»Du hättest auch baden können«, versetzte sie schnippisch.
»Ich wollte mir aber Tunis ansehen. Jeden Tag an den Strand zu gehen, finde ich langweilig.«
»Ich nicht. Das Meer ist herrlich.«
»So? Du hältst dich aber kaum im Wasser auf. Die meiste Zeit über
liegst du faul am Strand und tust nichts.«
»Na und? Ich bin schließlich im Urlaub.«
»Es würde nicht schaden, wenn du dich ein wenig für die Sehenswürdigkeiten, die es hier zu besichtigen gibt, interessieren würdest.«
»Wozu?«
»Ich merke, du willst mich ärgern«, sagte er wütend. »Auch wenn dir nichts an Hammamet liegt, könntest du mich begleiten. Ich habe meinen Filmapparat mit. Ich möchte filmen.«
»Und ich soll dabei hinter dir stehen und dir zusehen? O nein. Ich hätte einen Gegenvorschlag. Komm mit mir an den Strand.«
»Gib ein einziges Mal nach«, bat er.
Doch Lauretta schüttelte den Kopf. »Nein. Du scheinst mich mit deiner Frau zu verwechseln, die immer das tut, was du möchtest.«
»Ich verstehe dich nicht. Vorgestern warst du damit einverstanden, dass wir uns heute die Altstadt ansehen. Ich habe eingesehen, dass du nicht nach Tunis mitkommen wolltest, weil dir die Hitze unangenehm ist und weil du nicht den ganzen Tag in der Stadt verbringen wolltest. Aber ein paar Stunden könntest du heute doch opfern. Ich habe gehört, dass es in Hammamet einen Basar gibt, mit Teppichen, Silberschmuck und Messinggeräten. So groß wie der in Tunis wird er natürlich nicht sein, aber sicher würdest du einige Dinge, die dir gefallen, finden.«
»Reiseandenken kaufe ich im Hotel«, versetzte sie kurz.
Otmar Wieninger wunderte sich, dass nicht einmal die Aussicht, hübsche und überflüssige Sachen einkaufen zu dürfen, Lauretta verlockte. Das Gespräch hatte sich in gefährlicher Weise am Rande eines neuerlichen Streites dahinbewegt, und deshalb lenkte er ein. Er wünschte Lauretta einen angenehmen Vormittag und machte sich allein auf den Weg in die Altstadt, ohne zu ahnen, wie Lauretta den gestrigen Tag verbracht hatte, was sie heute beabsichtigte und welche Konsequenzen sich daraus ergeben würden. Er filmte die Stadtmauer mit dem alten Stadttor, wobei er trachtete, auch einige weißverschleierte Frauen ins Bild zu bekommen, passierte das Stadttor und schlenderte durch die engen, gewundenen Gässchen, vorbei an den kahlen weißgetünchten Mauern der Häuser. Er hätte gern die Moschee besichtigt, doch hier war Fremden der Eintritt verboten.
Schließlich blieb er bei einem Geschäft, um dessen Eingang bunte Teppiche in leuchtenden Farben hingen, stehen. Sofort eilte ein dunkelhäutiger Araber in einem langen Kaftan herbei und pries seine Ware in allen möglichen Sprachen an. An eine Flucht, ohne etwas eingekauft zu haben, war nicht mehr zu denken.
Otmar ergab sich in sein Schicksal und begutachtete die Teppiche. Dabei ertappte er sich bei der Überlegung, welcher davon seiner Frau wohl am besten gefallen würde. Er wählte einen hellen flauschigen Berberteppich mit einem geometrischen braunen Muster. Eine Weile feilschte er um den Preis, und nachdem es ihm gelungen war, einige Dinar herunterzuhandeln, gab er sich geschlagen und kaufte den Teppich, obwohl er das Gefühl hatte, dass der Händler bei diesem Kauf recht gut wegkam. Danach erstand er noch einen silbernen Armreif, den er ebenso wie den Teppich seiner Frau zudachte, denn Lauretta wagte er nicht damit zu überraschen. Er wusste, dass dieser schlichte handgearbeitete Schmuck ihren Ansprüchen nicht genügen würde.
Als er ins Hotel zurückkehrte, war von Lauretta weit und breit keine Spur zu sehen. Da er annahm, dass sie noch unten am Meer sei, beschloss er, ihr entgegenzugehen. Doch als er an den Strand kam, merkte er, dass dieser verlassen und menschenleer in der brütenden Mittagshitze dalag. Die Hotelgäste hatten sich bereits zum Mittagessen begeben. Nur einige einheimische Jungen, denen die Sonne nichts anzuhaben schien, spielten im Sand.
Otmar Wieninger suchte Lauretta danach noch bei dem mit Süßwasser gefüllten Swimmingpool, doch auch hier hatte er keinen Erfolg.
