Leo - Wismeldas Rache. Eva Haring-Kappel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva Haring-Kappel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960743019
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Platz schlich.

      Ich schätze, alle anderen waren ähnlich unkonzentriert wie ich in der folgenden Schulstunde, allerdings aus anderen Gründen. Man musste sich ab jetzt wohl Sorgen um Leo machen, denn Franz verstand in diesen Dingen bestimmt keinen Spaß. Aber ich machte mir auch Sorgen um mich, denn so bin ich nun mal.

      ***

      Der alte Dachs saß im flackernden Licht einer Kerze an einem altmodischen Schreibtisch und war tief über eine Pergamentrolle gebeugt, auf die er unablässig Noten kritzelte. Das geschah in solch einer Geschwindigkeit, als schriebe er einen Brief.

      Ab und zu hob er seinen Kopf, legte ihn ein wenig schief und schien einer Melodie zu lauschen, die es aber nur in seinem Inneren geben konnte, denn in seiner Höhle tief unter der Erde war es totenstill.

      *

      2. Kapitel

      In meiner alten Schule hatte es auch so einen Jungen wie Franz gegeben. Er hieß Herbert und war eine Klasse über mir. Auch er war viel größer und stärker gewesen und ich war ihm immer ausgewichen. Er hatte mich wahrscheinlich gar nie bemerkt, so unauffällig gab ich mich. Aber einigen anderen Kindern nahm er das Jausengeld und ihre Handys weg, wer sich weigerte, das Geld herauszurücken, der bekam die Nase blutig geschlagen. Die ganze Schule hatte Angst vor ihm und eines Tages kam die Polizei, denn er hatte, so hieß es, auch noch andere schlimme Dinge gemacht. Dann wurde er in ein Erziehungsheim gesteckt. Ich und viele andere waren sehr froh darüber. Aber mein Papa sagte, er fände das gar nicht gut, denn bestimmt gäbe es einen Grund für das Verhalten von Herbert und er bräuchte sicher viel mehr Unterstützung, als er in dem Heim bekäme. Es sei meist ein Hilferuf, wenn jemand solche Dinge täte.

      Ich habe das damals nicht ganz verstanden, aber jetzt fiel mir das wieder ein. Ob das bei Franz auch so war? Brauchte er unsere Hilfe? Nein, das konnte nicht sein, ich hatte keine Lust, mir vorzustellen, Franz helfen zu müssen. Am liebsten wäre es mir gewesen, ich könnte mich für ihn unsichtbar machen. Wenn sogar Georg sich lieber zurückhält, um Streit zu vermeiden, dann sagt das eigentlich schon alles. Normalerweise versucht Georg, jeden zu provozieren. Aber er ficht seine Schlachten mit Worten aus. Er ist sehr redegewandt und das kann ganz leicht zu einem Streitgespräch mit ihm führen. Aber Georg würde niemandem etwas zuleide tun und er unterscheidet sehr genau zwischen Recht und Unrecht.

      Wenn er mit jemandem ein Wortgefecht austrägt, dann nur, weil es derjenige verdient hat. Seine Fäuste lässt er dabei in der Hosentasche, obwohl ich glaube, er könnte, wenn er wollte, denn er ist recht groß und stark.

      So zitterte ich der nächsten Pause entgegen und dachte insgeheim, es wäre viel schöner, wieder in meiner alten Schule zu sein, auch wenn ich dort auf meine Freunde hätte verzichten müssen. Hier war ich offenbar ganz unverschuldet sofort in den Fokus des rauflustigsten Jungen der ganzen Schule geraten.

      Frau Kleinschuster erzählte und erzählte und ich hörte nicht zu. Es ging wohl um die Klassenlehrereinteilung und den Stundenplan der ersten Woche. Aber mein Herz pochte wie wild, weil ich mir stattdessen ausmalte, was dieser Franz alles anstellen würde, um mich zu piesacken, und auch für Leo würde es meiner Meinung nach nicht gut ausgehen können. Schließlich war sie jetzt ein Mensch und hatte ihre Zauberkräfte, die sie als Elfe irgendwann einmal besessen hatte, verloren. Das war ihr aber anscheinend gar nicht richtig bewusst.

      Als es zur zweiten Pause läutete und Frau Kleinschuster eilig zur Klassentür hinauslief, machte mein Herz einen richtigen Plumps, bevor es wieder wie wild zu pochen begann. Ich saß auf meinem Platz mit gesenktem Kopf und starrte auf den Tisch vor mir, der etliche Kratzer und Scharten aufwies, die ich nun aufs Genaueste betrachtete, nur um mich ein wenig abzulenken. Da war ein großes, sehr krakeliges L eingeritzt und daneben ein Smiley. Außerdem stand da: Franz ist ein Depp.

      Ich erstarrte, stand da wirklich Franz ist ein Depp? Die Schrift verschwamm vor meinen Augen und ich las nun: Sei nicht so ein Angsthase, Felix! Alles wird gut.

