Das geheimnisvolle Verschwinden von Toni Malloni. Harmen van Straaten. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Harmen van Straaten
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783772543470
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Toni Malloni? Meister Malloni Junior?», fragte eine Stimme.

      Verwundert hob ich den Kopf. Neben dem Karussell stand ein Mann auf Stelzen. Er trug eine Augenklappe und sah aus, als wäre er gerade erst einem Piratenfilm entlaufen!

      «Woher wissen Sie, dass ich Toni Malloni bin?», fragte ich stotternd.

      Quietschend und knirschend kam das Karussell zum Stehen.

      «Alle kennen Toni Malloni», sagte der Mann. Auf seinen Stelzen wirkte er wie ein Riese.

      Ich schüttelte den Kopf. «Niemand kennt mich. In der Schule und auf der Straße werde ich von allen angerempelt oder beiseite geschubst. So als wäre ich unsichtbar. Beim Sport werde ich nie in eine Mannschaft gewählt, und einen Preis habe ich auch noch nie gewonnen. Wirklich, ich bin nicht von Bedeutung, ich zähle nicht mit.»

      «Toni Malloni», sagte der Riese und klang dabei recht erstaunt, «unterschätze dich bitte nicht.»

      Ich sah ihn fragend an.

      «Wir warten schon sehr lange auf deine Ankunft. Ein neuer, weithin berühmter Malloni. Meister der weißen Magie.»

      «Der weißen Magie?», fragte ich.

      Der Riese wedelte mit seinen Händen. «Die Kunst der schnellen Hände, die edle Form der Zauberkunst, die dein Großvater, der Großmeister der Magie, zu neuen Höhen geführt hat.»

      «Tut mir leid, aber ich muss Sie enttäuschen», sagte ich. «Ich kann rein gar nichts wirklich gut. Obwohl … Meinem Lehrer zufolge bin ich richtig gut darin, unsichtbar zu sein. Alle übersehen mich, als wäre ich Luft.»

      Der Riese schüttelte den Kopf. «Junger Herr Malloni, sag bitte nicht so eigenartige Sachen. Wir haben dein Kommen jahrelang herbeigesehnt. Die Sterne, die Karten, die Planeten, sie alle haben nur eines angezeigt: Die Ankunft von Toni Malloni steht kurz bevor. Und jetzt bist du da! Wir warten alle auf unsere Rettung.»

      «Eure Rettung?», fragte ich verwundert.

      «Aber ja! Du bist unser Held», sagte der Riese.

      Schon bei dem Gedanken wurde mir ganz heiß. «Ich weiß von nichts», sagte ich. «Ich will lediglich herausfinden, was mit meinem Großvater geschehen ist. Der hatte Zauberhände, ich nicht.»

      Der Riese fing an zu lachen – donnernd zu lachen. Er lachte so laut, dass daraus ein Orkan entstand. Schon wehte es die Blätter von den Bäumen. Auch die Regenschirme hoch über mir in der Luft tanzten. Ich musste mich gut an dem Karussellpferd festhalten, damit ich nicht weggepustet wurde.

      Das Lachen des Riesen schlug plötzlich in Weinen um. Die Tränen flossen ihm übers Gesicht, tropften an seinem Kinn herab. Er verursachte eine Sturzflut aus Tränen, und schon bald war ich völlig durchnässt. Da stand ich also. Pitschnass geregnet durch den Weinkrampf eines Riesen, der glaubte, ich könnte den Laden hier retten vor … Ja, wovor eigentlich? Wie in aller Welt war ich überhaupt in diese Lage geraten? Und auch nicht ganz unwichtig: Wie kam ich wieder heraus?

      Der Riese schluchzte immer noch leise. «So geht es mir ständig», sagte er schniefend. «Kummer und Glück gehen Hand in Hand. Ich freue mich so, dass du da bist, junger Herr Malloni. So sehr, dass es mich wieder traurig macht. Solche Momente großen Glücks sind unheimlich selten, und das finde ich sehr traurig. Glück, junger Herr Malloni, lässt dich wachsen. Schau nur mich an!»

