»Ich werde morgen mit Vati darüber reden, so von Mann zu Mann«, versprach Kai.
»In Ordnung.« Zufrieden kuschelte sich Martin in sein Kopfkissen. Vielleicht würde doch noch alles gut werden.
Peter Kilian setzte sich in den tiefen Sessel vor dem Kamin und stellte ein Glas Rotwein auf den kleinen Intarsientisch neben dem Sessel. Er blätterte die Zeitung auf und schlug sie gleich darauf wieder zu. Seine Gedanken kreisten um den Sonntag am See. Er fühlte sich immer noch unbehaglich. Was hatte sich Martin nur dabei gedacht? So kannte er den Jungen doch gar nicht. Irgend etwas hatte sich schon seit einiger Zeit angedeutet, aber er hatte es nicht so recht begriffen. War es nur eine verklärte Schwärmerei des Jungen, daß ihm Kathrin so gefiel? Vielleicht hatte sie mit dem geheimnisvollen Schuhverkauf einen sehr tiefen Eindruck bei Martin hinterlassen. Martin war ein phantasievoller, verträumter Junge. Bis heute wußte Peter Kilian nicht, was sich da zwischen den Schuhregalen im hintersten Winkel des Geschäftes abgespielt hatte. Auf seine Fragen schwiegen die Jungen hartnäckig und lächelten sich verschwörerisch zu.
Vielleicht aber war es tatsächlich so, daß Martin sich eine neue Mutter wünschte. So sehr sich Peter Kilian auch Mühe gab, die Mutter konnte er den Kindern nicht ersetzen. Zwar fehlte es den Kindern an nichts, Tante Friedel kümmerte sich rührend um sie, auch mit Jenny gab es keine Probleme. Sie mochte die liebe alte Dame und fühlte sich bei ihr wohl. Aber Tante Friedel war nicht mehr die Jüngste, auch wenn kein Wort der Klage über ihre Lippen kam. Eines Tages würde sie es nicht mehr schaffen, auf drei Kinder aufzupassen.
Es ging auch nicht nur darum, daß die Kinder ihre Mahlzeiten bekamen, ihre Wäsche gewaschen und die Hausaufgaben kontrolliert wurden. Mit aller Deutlichkeit spürte Peter Kilian den Verlust der Mutter. Nicht nur die materiellen Bedürfnisse der Kinder mußten befriedigt werden. Eine Mutter gab etwas, das nicht mit Geld zu bezahlen war – Liebe.
Er seufzte und nippte am Wein. Sinnend blickte er in das Feuer des Kamins. Wünschte er sich, die Abende nicht mehr allein zu verbringen? Oft gab es keine Abende am Kamin für ihn. Sie waren eher die Ausnahme. Doch war die Arbeit wirklich so wichtig, daß er seine Kinder anderen Leuten überließ? Vielleicht hatte Kathrin doch recht, wenn sie behauptete, die Kinder wären zu sehr sich selbst überlassen.
Kathrin! Was war sie für eine Frau? Peter fand sie sehr anziehend, hübsch und sehr natürlich. Es forderte ihm Bewunderung ab, wie sie mit den Kindern umging. So, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, auf einer Decke am See zu hocken und Würstchen mit Salat zu essen oder Blindekuh zu spielen. Und wie sie Jenny aufgemuntert hatte! Jenny war oft sehr verschlossen, viel zu ernst für ein kleines Mädchen ihres Alters. War es deshalb, weil sie außer Tante Friedel keine andere Frau kannte?
Eine andere Frau! Nach dem tragischen Tod seiner Frau war für ihn eine Welt zusammengebrochen. Sylvia war der Mittelpunkt, der Garant der Familie gewesen. Sie war so glücklich mit den Kindern, eine liebevolle und fürsorgliche Mutter. Und sie hatte sich ebenso wie er auf die Geburt der kleinen Jenny gefreut. Keiner konnte ahnen…
Ärgerlich wischte Peter Kilian die schwarzen Gedanken weg. Er hatte Sylvia geliebt. Und nach ihrem Tod war es für ihn klar, daß es keine andere Frau nach ihr geben würde. So hatte er sich in seine Arbeit verbissen und gemeint, wenn er nur für seine Kinder gut sorgen würde, wäre alles in Ordnung. Schließlich gab es auch viele alleinerziehende Mütter, die es auch irgendwie schaffen mußten.
Doch die Kinder schienen anders zu fühlen. Wie sonst wären sie auf die Idee gekommen, daß Kathrin ihre neue Mutter werden würde? Natürlich war es wieder Martin, von dem diese fixe Idee stammte. Aber auch Kai mußte davon gewußt und es zumindest gebilligt haben.
Lächelnd schüttelte er den Kopf. Weiß der Teufel, was in diesen Kindsköpfen vor sich ging. Ein wenig fatal war ihm Martins Frontalangriff schon. Allerdings, wenn er es sich richtig überlegte, dann mußten sie gespürt haben, daß auch er Kathrin sehr sympathisch fand. An mehr wagte er gar nicht zu denken. Sie hatte etwas an sich, das sie sehr anziehend machte. Es war keine Äußerlichkeit, es war etwas in ihrem Wesen, irgend etwas Weiches, Liebevolles. Kinder spürten so etwas viel eher als Erwachsene. Denn Kinder reagieren viel mehr nach dem Gefühl spontan. Die Erwachsenen schalteten immer erst den Verstand ein. Das war auch gut so, denn sonst müßte sich Peter Kilian eingestehen, daß er im Begriff war, sich zu verlieben.
