»Wird gemacht«, nickte Max Gerlach. Er assistierte Jenny Behnisch und war hochkonzentriert. »Abstrich!«, befahl er der Schwester, die gleich darauf eine Kollegin mit der Probe ins Labor schickte.
Fee, die nervös vor dem OP auf und ab ging, lief sofort auf sie zu. Seit einiger Zeit machte sie eine Facharztausbildung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und absolvierte im Rahmen dieser Ausbildung ein einjähriges Praktikum in der Pädiatrie der Behnisch-Klinik. Selbstverständlich hatte Daniel Norden seine besorgte Frau von dem bevorstehenden Eingriff informiert, und nun wartete sie händeringend auf Neuigkeiten.
»Wie geht es meinem Sohn?«, fragte sie die Schwester aufgeregt.
»Da müssen Sie bitte auf Frau Dr. Behnisch warten«, bekam sie eine wenig befriedigende Antwort.
So blieb ihr nichts anderes übrig, als sich noch länger zu gedulden, bis Jenny endlich gefolgt von Daniel und Max Gerlach den Operationssaal verließ.
»Dan, Gott sei Dank«, seufzte sie und lief auf ihren Mann zu, dem die Anspannung noch ins ernste Gesicht geschrieben stand. »Wie geht es Danny?«
»Die Operation ist gut verlaufen«, konnte Dr. Norden seine Frau glücklicherweise beruhigen. »Allerdings musste Jenny mehr Gewebe entfernen als erwartet.«
»Und was bedeutet das? Wird die Hand steif bleiben?« Fee kannte die größte Sorge ihres Sohnes.
»Das kann man jetzt noch nicht so genau sagen«, seufzte Daniel bekümmert. »Im Augenblick bleibt uns nichts anderes übrig, als den Heilungsprozess abzuwarten.«
Als erfahrene Arztehefrau und selbst Ärztin wusste Felicitas, dass ihr Mann recht hatte, und quälte ihn nicht weiter mit Fragen, die ohnehin niemand beantworten konnte.
»Gut. Dann werde ich mal wieder an die Arbeit gehen.«
»Das ist das Beste, was du im Augenblick tun kannst, mein Liebling«, erwiderte Daniel rau. »Danny wird sicher noch eine Weile schlafen. Sagst du Tatjana Bescheid, dass wir operiert haben?«
»Natürlich«, versprach Fee. Sie küsste ihren Mann zum Abschied auf die Wange und machte sich dann in Gedanken versunken auf den Weg in die Pädiatrie. Wie immer war Arbeit ein probates Mittel, um sich vom Grübeln abzuhalten und die Zeit vergehen zu lassen, bis es Neuigkeiten gab.
*
Als Tatjana von dem überraschenden Eingriff erfuhr, eilte sie trotz ihres Entschlusses sofort in die Klinik. Danny war allein, als sie kam, und schlief noch. Sie setzte sich an sein Bett und betrachtete eingehend das geliebte Gesicht, dachte an die glücklichen Zeiten, die sie gemeinsam erlebt hatten. Das Herz wurde ihr schwer, wenn sie daran dachte, dass das alles vielleicht bald der Vergangenheit angehören würde. Und doch gab es keinen anderen Ausweg aus dieser vertrackten Situation als den, den sie gefunden hatte.
Das Buch, das sie auf dem Nachttisch fand, bestärkte sie in ihrem Beschluss.
»Hungriges Herz«, murmelte sie betroffen und bemerkte das Lesezeichen, das Danny zwischen die Seiten gelegt hatte. In nur wenigen Stunden hatte er fast ein Drittel gelesen. »Das passt so gar nicht zu ihm. Mir hat er immer gesagt, dass er Lesen langweilig findet. Aber vielleicht hat er es bisher nur noch nicht für sich entdeckt«, seufzte Tatjana mit bekümmertem Blick auf den Einband. »Vielleicht schlummert da noch viel mehr in ihm, und er braucht eine andere Frau, die all die verborgenen Talente wecken kann.«
Sie wusste nicht mehr, wie lange sie so dagesessen und nachgedacht hatte, als Danny langsam unruhig wurde. Er blinzelte ins helle Licht und erkannte schließlich seine Freundin.
»Tatjana«, krächzte er, heiser, weil er während der Operation beatmet worden war. »Wie ist es gelaufen?«
Sie haderte kurz mit sich, beschloss dann aber, ihm die Wahrheit zu sagen.
»Schwieriger als erwartet«, gestand sie. »Dein Vater war bei der Operation dabei. Er meinte, die erste Verletzung hätte eine wesentliche Rolle gespielt, dass sich das alles so entwickelt hat«, erklärte sie ihrem Freund das, was sie zuvor im Gespräch mit Daniel Norden erfahren hatte.