Während er im Speisesaal allein an seinem Tisch saß, zerbrach er sich den Kopf, wo Lauretta sein könnte. Es kamen ihm die absurdesten Ideen. Schon begann er, sich ernstlich zu sorgen. Wilde Geschichten, die er über den Orient gelesen oder gehört hatte, fielen ihm nun wieder ein. Wer wusste, was Lauretta zugestoßen war? Sollte er sich an die Polizei wenden? Oder würde er sich damit lächerlich machen? Es könnte einen ganz harmlosen Grund dafür geben, dass Lauretta nicht zum Mittagstisch erschienen war.
Der männliche Teil des am Nebentisch sitzenden älteren Ehepaares erlöste Otmar aus seinem Dilemma. Nachdem die beiden ihren Nachtisch verzehrt hatten, erhoben sie sich und schickten sich an, den Raum zu verlassen. Dabei mussten sie an Otmars Tisch vorbei, und da sie schon öfters einige Worte mit Otmar gewechselt hatten, blieb Herr Berger stehen und meinte:
»Hoffentlich genießt Ihre Frau heute ihren Ausflug zu Wasser, Herr Nissel.«
»Wie bitte?« Man merkte Otmar die Verwirrung deutlich an, sodass Frau Berger ihn neugierig ansah und sagte: »Mein Mann meint die Fahrt auf der schicken Jacht, die Ihre Frau jetzt gerade unternimmt.«
»Ach!« Otmar hatte sich noch immer nicht gefaßt.
»Eigentlich hat es uns ja gewundert, dass Sie nicht mitgefahren sind«, fuhr Frau Berger fort. »Wird Ihre Frau Sie nicht vermissen? Macht es Ihnen nichts aus, sie den ganzen Tag über nicht zu sehen?«
Endlich fand Otmar die Geistesgegenwart, sich zu einer passenden Antwort aufzuraffen. »Ich wollte Lauretta den Spaß nicht verderben. Ich werde nämlich sehr leicht seekrank«, sagte er, und Frau Berger gab sich mit dieser Auskunft zufrieden.
Nun wusste er also, wo Lauretta sich befand. Auf einer schicken Jacht, irgendwo auf dem Meer.
Otmar saß ganz betäubt an seinem Tisch. Seine Gedanken kreisten einzig und allein um Lauretta. Sie schien freiwillig an Bord der Jacht gegangen zu sein. Aber was hatte sie sich dabei gedacht? Und wem gehörte dieses Fahrzeug? Sollte Lauretta hier zufällig eine Freundin getroffen haben? Warum aber hatte sie ihm dann keine Nachricht hinterlassen? Sie konnte sich doch denken, dass er besorgt sein würde. Ihr Verhalten war rätselhaft. Oder doch nicht?
Jetzt fiel ihm ein, dass Lauretta sich manchmal recht impulsiv und launenhaft verhalten hatte. Auch ihr Benehmen an diesem Morgen erschien ihm nun in einem anderen Licht. Lauretta hatte es darauf angelegt gehabt, ihn zu reizen und zu verärgern. Obwohl ein Ausflug in die Stadt vorgesehen war, hatte sie darauf bestanden, zum Strand zu gehen. Sie hatte ihn zwar aufgefordert, sie zu begleiten, aber sie schien gewusst zu haben, dass er nicht nachgeben würde. Es wurde ihm nun klar, dass sie nichts anderes vorgehabt hatte, als ihn für diesen Tag loszuwerden, um ungestört ihren eigenen Wegen nachgehen zu können. Aber wohin führten diese Wege?
Noch vor dem Abendessen sollte Otmar darüber Aufklärung erhalten. Lauretta erschien aufgeräumt, mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen in ihrem Zimmer, wo er auf dem Bett lag und mit düsteren Blicken vor sich hinstarrte.
»Du geruhst also wieder aufzutauchen«, begrüßte er sie sarkastisch und richtete sich auf.
»Bitte, verdirb mir nicht meine gute Laune«, rief sie. »Ich möchte am liebsten die ganze Zeit singen und tanzen.«
»Und was ist der Grund für diesen plötzlichen Überschwang, nachdem du in letzter Zeit nur missmutig und schlecht aufgelegt warst?«
»Stell dir vor, ich war bei René Renard auf seiner Jacht. Ich kann es selbst kaum glauben.«
»René Renard?«
»Ja. Er hat mir eine Filmrolle versprochen.«
»Ach, du willst Schauspielerin werden?«
»Und warum nicht? Schließlich habe ich in München Schauspiel- und Tanzunterricht genommen. Weißt du das nicht mehr? Es war immer schon mein Traum, künstlerisch tätig zu sein, und nun verwirklicht er sich auch endlich.«
»Du