*
Aufgewühlt und völlig durcheinander stand Kathrin inmitten ihrer kleinen gemütlich eingerichteten Wohnung. Sie wollte gern zur Ruhe kommen, ihre Gedanken sammeln, aber sie konnte nicht untätig sitzen bleiben. Sie mußte sich mit irgend etwas beschäftigen, um sich abzulenken. Der Gedanke an den heutigen Nachmittag beunruhigte sie.
Sie hatte sich auf diesen Tag gefreut, wenn auch mit einem kleinen Kribbeln im Bauch. Und sie hatte sich auf eine komplette Familie eingerichtet, in der sie für einige Stunden zu Gast sein würde. Um so größer war ihre Überraschung, die sie gar nicht so schnell verdauen konnte. Dieser Peter Kilian gefiel ihr ungemein gut, daß sie jede Frau um ihn beneidet hatte. Und da stellte sich heraus, daß er keine Frau mehr hatte! So traurig das eigentlich war, hätte Kathrin jubeln können. Denn sie hätte somit eine Chance, das Herz dieses sympathischen Mannes zu erobern. Daß sie ihm nicht ganz gleichgültig war, das glaubte Kathrin gespürt zu haben. Noch jetzt, bei dem Gedanken an seine mehr oder weniger zufälligen Berührungen, kribbelte es wieder in ihrem Bauch. Irgendein zartes Band entwickelte sich zwischen ihnen, das hatte sie zumindest geglaubt. Aber jäh wurde sie aus diesen Träumen gerissen, und zwar durch Martin. Denn es war klar, daß sich die ›Männer‹ untereinander abgesprochen haben mußte, eine neue Mutter für die Kinder zu suchen. Die Kinder mochten Kathrin, und da brauchte man nur zwei und zwei zusammenzuzählen.
Und genau das versetzte Kathrin in Wut. So einfach war es eben nicht. Wer weiß, wie oft Peter Kilian es schon versucht hatte, eine neue Frau zu finden. Attraktiv war er ja, und Kathrin war sich sicher, daß es genug Frauen gab, die diesem Mann nicht abgeneigt waren. Wenn sie jedoch erfuhren, daß zu ihm auch noch drei kleine Kinder gehörten, dann konnte das die meisten schon vergraulen.
Nicht, daß Kathrin etwas gegen Kinder hätte, ganz im Gegenteil. Wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, dann wünschte sie sich nichts sehnlicher, als eine Familie zu haben, einen lieben Mann, Kinder. Es mußte viel Geborgenheit in einer Familie liegen, das kleine Glück sozusagen. Etwas, wo man Halt finden, seine Erfüllung, wenn man Freud und Leid miteinander teilt. Zuerst aber wollte sie noch etwas erleben, etwas von der Welt sehen, ihr Leben genießen. Ein Mann könnte dabei durchaus an ihrer Seite sein. Und wenn sie selbst ein Kind bekäme, es aufwachsen sah, vielleicht auch noch ein zweites, dann fand sie das ganz natürlich. Sie würde in ihre Mutterrolle hineinwachsen, langsam und allmählich.
Doch hier kam sich Kathrin vor, als würde sie in ein dunkles, tiefes Wasser gestoßen. Sie fürchtete sich davor. War es wirklich nur ihr Traum von einem leichten, luxuriösen Leben, das ihr bisher als Inbegriff der Erfüllung erschien, oder nur der Schock darüber, daß Peter Kilian nicht allein zu haben war?
Und sie fühlte sich betrogen, hintergangen. Er mußte es doch gespürt haben, daß er Kathrin gefiel, viel zu gut gefiel, als sie es sich eingestehen mochte. Hatte er dieses Gefühl bei ihr genährt, um sie für sich und die Kinder zu gewinnen? In seiner fast aussichtslosen Situation, nicht nur für sich eine Frau, sondern vor allem für seine Kinder eine Mutter zu finden, war ihm sicher fast jedes Mittel recht. Im Vordergrund standen natürlich die Kinder, sie mußten
die neue Mutter akzeptieren. Das schien zumindest bei Kai und Martin der Fall zu sein. Erst in zweiter Linie machte Peter Kilian wahrscheinlich seine Wünsche geltend. Da kann man auch schon einmal Verliebtsein vorspielen. Hier sollte der Zweck die Mittel heiligen.
Aber Kathrin wollte nicht nur als Zweck herhalten. Sie wollte geliebt werden, bedingungslos. Es durfte keinen Hintergedanken dabei geben, keinen Zweck. Liebe war selbstlos, nicht besitzergreifend, nicht zweckgebunden. Sie wollte keine Ersatzmutter sein, sondern geliebte Frau.
Kathrin schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Programme. Aber keiner der Filme oder