      «Bestimmt haben Sie viel Glück gehabt», sagte ich.

      «Aber auch Kummer», sagte der Riese.

      Auf einmal wurde mir klar, woher ich den Riesen kannte. Er war auf einer der Spielkarten abgebildet, die ich auf dem Dachboden gefunden hatte! Die Karte zeigte den Riesen, der gleichzeitig weinte und lachte. Jetzt verstand ich auch, warum mir das merkwürdige Kirmesgelände so bekannt vorkam. Ich erkannte es aus den Comic-Heften, die in der Kiste meines Großvaters waren. Irgendetwas sehr Seltsames ging hier vor!

      «Kennst du das auch?», fragte mich der Riese.

      «Was meinen Sie?», sagte ich.

      «Momente des Glücks, die in Trauer übergehen», antwortete er.

      Ich musste erst nachdenken, dann nickte ich. «Neulich in der Schule hatte ich fast ein Tor erzielt. Jemand schoss mir den Ball gegen das Bein, der dann von da aus im Tor gelandet ist. Es war das erste Tor in meinem Leben, aber dann wurde es nicht anerkannt, weil ich offenbar im Abseits gestanden hatte.»

      «Nicht geschossen ist immer daneben», sagte der Riese mit einem gequälten Lächeln. Dann schniefte er, und schon wieder kullerte ihm eine Träne übers Gesicht. Der Riese nahm ein Taschentuch und schnäuzte sich lautstark die Nase, und zwar so kräftig, dass das Karussell wieder in Bewegung geriet.

      Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich wieder an dem Pferd festhalten, sonst hätte es mich abermals fast in die Luft geschleudert. Das Karussell drehte sich schneller und schneller und schneller, bis mir schwindelig wurde. Auch die Musik wurde jetzt immer wilder abgespielt. Anfangs konnte ich die Melodie noch hören, aber schon bald war es nur mehr ein Durcheinander aus falsch klingenden Tönen.

      Wo war ich bloß gelandet? Und wie kam ich jemals wieder von hier fort?

      Als das Karussell endlich zum Stehen gekommen war, war der traurige Riese auf Stelzen nirgendwo mehr zu sehen. Vorsichtig stieg ich von meinem Pferd und schaute mich um. Auf dem Rasen lag der Zylinderhut meines Großvaters. Offenbar hatte ich den während der wilden Karussellfahrt aus Versehen losgelassen.

      Neben dem Zylinder stand eine weiße Taube im Gras. War die etwa aus dem Hut gekommen? Da flatterte sie hoch und landete auf meinem Kopf.

      Igitt!

      Ich versuchte, die Taube zu verjagen, aber ihre Füßchen verwickelten sich in meinem Haaren.

      «Au», rief ich. Dann umfasste ich sie mit beiden Händen und zog sie vorsichtig los. Als ich die Taube in die Luft warf, flog sie aber nicht weg, sondern flatterte weiter über meinem Kopf.

      Rasch setzte ich Großvaters Zylinder wieder auf. Was nun? Ich starrte auf das Karussell und das Tor mit den blinkenden Leuchtbuchstaben: MALLONILAND, MALLONILAND, MALLONILAND. Ich verstand nicht, wie das sein konnte, aber es schien ganz so, als wäre ich in der Welt der Comic-Hefte gelandet. Vielleicht … vielleicht hatte es meinen Großvater ja auch hierher verschlagen, als er vor all den Jahren verschwunden war? Mir blieb nur eines übrig: Ich musste ihn suchen. Ihn – und den Ausgang.

      In der Ferne sah ich einen Weg. Mit großen Schritten ging ich darauf zu. Abgefallenes Laub raschelte unter meinen Füßen. Ich spitzte die Ohren; es war, als ob mir die Blätter etwas zuflüsterten: «Der junge Herr Malloni ist angekommen. Wir haben so lange auf ihn gewartet!»

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