      Ich rieb mir die Augen und schaute zu Leo, doch die saß gar nicht mehr neben mir. Als ich voller Verwirrung wieder auf die Tischplatte vor mir starrte, entdeckte ich nur Kratzer, Schrammen und das große L. Aber ich hatte keine Zeit, mich weiterhin zu wundern, denn Georg, Wendel und Benni tauchten jetzt neben mir auf. „Da kommt er“, raunte Georg mir zu und wirklich, der Franz war direkt auf dem Weg zu uns.

      Ich beobachtete die gespannten Blicke der anderen, die das Geschehen rund um die Neuen mit unverhohlenem Interesse verfolgten.

      „Wohin hat sie sich denn verkrochen, deine schlaue Freundin?“, richtete Franz prompt das Wort an mich.

      Ich zuckte mit den Schultern, denn meine Stimme versagte ihren Dienst.

      „Mach dir nicht in die Hose vor Angst, du hast mich doch noch gar nicht von meiner schrecklichen Seite kennengelernt, aber das kommt noch, keine Sorge“, prahlte Franz.

      Ich nickte verzweifelt, und obwohl meine drei Freunde um mich herumstanden, fühlte ich mich kein bisschen sicherer.

      Das gab Franz so richtig Auftrieb. „Warte nur, nach der letzten Stunde kannst du mit meinen Fäusten Kontakt aufnehmen“, behauptete er großspurig.

      Jetzt platzte Georg der Kragen. „Da haben wir auch noch ein Wörtchen mitzureden, vier gegen einen ist zwar unfair und eigentlich nicht mein Stil, aber wenn du Felix und Leo nicht in Ruhe lässt, bleibt uns keine Wahl.“

      „Ich nehm es mit euch allen auf.“ Franz hielt Georg seine Rechte unter die Nase. „Die da bedeutet Friedhof und die da“, jetzt zeigte er seine linke Faust, „Krankenhaus. Ihr könnt es euch aussuchen.“

      „Ja, du bist wirklich stark und wunderbar, wir zittern vor Angst und im Zuge der Gleichberechtigung von Männern und Frauen machst du sicher mit deinen Fäusten auch vor einem Mädchen nicht halt, oder?“

      Wo war Leo denn so plötzlich hergekommen?

      Franz zögerte kurz, möglicherweise hatte er doch ein paar Skrupel gegenüber einem Mädchen, als er aber in Leonores freches Gesicht sah und ihren herausfordernden Blick bemerkte, waren seine Zweifel wie weggeblasen.

      Auch diesmal beendete das Läuten die Streiterei und Frau Kleinschusters Auftauchen löste die kleine Versammlung rund um mich und Leo herum wieder auf.

      Der erste Schultag nach den Ferien ist ja immer recht kurz, denn wir Schüler können uns nur langsam wieder an die Regeln und das Stillsitzen, die der Schulalltag mit sich bringt, gewöhnen. Daher war dies nun die letzte Stunde für diesen Tag und ihr könnt euch bestimmt denken, dass ich auch von dieser nicht viel mitbekommen habe, weil mir das sprichwörtliche Grauen im Nacken saß. Als dann zum letzten Mal an diesem Schultag die Glocke bimmelte, krampfte sich mein Magen zusammen, mir war richtig schlecht. Wie sollte ich das Folgende bloß überstehen?

      „Du bist käsebleich“, stellte Leo neben mir fest.

      Langsam verließen wir die Klasse, dicht gefolgt von Georg, Wendel und Benni. Als wir durch das Schultor ins Freie traten, gesellte sich auch Anna zu uns, Leo war in der zweiten Pause kurz bei ihr gewesen und hatte ihr von der Aktion, die Franz zuvor geliefert hatte, erzählt, so wusste sie schon Bescheid. Franz und sein Kumpan Jo waren vorerst nirgends zu sehen.

      „Gemeinsam sind wir stark“, machte mir Georg Mut. „Wir gehen jetzt einfach mal los, so als wäre nichts, und dann werden wir weitersehen“, bestimmte er.

      Zusammen verließen wir also den Schulhof und marschierten in Richtung Dorf. An der unübersichtlichsten Stelle, der Wegbiegung bei der Kirche, die auf einer kleinen Anhöhe thront, lauerten Franz und Jo. Wir hatten sie zuerst nicht gesehen, weil rund um den Friedhof, der hinter der Kirche liegt und von einer hohen Mauer umgeben ist, viele Bäume gepflanzt sind und die beiden sich dort verborgen hatten. Nun sprangen sie hervor wie Kistenteufel und schrien, was das Zeug hielt.

      „Stehen geblieben, ihr müsst Weggeld zahlen, sonst gibt es kein Weiterkommen! Wer nicht zahlt, wird vermöbelt!“, brüllte Franz und Jo grinste boshaft.