Miss of the Match. Carina Isabel Menzel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carina Isabel Menzel
Издательство: Bookwire
Серия: Miss of the Match
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960742821
Скачать книгу
- denn als Sven aufstand, war ich gerade eingeschlafen, und als er fertig angezogen an der Tür stand und noch mal das Gepäck durchsah, war ich gerade erst auf dem Weg ins Badezimmer.

      Zum Bahnhof fährt zum Glück Sven. Er scheint frustriert, dass ich nicht wirklich zu einem Gespräch aufgelegt bin, aber als Marc, der mit uns fährt, einsteigt, kommt etwas Leben ins Auto. Während ich vor mich hin döse, fachsimpeln sie eifrig über das morgen anstehende Spiel und beschweren sich darüber, dass man die Hochzeit doch auch auf einen anderen Tag hätte legen können.

      Sosehr ich mich auch bemühe, im Zug kann ich nicht schlafen. Ich versuche es mit Musik, höre den Akku meines iPods leer und will mit Svens Musik weitermachen, aber als ich sehe, dass er im Moment nur irgendwelche So-klingt-die-WM-Alben mit diversen Fußballhymnen gespeichert hat, lasse ich es sein.

      In Rottweil steigen wir aus und müssen in der Jugendherberge, in der wir übernachten werden, ewig in der mit Deutschlandflaggen und Blumenketten geschmückten Eingangshalle herumsitzen und warten, bis wir auf die Zimmer können. Noch bevor ich mein Bett mit der üblichen umständlichen Jugendherbergsbettwäsche beziehen kann, klappe ich zusammen und sinke in einen traumlosen Schlaf, bis Sven und Marc mich verärgert wecken - in Anzug und Krawatte.

      „Cynthia! Herrgott, in einer Stunde ist die Trauung!“, schreit Marc mich wach.

      Ich schrecke hoch. Schon der nächste Morgen? Ich habe echt nichts mehr mitgekriegt, nachdem ich eingeschlafen bin. Dem Himmel sei Dank, bin ich nun halbwegs fit. Eine Stunde? Mist.

      Blitzschnell springe ich aus dem Bett, vergesse, dass es ein Hochbett ist, humpele zum Bad, stelle mich zwei Minuten unter die kalte Dusche und lasse mir von Sven die Haare föhnen, während ich in das blaue Cocktailkleid schlüpfe. Jetzt bin ich froh, dass die Zeit so knapp ist, da kann ich gar nicht lange herumstehen und überlegen, welches Kleid ich anziehen soll. Insgesamt brauche ich nur rekordverdächtige zwanzig Minuten, um mich anzuziehen, zu schminken und zu frisieren. Als ich in meine Sandalen schlüpfen will, merke ich allerdings, dass meine Strumpfhose eine Laufmasche hat und ich meine Ersatzstrumpfhose nicht finden kann. Ich hasse zwar meine Beine, beschließe aber trotzdem, ohne Strumpfhose zu gehen. Jedoch ist mein Fuß angeschwollen (verdammtes Hochbett!) und das Riemchen meiner Sandale geht nicht zu, egal, wie sehr ich daran reiße.

      „Scheiße!“, fluche ich und sehe panisch zu Marc empor, der ungeduldig im Türrahmen lehnt. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich kann doch nicht mit diesen ausgelatschten Dingern in die Kirche gehen.“

      Mein Bruder muss sich sichtlich ein Grinsen verkneifen. „Geht offensichtlich nicht anders.“

      Sven kommt aus dem Bad. „Zieh doch einfach das andere Kleid an“, schlägt er achselzuckend vor.

      „Oh Gott, ja. Danke, Sven, du bist ein Schatz!“, rufe ich und erlaube es mir tatsächlich noch, meinem Freund einen Kuss auf die Wange zu drücken, der einen roten Lippenstiftabdruck hinterlässt, bevor ich mich fluchend aus dem blauen Kleid schäle und in das rote steige. Der Reißverschluss am Rücken klemmt etwas, aber das ist mir jetzt egal. So sieht man wenigstens meine Beine nicht. Etwas widerwillig schnüre ich meine Sneakers zu und ziehe das Kleid lang, damit es über meine Fußspitzen fällt. Sieht irgendwie spießig aus. Egal jetzt.

      Pünktlich zum Glockenspiel kommen wir in die Kirche. Zum Glück sind wir noch vor der Braut da, trotzdem sehen uns die anderen Gäste etwas kritisch an, und kaum sitzen wir, wird Emma von ihrem Vater durch den Mittelgang hereingeführt. Gerührt greife ich nach Svens Hand. Emmas Kleid ist atemberaubend, und weil sie sich eigentlich nie schminkt, ist es ein ungewohnter Anblick, sie so perfekt gestylt zu sehen.

      Bei den ersten Worten des Pfarrers dämmere ich noch etwas vor mich hin. Das Adrenalin von vorhin, nachdem ich aus dem Schlaf gerissen wurde, ist abgeflaut. Die einlullenden Worte des näselnden Pfarrers, und dass er immer wieder auf die Weltmeisterschaft und das heutige Spiel zu sprechen kommt, tun ihr Übriges.