Seufzend versuchte Danny, sich ein wenig umzudrehen. Der dick verbundene Arm mit der Fixatur war ihm dabei im Weg.
»Ich hätte das alles ernster nehmen sollen«, ging er hart mit sich selbst in die Kritik.
»Das hättest du«, musste Tatjana leider bestätigen und legte tröstend die Hand auf seinen gesunden Arm.
Er stöhnte und schloss die Augen.
»Wenn ich Pech habe, kann ich meinen Beruf an den Nagel hängen.«
»Jetzt warte doch erst mal den Heilungsprozess ab«, versuchte Tatjana, ihn zu beruhigen.
Doch davon wollte Danny nichts hören.
»Wenn ich nicht mehr praktizieren kann, dann war alles umsonst. Dann hat mein Leben keinen Sinn mehr«, erklärte er verzweifelt und wütend.
»Es gibt doch auch ein Leben neben der Medizin.« Tatjana wählte ihre Worte mit Bedacht. »Weißt du, ich hab auch mal gedacht, dass die Welt untergeht, wenn ich nicht mehr sehen kann. Eine Weile dachte ich sogar, dass ich überhaupt nichts mehr tun kann. Das war ein riesiger Irrtum, wie sich irgendwann zum Glück herausgestellt hat.« Tatsächlich hatte Tatjana Fähigkeiten und Talente an sich entdeckt, die sie als Sehende niemals wahrgenommen hätte. Davon berichtete sie ihm mit leiser Stimme.
Doch der junge Arzt wollte sich nicht trösten lassen. Am liebsten hätte er sich in seinem Weltschmerz vergraben. Er wollte nicht mutig und tapfer und optimistisch sein.
»Aber ich bin nicht du!«, herrschte er Tatjana ungehalten an. »Ein Leben ohne Medizin ist nicht lebenswert für mich. Schon klar, dass du das nicht verstehen kannst.«
Gefangen in seinem eigenen Leid bemerkte er nicht, wie sehr er sie mit seinen Worten verletzte.
Eigentlich hatte Tatjana ihm noch nichts von ihrem Beschluss sagen wollen. Sie hatte sich vorgenommen, damit zu warten, bis er wieder gesund genug war und an etwas anderes denken konnte. Doch dieser Vorsatz löste sich in diesem Augenblick in ihrer grenzenlosen Enttäuschung auf.
»Es tut mir leid, dass du das so siehst. Aber vielleicht hast du ja recht und ich bin wirklich nicht die richtige Frau für dich«, sagte sie leise und mit gesenktem Kopf. »Vielleicht brauchst du so eine Frau, wie dein Vater sie in deiner Mutter gefunden hat. Eine, die deine Leidenschaft für Medizin teilt und dich tatkräftig unterstützen kann. Das geht bei mir leider schon wegen meiner Behinderung nicht.« Tatjana seufzte tief und stand auf, während Danny noch versuchte zu verstehen, was sie ihm damit sagen wollte.
»Was redest du denn da?«, fragte er sichtlich verwirrt und plötzlich lammfromm. »Du bist die Frau, mit der ich zusammenleben möchte. Und zwar am liebsten, bis ich alt und grau bin«, versicherte er. »Wenn du das allerdings anders siehst …«
»So hab ich das nicht gemeint«, unterbrach Tatjana ihn an dieser Stelle forsch. »Ich wollte nur, dass du weißt, dass du nicht aus Mitleid mit mir zusammenbleiben musst. Wenn du festgestellt hast, dass du eine Frau brauchst, mit der du deine Leidenschaft für deinen Beruf teilen kannst, werde ich dich nicht zurückhalten.«
»Ach, das ist ja interessant.« Vor Überraschung stand Danny der Mund offen. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie Tatjana auf so eine Idee kam. Krampfhaft suchte er nach Worten, mit denen er sie von ihrem Irrtum überzeugen konnte. Doch er war noch zu geschwächt von der Operation, als dass ihm etwas eingefallen wäre. So tat er das Einfachste, was ihm in dieser vertrackten Situation einfiel: Er schützte Müdigkeit vor und schloss die Augen. Gleichwohl wusste er, dass es zu diesem Thema zu gegebener Zeit noch jede Menge zu sagen gab.
*
Felix Norden machte sein Versprechen wahr und bat seinen Freund Eric, sich um Olivias Wagen zu kümmern. Der sagte sofort zu und verschwand schon am nächsten Nachmittag tief im Motorraum.
»Na bitte,