Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth Swoboda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Swoboda
Издательство: Bookwire
Серия: Sophienlust Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740971625
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vernachlässigten Kind aus. Er war hübsch und adrett gekleidet und für einen kleinen Jungen erstaunlich sauber gewaschen.

      Denise überlegte, ob er vielleicht so schlimm gewesen war, dass seine Großmutter sich bemüßigt gefühlt hatte, ihm eine Lektion zu erteilen, aber sie verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Die schüchternen blaugrauen Augen, der zarte Mund und die etwas blassen Wangen überzeugten sie davon, dass sie einen sehr braven Jungen vor sich hatte.

      »Ich weiß nicht, wie ich dir helfen soll. Erzähl mir einmal genau, was vorgefallen ist«, forderte Denise ihn schließlich auf.

      Folgsam begann Anselm zu erzählen: »Meine Großmutti wollte eine Salatschüssel und neue Suppenteller kaufen. Wir sind eine Weile herumgegangen und haben geschaut, wo das Geschirr ist. Es war furchtbar heiß, und die Leute haben uns immer wieder weggedrängt.«

      Denise nickte. Ihr selbst war es heute genauso ergangen. »Und in dem Gedränge hast du deine Großmutti verloren?«, vermutete sie, als Anselm stockte.

      »Nein. Sie hat mich doch an der Hand gehalten. Aber auf einmal ist sie stehengeblieben und hat gesagt, dass ihr schlecht ist und dass wir schnell hinaus auf die Straße gehen sollten. Dabei hat sie mich losgelassen und ist umgefallen. Ich wollte sehen, was los ist, aber da waren so viele Leute. Sie haben mich immer weiter weg von meiner Großmutti geschoben. Und dann ist ein Auto gekommen. Sie haben meine Großmutti hineingelegt und sind fortgefahren.«

      Denise war erschüttert. An die Möglichkeit, dass es sich bei der verstorbenen Frau um Anselms Großmutter handeln könnte, hatte sie nicht gedacht.

      Anselm blickte vertrauensvoll zu ihr auf. »Vielleicht kannst du mich zu meiner Großmutti bringen?«, schlug er vor.

      »Nein. Das ist nicht möglich«, erwiderte Denise. Sie wusste, der Junge hatte noch nicht erfasst, dass seine Großmutter tot war, und sie selbst fühlte sich im Moment außerstande, ihm diese Tatsache beizubringen. »Wo wohnst du denn? Ich werde dich zu deinen Eltern bringen«, sagte sie statt dessen.

      »Ich wohne in der Breitegasse Nummer drei, erster Stock, Tür siebzehn. Aber es ist jetzt niemand daheim.«

      »Arbeiten deine Eltern? Vielleicht kann ich sie an ihrem Arbeitsplatz erreichen?«

      »Meine Mami hat ein Geschäft. Einen Kosmetiksalon.«

      »Gut. Sag mir die Adresse. Wir wollen hinfahren.«

      »Es ist nicht weit von hier. Hauptstraße hundertneun. Jetzt ist aber nur Frau Kaufmann dort. Meine Mami ist auf Urlaub gefahren.«

      Denise war einen Augenblick ratlos, und dieses Gefühl schien sich auf Anselm zu übertragen, denn er begann wieder zu weinen.

      »Du brauchst nicht zu weinen, ich lasse dich bestimmt nicht im Stich«, tröstete Denise den Jungen. »Komm, wir wollen erst einmal meine Einkäufe zu meinem Auto tragen. Hilfst du mir dabei?«

      Anselm griff willig nach der Tragetasche, in der sich die Schwimmflossen und die Taucherbrille befanden, und folgte Denise. Dieser war inzwischen bewusst geworden, dass Anselm nur von seiner Mutter, nicht aber von seinem Vater gesprochen hatte. Deshalb fragte sie: »Ist dein Vater zusammen mit deiner Mutter auf Urlaub gefahren?«

      »Mein Vati? Das weiß ich nicht. Vielleicht.«

      Diese vage Auskunft überraschte Denise, aber sie wollte nicht weiter in den Jungen dringen. Doch Anselm erklärte, ohne dass sie ihn dazu aufforderte: »Leider weiß ich nicht, wo mein Vati wohnt. Er besucht uns oft am Samstag oder am Sonntag, aber ich war noch nie in seiner Wohnung.«

      Denise hielt es für klüger, auf das Thema Vater nicht näher einzugehen. Anselms Familienverhältnisse schienen etwas undurchsichtig zu sein.

