf dem er sein Bierhaus »Zum goldenen Fassl« errichtete. Bis 1936 haben Lichtmaneggers Nachfolger noch ausgeschenkt, danach hat das Haus die moderne Stadtplanung nicht überlebt. Unter seinen Stammgästen befanden sich viele Bewohner des benachbarten Gebäudekomplexes, des Freihauses.

      Am Haus Ecke Margaretenstraße 10 und Operngasse 25 berichtet ein buntes Sgraffito vom Starhemberg’schen Freihaus. 1642 erwarb Conrad Balthasar Graf Starhemberg mehrere Grundstücke zwischen der Wien und ihren Seitenarmen, nach dem neuen Herrn Conradswörth genannt, -wörth meint wie im 2. Bezirk eine Insel. Er baute ein Haus, das brannte ab, er baute ein neues und vererbte das Anwesen seinem Sohn Ernst Rüdiger. 1647 hatte Kaiser Ferdinand III. einen Freibrief ausgestellt, der den Starhembergs die Steuerfreiheit zusicherte sowie die Gerichtsbarkeit über alle Bewohner des Komplexes. Doch auch das neue Haus durfte nicht lange stehen bleiben – angesichts der heranrückenden Osmanen wurde es auf Starhembergs Befehl geschleift, es sollte dem Feind keine Deckung geben.

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      Modell des Freihauses, von oben, Bezirksmuseum

      Kaum waren die erfolglosen Türken wieder fort, wurde abermals gebaut, diesmal in großem Maßstab. Ab 1694 bedeckte der Neubau nach und nach eine riesige Fläche, die wir uns zwischen Wiedner Hauptstraße, Mühlgasse, Resselgasse und Schleifmühlgasse vorstellen können.

      In sechs Höfen mit 31 Stiegen lebten rund 1000 Bewohner im Freihaus, dem größten Mietshaus von Wien. Zu ihnen gehörte ab 1789 Emanuel Schikaneder, ein Regensburger Theaterunternehmer. Er war mit seiner ambulanten Künstlertruppe 1780 in Salzburg zu Gast gewesen, dort hatte er Leopold Mozarts Bekanntschaft gemacht und sich mit dessen Sohn Wolfgang, er war fünf Jahre jünger, auch gleich gut vertragen. Im Starhemberg’schen Freihaus hatte man 1787 ein einfaches Theater errichtet, der erste Direktor war der Wanderbühnenimpresario Christian Roßbach, er kam aus Fulda. Zwei Jahre später folgte ihm Emanuel Schikaneder, der sich schon einen guten Namen gemacht hatte. Sein Repertoire ist das typische dieser Jahre: derbe Volksstücke, Kasperlszenen, Zauberpossen, Singspiele, alles jedoch mit einem gewissen Anspruch auf Höheres.

      Das hatte zur Folge, dass sogar der Kaiser selbst das Freihaustheater besuchte. Im September 1791 erschien Leopold II. in Begleitung des Kronprinzen Franz zu einer Vorstellung von Ludwig Herzog von Steiermark aus der Feder von Schikaneder, der am Zenit seiner Berufslaufbahn stand und sich einem weiteren Höhepunkt näherte.

      1791 gab Emanuel Schikaneder seinem Freimaurerbruder Mozart den Auftrag zur Komposition einer »Zauberoper«. Dies kam dem Komponisten sehr gelegen, er steckte in schweren wirtschaftlichen Problemen.

      Die Arbeit an der neuen Oper ging aber durch Reisen und andere Kompositionspläne sehr zögerlich voran. So holte der Direktor, der das Libretto selbst verfasst hatte, seinen Kompositeur aus der häuslichen Ablenkung und setzte ihn in eine Holzhütte, ein Salettl, in einem Hof des Freihauses. Dort sollte Mozart in Ruhe arbeiten können.

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      Das Zauberflötenhäuschen, heute im Mozarteum Salzburg

      Konnte er aber nicht! Im nur wenige Schritte entfernten Theater gab es viele Vorstellungen, Sängerinnen und Schauspieler wollten zusehen, wie ihre künftigen Rollen und Gesangspartien entstanden; in dem Salettl soll es sehr lustig zugegangen sein. Mozart hatte den fröhlichen Betrieb lieber als die konzentrierte Ruhe, und wirklich war die neue Oper innerhalb weniger Wochen bereit.

      Am 30. September 1791 erlebte das Publikum auf den harten Bänken des Theaters auf der Wieden Weltgeschichte – die Uraufführung der Zauberflöte. Sie hatte von Anfang an Erfolg, es gab aber auch Kritik: Das Libretto sei frauenfeindlich, es stecke voller Widersprüchlichkeiten. Das Wort und die Musik trafen auf ein kundiges Publikum, das für Geheimnisse und Bühnenmystik ebenso zu haben war wie für Koloraturarien und Couplets. Der Direktor selbst gab eine der Hauptrollen, den Papageno, und muss sich als Bühnenkünstler wie auch als Unternehmer über den Publikumszuspruch gefreut haben. Die Kasse war voll.

      Mozart jedenfalls hat sich gefreut, davon kann man sich in seinen Briefen überzeugen. Seine Frau Constanze war in Baden zur Kur, er schrieb ihr oft, so am 7. Oktober 1791, die Oper sei voll gewesen wie »allzeit«: »Um halb 6 uhr gieng ich beim Stubentor hinaus – und machte meinen favorit Spaziergang über die Glacis ins Theater …« Mozart kam immer wieder in die Vorstellung, übernahm manchmal die Leitung und lebte seinen Übermut aus, indem er seinen Direktor auf den Arm nahm: »Nun gieng ich auf das Theater bey der Arie des Papageno mit dem