      Nach dem ersten Lied, bei dem mir sogar die Augen zufallen und Sven mich verärgert anstößt, muss ich mich mit den Kindern, die bei uns in der zweiten Reihe sitzen, herumplagen. Sie scheinen den Gottesdienst genauso spannend zu finden wie ich, kriechen unter den Bänken herum, nerven sich gegenseitig oder ihre Eltern und tuscheln so laut, dass man es in der letzten Reihe noch hört. Ich bemühe mich vergebens, setze sie auseinander oder weise sie im Flüsterton zurecht, sie strecken mir allerdings höchstens die Zunge raus oder ignorieren mich ganz.

      Kein Wunder, das sind Cousins, Neffen oder Nichten von mir, die mich nie als Respektsperson angesehen haben und daher auch jetzt nicht einsehen, warum sie auf mich hören sollten. Erst als aus den hinteren Reihen von einer der angespannten Mütter ein Stapel Fußballsammelkarten nach vorne gereicht wird, herrscht Ruhe. Ich schüttele fassungslos den Kopf, während sich die Kinder aufgeregt über die Karten beugen.

      Meine Aufgabe bis zum Jawort ist es von da an, die auf den Boden fallenden Karten aufzuheben, damit die Kinder nicht wieder unter den Bänken herumkriechen. Sophies Schwarm fällt mir wieder ein, aber als ich auf den Karten nachschauen will, was für ein Typ die Vierundzwanzig ist, wollen die Kleinen sie mir nicht zeigen.

      Beim Jawort, bei dem Emma erste Tränen vergießt (ich bin froh, dass ich ihr gestern geraten habe, Taschentücher in ihren kleinen Beutel zu packen), muss ich unwillkürlich seufzen und Sven sieht mich etwas merkwürdig von der Seite an. Erleichtert schließe ich daraus, dass er mir wohl nicht so bald einen Heiratsantrag machen wird. Ich glaube, im Moment fühle ich mich noch zu jung für eine Hochzeit. Ich will erst mal mein Studium beenden und dann vielleicht, aber jetzt ... Andererseits: Würde Sven mich in naher Zukunft fragen, könnte ich dann ablehnen?

      Nach dem Gottesdienst haben Emma und Ricardo, offiziell nun ihr Mann, einen Fototermin, und während sie weg sind, stehen wir Gäste vor der Kirche herum. Brezeln und Käsebrötchen werden angeboten, Sekt wird ausgeschenkt und ich muss einer Reihe Leute die Hand schütteln, die ich nicht im Entferntesten kenne, und so tun, als würde ich mich freuen, sie zu sehen. Außerdem treffe ich meine Mutter Lisbeth. Sie und mein Stiefvater Karl kommen auf mich zu, während ich mit Sven an einem der Tische stehe und von Marc erklärt bekomme, wer die Gruppe Leute ist, von der wir gerade eben überschwänglich begrüßt wurden, und woher ich die Frau kenne, die zu mir gesagt hat, dass ich groß geworden sei.

      „Cynthia, da bist du ja!“ Meine Mutter kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. „Und du hast sogar mein Kleid an, wie schön.“ Sie drückt mich an sich und über ihre Schulter hinweg weiche ich Karls Blick aus. Schon immer habe ich das Gefühl, er findet mich irgendwie reizvoll, denn er starrt stets so ungeniert auf meine Oberweite, dass ich nun hoffe, dass Sophies Argument, in Svens Begleitung würde niemand in meinen Ausschnitt glotzen, auch wirklich stimmt. Ich frage mich echt, was meine Mutter damals dazu veranlasst hat, Karl zu heiraten.

      Dem muss ich zum Glück nur die Hand schütteln und leider feststellen, dass Sophies Aussage keineswegs richtig ist. Am liebsten hätte ich das Kleid höher gezogen, aber das geht ja nicht, weil sonst jeder meine ausgelatschten Schuhe sehen kann.

      „Willst du einen Sekt, Kind?“ Meine Mutter wuselt um mich herum und kommt mit einem Glas wieder.

      „Danke, ich hab noch.“ Ich hebe mein halbvolles Glas Orangensaft hoch. Alkohol ist nicht so meins, seit ich Kiki auf der Abschlussfahrt der Realschule dabei zusehen musste, wie sie völlig bleich im Gesicht auf den Bordstein kotzte und hinterher den ganzen Abend nur noch wirres Zeug redete.

      „Mama, heute Abend ist Fußball.“ Marc nimmt sich ein Käsebrötchen und beißt frustriert hinein. Als ob unsere Mutter etwas dafür oder es ändern könnte.

      „Die Gaststätte hat einen Fernseher“, wirft Karl ein. Mit meinem Bruder hat er sich schon immer prächtig verstanden. Vielleicht wegen ihrer gemeinsamen Fußballsucht. Karl und Marc haben sich früher jedes Spiel zusammen angesehen, egal, welche Liga oder welche Meisterschaft.

      „Echt?“, mischt sich Sven hellauf begeistert ein. „Ich dachte schon, ich müsste es mir hinterher ansehen.“

      Auch Marc wirkt um einiges erleichtert. „Werden wir da schauen können?“

      Karl