Prolog
Paris, Frankreich
Achtzehn Monate zuvor
Der Tag nach der Wahl von Papst Gregor XVII
Ezekiel saß mit einer kleinen Tasse Milchkaffee vor einem Lokal. In den Händen hielt er die Le Parisien, eine Pariser Zeitung.
Nachdem er blutüberströmt und halb ohnmächtig aus der Nekropolis entkommen war, war es ihm gelungen, einen zwielichtigen Doktor zu finden, der seine Wunden für eine gewisse Summe versorgt hatte, zusätzlich eines Bonus, damit er Stillschweigen darüber bewahrte. Als der Doktor dann aber durchblicken ließ, dass er den Deal platzen lassen würde, wenn Ezekiel nicht noch mehr als die ursprünglich vereinbarte Summe bezahlte, ergriff Ezekiel ein Skalpell, warf es durch den Raum und spießte damit eine Kakerlake auf, die gerade Wand hinauf gekrabbelt war.
Danach verlor der Doktor plötzlich kein weiteres Wort mehr darüber und versorgte den Attentäter hastig.
Nachdem Ezekiel wieder imstande war zu reisen, begab er sich sofort nach Frankreich und tauchte dort unter.
Nun, beinahe drei Monate nach den Kämpfen in der Nekropolis, war Ezekiels Herz schwer geworden.
Die Titelseite der Le Parisien zierte ein verklärter Nachruf auf Amerigo Anzalone, auch Papst Pius XIII genannt. Der Artikel beschäftigte sich mit dem Leben des Mannes, seiner Ernennung zum Papst und seinen letzten Tagen als Diener aller Christen dieser Welt.
Ich muss ihn so sehr enttäuscht haben, dachte er. Wie unendlich traurig muss er wohl gewesen sein. Er hatte den Pontifex auf so viele Arten respektiert, dass er hoffte, dass Pius ihm zumindest an seinem Lebensende seinen Verrat als Vatikanritter gegenüber der Kirche verziehen hatte.
Bitte, vergib mir.
Er ließ die Zeitung langsam auf das weiße Tischtuch sinken und beobachtete die Tauben, die sich um seine Füße herum versammelt hatten und dort pickten, fraßen und gurrten.
Doch dann flatterten die Vögel plötzlich panisch mit den Flügeln schlagend davon und die Welt um ihn herum schien auf einmal aus einer Wand aus Federn zu bestehen. Kurz darauf waren sie verschwunden.
An ihrer Stelle war ein gut gebauter Mann mit hellem Teint, rabenschwarzen Haaren und einer pinkfarbenen Narbe am Kinn erschienen. »Widerliche Kreaturen, nicht wahr? Ich glaube, ihr Amerikaner nennt sie auch Ratten der Lüfte.«
Ezekiel starrte den Mann, der auf den leeren Stuhl ihm gegenüber deutete, an. »Darf ich?«
»Kenne ich Sie?«
Der Mann setzte sich, ohne auf Ezekiels Zustimmung zu warten. »Auf gewisse Weise schon«, sagte er geheimnisvoll.
Wirklich? Wie konnte das sein?
Als der Kellner erschien, schickte der Mann ihn mit einer unwirschen Handbewegung davon, schlug die Beine übereinander und legte seine Hände um eines seiner Knie. »Wir sind uns nie persönlich begegnet, aber ich bin mir sicher, dass Sie schon von mir gehört haben«, erklärte er. »In Ihren Kreisen kennt man mich unter dem Namen Abraham Obadiah.«
Ezekiel griff unwillkürlich nach seiner Waffe.
Sofort hob Obadiah die Hand, um Ezekiel Einhalt zu gebieten. »Nicht«, warnte er ihn beinahe beiläufig. »Glauben Sie wirklich, dass ich mich an diesen Tisch setzen würde, ohne vorher die nötigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen?«
»Ich kann Sie töten, bevor Ihre Leute auch nur reagieren könnten.«
»Das bezweifle ich sehr«, antwortete er. »Werfen Sie mal einen Blick auf Ihre Brust.«
Ezekiel entdeckte daraufhin drei rote Laserpunkte, die genau auf seine Körpermitte zielten. Jeder von ihnen bedeutete einen Todesschuss. Die Schützen im Verborgenen konnte er jedoch nicht ausmachen.
Ezekiel spürte, wie Zorn in ihm aufwallte. Vor einigen Jahren war dieser Mann, der nun vor ihm saß, für die Entführung von Papst Pius und die Hinrichtung mehrerer Bischöfe des Heiligen Stuhls verantwortlich gewesen. Obadiah war es als Einzigem seines Teams aus Elitesoldaten gelungen, zu fliehen, nachdem die Vatikanritter die Gruppe im Nahkampf bezwungen hatten.
»Weshalb sind Sie hier?«
Obadiah blickte ihn kurz an, bevor er ein Foto aus seiner Tasche zog und es auf die geöffnete Zeitung legte. Das Foto war alt, aber nicht unscharf. Es zeigte einen sehr viel jüngeren Kardinal Bonasero Vessucci. Neben ihm stand ein Mann in einer schwarzen Militärhose, Stiefeln, einem Barett auf dem Kopf und einem klerikalen Hemd mit einem römisch-katholischen Kragen. Kimball Hayden in früheren Tagen, als er gerade ein Ritter des Vatikan geworden war.
»Wenn der Blutsverwandte eines wichtigen amerikanischen Senators vom Vatikan aufgenommen wird, erregt das natürlich ein gewisses Aufsehen.« Obadiah tippte auf das Foto. »Dieses Bild wurde einen Tag nach der Unterzeichnung der Papiere aufgenommen, die Ihre Auslieferung an sie regelten, ohne dass die Behörden irgendwelche Fragen stellen würden. Den Leuten, für die ich arbeite, entgehen solche Praktiken nicht.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
Er tippte auf Kimball. »Dieser Mann«, sagte er. »Wer ist das?«
»Wieso wollen Sie das wissen?«
Das Pochen seines Fingers wurde nun nachdrücklicher. »Wer … ist … das?«
Die beiden Männer starrten sich finster an und musterten einander intensiv. Dann antwortete Ezekiel bemüht ruhig: »Sein Name ist Kimball Hayden.«
Obadiah ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken. »Kimball Hayden«, murmelte er in Gedanken versunken. Jetzt kannte er endlich seinen Namen. »Und was tut dieser Kimball Hayden genau?«
»Wieso wollen Sie das alles wissen?«, fragte Ezekiel schroff.
Obadiah beugte sich nach vorn. »Sagen wir einfach, dass meine Leute für das Wohl der Menschheit die Geschehnisse auf der Welt im Auge behalten.«
Ezekiel grinste. »Spionage also«, entgegnete er. »Während der Entführung des Papstes hieß es, sie würden für den Mossad arbeiten.«
»Sie können gern glauben, was Sie wollen«, fuhr der Mann fort. »So ist das mit Gerüchten.« Er beugte sich noch etwas mehr nach vorn, als würden die beiden eine geheime Unterredung führen. »Jetzt verraten Sie mir, wer dieser Kimball Hayden ist. Was wollte er von Ihnen, dem einzigen überlebenden Nachfahren eines sehr mächtigen amerikanischen Senators?«
Ezekiel verharrte in seiner Position