      »Wir wollen einmal das Geschäft deiner Mutter und Frau Kaufmann aufsuchen.«

      Die Fahrt dorthin war kurz. Denise parkte ihren Wagen in einer Seitengasse und stieg aus. Dann übernahm Anselm die Führung. Er schien sich hier gut auszukennen.«

      »Es ist im ersten Stock. Wir müssen läuten.«

      Eine blonde, ein wenig übertrieben zurechtgemachte Frau in einem weißen Kittel öffnete. »Ja, Anselm, was machst du denn hier?«, rief sie erstaunt aus. Dann fiel ihr Blick auf Denise, die sich kurz vorstellte und dann fragte: »Sind Sie Frau Kaufmann? Ich muss mit Ihnen eine ernste Angelegenheit besprechen.«

      »Ja, gewiss, ich bin Frau Kaufmann. Darf ich Sie in unser Wartezimmer führen? In fünf Minuten stehe ich Ihnen zur Verfügung. Ich habe gerade eine Kundin, aber es wird nicht lange dauern.«

      Frau Kaufmann führte Denise in einen geschmackvoll eingerichteten Raum mit elfenbeinfarbenen Tapeten und blauen Polstersesseln. Denise merkte an Anselms Auftreten, dass nun weit sicherer war, dass er sich hier zu Hause fühlte. Er reichte Denise einige Zeitschriften und meinte höflich: »Wenn Sie sich damit inzwischen die Zeit vertreiben wollen, Frau von Schoenecker?«

      Denise lächelte. Sie war sicher, dass der Junge diesen Satz seiner Mutter oder Frau Kaufmann abgelauscht hatte.

      »Du darfst mich Tante Isi nennen, wie die Kinder in Sophienlust. Leg die Zeitungen wieder weg und setz dich zu mir. Ich werde dir von meinen Söhnen Dominik und Henrik erzählen und von unserem Kinderheim.«

      Anselm lauschte gebannt Denises Schilderung. Sie beschrieb ihm Sophienlust, das Haus und den Park, die Kinder und Schwester Regine. Sie hatte vor, ihn zu fragen, ob er mit ihr kommen wolle, um einige Tage in Sophienlust zu bleiben, bis seine Mutter von ihrem Urlaub zurückgekehrt war. Doch der Eintritt Frau Kaufmanns unterbrach ihre Erzählung.

      »So, nun habe ich Zeit. Für heute ist niemand mehr vorgemerkt. Womit kann ich Ihnen behilflich sein?« Sie sah Denise neugierig an.

      »Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Anselm hat heute seine Großmutter beim Einkaufen begleitet.« Denise zögerte. Sie bemühte sich, die richtigen Worte zu finden, um Anselm nicht zu sehr zu erschüttern. »Plötzlich ist die Frau zusammengebrochen. Ich war selbst nicht dabei, ich habe nur gehört, wie der herbeigerufene Arzt festgestellt hat, dass sie einem Gehirnschlag erlegen ist.«

      »Das ist ja schrecklich. Die alte Frau Nissel ist tot?«, rief Frau Kaufmann entsetzt.

      Denise nickte.

      »Sie ist doch immer ganz gesund gewesen. Und gar so alt war sie auch noch nicht. Ich habe sie nur immer die alte Frau Nissel genannt, um sie von meiner Chefin zu unterscheiden. Was mache ich jetzt bloß?«

      »Großmutti ist tot?« Anselm war bleich geworden. »Ich habe geglaubt, sie sei krank. Ist sie wirklich gestorben, so, wie unsere Gemüsefrau? Kommt sie nun auch nie mehr zurück?«

      »Ja, mein armer Kleiner. Was fange ich nun mit dir an, bis deine Mutter zurückkommt?« Frau Kaufmann hatte Anselm in ihre Arme gezogen, was diesem aber nicht zu behagen schien, denn er wand sich los.

      Denise schaltete sich ein: »Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wenn Anselm einverstanden ist, nehme ich ihn mit nach Sophienlust. Das ist ein Kinderheim in Wildmoos, das ich für meinen Sohn verwalte. Anselm wäre dort gut aufgehoben. Ich will mich natürlich nicht aufdrängen. Wenn Anselm Verwandte hat, bei denen er bleiben kann …«

      »Nein, die hat er eben nicht«, fiel Frau Kaufmann ihr ins Wort. »Ich kenne zumindest niemanden. Nicht einmal seinen Vater. Aber die Familienverhältnisse meiner Chefin gehen mich natürlich nichts an«, fügte sie hastig hinzu, als sie Denises ablehnende Miene bemerkte.

      Anselm hatte die Bemerkung Frau Kaufmanns über seinen Vater überhört, denn Denises Angebot, ihn mitzunehmen, beschäftigte ihn voll und ganz. »Ich darf wirklich mitkommen?«, fragte er. »Ich werde Heidi, Henrik und alle anderen Kinder kennenlernen?«

      »Ja«, versicherte Denise, »aber du darfst nicht ungeduldig sein. Ich muss mit Frau Kaufmann noch einiges besprechen. Zunächst einmal ist es notwendig, dass deine Mutter verständigt wird. Würden Sie das erledigen, Frau Kaufmann?«

      Die Angesprochene machte ein betretenes Gesicht. »Wenn es möglich wäre, würde ich es schon übernehmen. Aber ich weiß nicht,