Miss of the Match. Carina Isabel Menzel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carina Isabel Menzel
Издательство: Bookwire
Серия: Miss of the Match
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960742821
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der seine Nachrichten heute im Deutschlandtrikot präsentiert. Marc hat den Fernseher endlich zum Laufen gekriegt und ist gerade dabei, mein missglücktes IKEA-Regal auseinanderzuschrauben, um es richtig zusammenzufügen. Ich stehe in der Küche und räume die Schränke ein. Zum Glück hat der Vorbesitzer die Ausstattung komplett drin gelassen. Die schönste ist sie zwar nicht, aber ich kann mich daran gewöhnen und es spart mir außerdem einen Haufen Geld.

      Trotzdem ist meine Wohnung noch längst nicht fertig. Ich muss seufzen bei dem Gedanken, was noch alles vor uns liegt. Und Marc und seine Kumpels werden in der nächsten Zeit auch nicht mehr so oft zum Helfen anrücken können. Weltmeisterschaft. War ja klar. Morgen um sechs Uhr abends ist das Eröffnungsspiel. Ich bin so ziemlich die Einzige, die keine Karte hat. Kiki wollte mich überreden, dann würde ich mal diese einzigartige WM-Stimmung erleben und es komme ja gar nicht so auf Fußball oder auf den Sieg an, sondern darauf, Spaß zu haben und neue Leute kennenzulernen. Und vor allem darauf, diese einzigartige Stimmung zu erleben, doch sie hat mich nicht überzeugt. Mich kriegen keine zehn Pferde in ein überfülltes Fußballstadion, in dem lauter Wahnsinnige und vielleicht noch ein paar Hooligans sitzen, in dem es so laut ist, dass man es zwanzig Kilometer weiter noch hört, und in dem Bier bis zum Umfallen gesoffen wird. Nein, danke. Und weil bei Fußball die Leute, warum auch immer, doppelt so verrückt drauf sind wie bei irgendeinem anderen Sport, ist das Eröffnungsspiel für mich überhaupt nichts. Somit werde ich den Abend wohl alleine verbringen müssen, aber mein Gott. Es gibt Hunderte Möglichkeiten, sich irgendwie zu beschäftigen.

      Jens, ein Kumpel von Marc, kommt in die Küche. „Der Flur ist gestrichen“, meint er, lässt sich auf einen Barhocker sinken, wischt sich den Schweiß von der Stirn und fährt sich durch die wirren blonden Haare. „Hast du irgendwas zum Trinken?“

      „Im Kühlschrank steht Wasser“, antworte ich. In der letzten Zeit ist es so warm geworden, dass ich selbst das Mineralwasser kühl lagern muss, damit ich es nicht halb siedend trinken muss.

      „Gut.“ Jens erhebt sich und schlurft zum Kühlschrank hinüber. „Wir müssen auch gleich weitermachen, damit wir die Diele heute noch schaffen.“

      „Nichts da.“ Die Tür wird erneut aufgestoßen und Sven kommt herein, beladen mit weißen Pappschachteln vom Chinesen. „Erst das Vergnügen, dann die Arbeit.“

      Nun kriecht auch Marc unter dem Sofa hervor, unter dem er die Kabel für die Stereoanlage positioniert hat. „Dafür wäre ich auch.“ Er klopft den Staub von seinen Klamotten, schlendert in die Küche und will eine der verführerisch nach gebratenen Nudeln duftenden Schachteln ergreifen, doch Sven weicht aus.

      „Erst Hände waschen“, meint er mit einem Kopfnicken auf Marcs schwarze Finger, dann stellt er die Schachteln auf der Arbeitsplatte ab und küsst mich. „Hey.“

      Ich lächele. „Hey. Wie war’s in der Uni?“

      Er zuckt mit den Achseln. „Wie immer. Nicht wirklich spannend.“

      „Kann ich verstehen“, grinse ich.

      Sven und ich führen seit drei Jahren das, was Kiki offiziell eine Beziehung nennt, und ich muss gestehen, dass ich damit eigentlich sehr glücklich bin. Blöd ist nur, dass wir uns nicht so oft sehen können, denn Sven studiert Medizin und muss deshalb oft tagelang büffeln, um irgendeine Prüfung zu bestehen. Dagegen komme ich mir mit meinem Biologielehramtsstudium mickrig vor.

      Ich nehme eine der Schachteln und ziehe den Deckel ab. Bei dem Anblick des dampfenden süß-sauren Hähnchens läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

      „Eigentlich komisch.“ Sven schnappt sich eins und steckt es sich in den Mund. „Sogar der Chinese veranstaltet Public Viewing. Ich meine, ist der überhaupt für Deutschland?“

      „Wahrscheinlich nicht“, entgegne ich. „Aber irgendwie müssen die doch ihre Kunden anlocken.“

      In letzter Zeit ist mir extrem aufgefallen, dass so gut wie jeder noch so kleine Biergarten ein Schild vor dem Haus stehen hat. WM live. Ich frage mich, ob man überhaupt irgendwo essen gehen kann, ohne dass auf einem Fernseher in der Ecke ein Spiel übertragen wird. Na, lustig, in ein paar Tagen haben Sven und ich Jahrestag und ich würde liebend gerne irgendwo hingehen, wo keine Leute im Trikot herumsitzen und die Spieler im Fernseher anfeuern oder beschimpfen. Jens hat sich eine Schachtel genommen und beißt in ein dampfendes Hühnchen. „Geht ihr zum Eröffnungsspiel?“, nuschelt er mit vollem Mund.

      „Aber hallo!“, rufen Sven und Marc gleichzeitig.

      Ich schüttle den Kopf. „Nö. Ich mach’s mir hier gemütlich. Vielleicht gehe ich auch einkaufen oder so. Dann muss ich an der Kasse wenigstens nicht Schlange stehen.“

      Jens schüttelt verständnislos den Kopf. „Du bist mir unheimlich.“

      Ich zucke mit den Schultern. „Lieber unheimlich als fußballwahnsinnig“, meine ich, nehme mir noch ein Hühnchen und setze mich auf die Küchenanrichte. „Mal was ganz anderes, Sven: Ich hoffe, du hast einen Anzug.“

      „Anzug?“ Für einen Moment starrt er mich verständnislos an. „Ach so. Ja, natürlich.“

      „Ich wollte nur sicher sein. Nicht, dass du an Emmas Hochzeit am Ende im Trikot auftauchst, weil du nichts anderes mehr hast.“

      Meine Cousine Emma heiratet nämlich in vier Tagen. Weil sie in Rottweil lebt, werden Sven und ich schon einen Tag früher fahren. Ich hab mir mein Kleid schon vor einem Vierteljahr gekauft, plus Schuhe und Schmuck, aber Sven erledigt so etwas immer auf den letzten Drücker und ich habe keine Lust, mich auf der Hochzeit für meinen Freund schämen zu müssen, nur weil er nichts Vernünftiges im Schrank hat.

      „Sag mal, ist an dem Tag nicht ein Deutschlandspiel? Haben die da einen Fernseher?“ Er sieht so ernsthaft verunsichert aus, dass ich lachen muss.

      „Dann schaust du eben mal kein Deutschlandspiel.“

      „Ey, komm, das ist ja wohl beschissen“, motzt er und auch Marc sieht etwas säuerlich aus.

      Ich fasse es nicht. „Ihr seid echt unmöglich.“ Ich stehe auf und gehe genervt aus dem Zimmer. Sollen sie sich ohne mich bei Jens ausheulen.

      „Du hasst Fußball, oder?“ Sven kommt ins Schlafzimmer und rubbelt sich im Gehen mit dem Handtuch über die nassen Haare. Er lässt sich neben mich auf das Bett sinken und sieht mich lächelnd an.

      „Ich kann dieser Sportart einfach nichts abgewinnen“, entgegne ich und verschränke die Arme vor der Brust. „Wenn man es als Hobby spielt, habe ich ja nichts dagegen, aber ich verstehe nicht, warum so ein entsetzlicher Hype darum gemacht wird.“

      „Ist halt Fußball“, erwidert Sven schlicht.

      Ich schnaube. „Aber warum? Andere Weltmeisterschaften sind nicht halb so populär.“

      „Ach, das verstehst du nicht. Wenn du dich einfach mitziehen ließest, könntest du es nachvollziehen. Weißt du, Fußball bringt Leute zusammen, Fußball vereint Nationen ...“ Sein Ton wird schwärmerisch. „Fußball-WM ist einfach ... einzigartig, verstehst du?“

      Sein Geschwafel erscheint mir eher albern, deshalb schüttele ich verständnislos den Kopf. „Nicht wirklich.“

      „Aber du würdest es verstehen, wenn du einfach mitkämst. Probier’s doch mal aus. Ich war auch kein Fußballfan, bevor ich diese einzigartige WM-Stimmung mal hautnah miterlebt habe. Und die kann man nicht beschreiben. Du musst es fühlen, um es nachzuvollziehen.“ Er legt das Handtuch beiseite und knipst die Nachttischlampe aus. Ein schwacher Streifen Mondlicht erhellt sein Gesicht. Seine Augen leuchten.

      „Das hast du auch gesagt, als du mich letztes Mal in den Free-Fall-Tower geschleppt hast. Und hinterher war mir den ganzen Tag übel, falls du dich daran noch erinnerst“, meine ich sarkastisch.

      Sven lächelt immer noch, er legt sich neben mich und streicht mir einzelne Haarsträhnen aus dem Gesicht. Seine Finger wandern über meine Wangen, fahren über meine Lippen, dann beugt er sich vor und küsst mich.