Coyote. Jens-Uwe Sommerschuh. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens-Uwe Sommerschuh
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783943857047
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schlug vor, ins Vesuvio zu gehen, »wo ein Bier ausgegeben werden könnte«.

      Wir trotteten die Columbus runter. Plötzlich ging es nicht weiter, weil Paramount Pictures eine jener Szenen filmte, in denen der Held in jäher Aufwallung männlichen Mutes am helllichten Tage und auf offener Straße die Blondine auf den Mund küsst, woraufhin die ihm eine donnert. Auf offener Straße hieß in diesem Falle vorm dekorativen Eingang des Vesuvio. Die Blondine schimpfte, weil ihr nach zwei Stunden freudloser Wiederholung die Hand und der Mund wehtaten, doch der Regisseur spielte neckisch an seinem Goldkettchen und beharrte auf der siebenundzwanzigsten Klappe, worauf die Blondine einen Flunsch zog, aber artig in Stellung ging, nachdem die vier Süßen von der Maske ihre Lippen in Ordnung gebracht hatten.

      Vickie trat von einem Bein aufs andere. Bekker lächelte, soweit das unter dem Helm und den beiden Brillen zu erkennen war. Johann knurrte, er wolle jetzt ein Bier.

      »Ich pinkel gleich ein«, ächzte Vickie. »Können wir denn nicht in einen anderen Laden gehen?«

      »Nein«, sagte Johann schlicht, »ich will jetzt hier ein Bier.« Er latschte einfach drauflos, gerade, als der Regisseur »Film ab« rief. Er spazierte mitten durch den Set, und statt der Ohrfeige hatten sie nun Johann im Kasten, wie er die Blondine rüberschob, sodass der Held danebenküsste und die Blondine, seine Wange verfehlend, ihm die Sonnenbrille von der Nase fegte, eine Armani, die gleich darauf unter die Räder kam und auf dem Asphalt der Columbus knirschend verendete.

      »Scheiße«, brüllten mindestens zwei Dutzend Hollywood-Typen im Chor, »das kann doch nicht wahr sein« und diese Sachen. Goldkettchen aber rief: »Harrrh! Im Kasten! Das warrr’s!«

      Wir setzten Johann nach, der nicht wusste, dass er ein Jahr später in den Kinos Amerikas vor Millionen Augenpaaren über die Leinwand huschen würde, Statist in »Aber nicht mit mir«.

      »Scheiße«, sagte der Barkeeper, »so geht das hier Woche für Woche. Prima Reklame für eine Bar, in die du meistens nicht reinkommst, weil da grad prima Reklame gedreht wird. Wie geht’s, was wollt ihr ’n haben?«

      »Für mich eine Bloody Mary«, rief Vickie und eilte zur Treppe.

      Bekker wünschte einen ganz speziellen Saft namens Femme Vitale, mit Eisen, Magnesium und all diesen harten Stoffen, doch leider führten sie den hier nicht, und so begnügte er sich mit ordinärem Kirschmost, ohne Quecksilberextrakt, Platinstreusel und gehäckselte Diamanten, diese Zutaten, die einen Energy Drink erst aus der grauen Masse herausheben.

      Johann und ich orderten Bass Ale, ein Bier, das von Natur aus rotblond ist und auch so riecht.

      »Wie hast du sie gefunden?«, fragte ich Johann, nachdem wir uns oben auf der Galerie in die Fensternische gepflanzt hatten.

      »Nach Bekker brauchte ich nicht lange rumzufragen«, meinte Johann und setzte das leere Pintglas ab. »Bekker ist einer, den viele kennen und der alles sieht. Erst wollte er nicht mit der Sprache raus«, Bekker nickte stolz, »doch nachdem wir entdeckt hatten, dass unsere Ansichten über das Wetter und über das Denken …«

      »Es braucht fünf Jahre«, hob Bekker an, doch Johann unterbrach ihn.

      »Schon gut, mein Junge. Jedenfalls wusste er von ihr und wusste auch, in welche Richtung sie …«

      »Sie ist schön wie der Regen«, sagte Bekker, und ich fragte mich ernsthaft, ob er schon mal kanariengelben Regen gesehen hatte. »Ich muss jetzt hinaus in die Sonne«, sagte er und schob den Stuhl zurück, »Freunde treffen. Decken auf dem Gras, eine Nacht lang ohne Haus – reich nur durch den Mond. Ryôka.« Er lächelte dem Eichhörnchen zu. »Sag nichts, Abendröte. Komm.«

      Abendröte hatte gar nichts sagen wollen. Bevor die beiden die Treppe hinab verschwanden, winkten sie uns noch mal zu, einfach so.

      »Ich gehe dann auch«, meinte Johann. Leise fügte er hinzu: »Bekker hat mich zum Red Victorian geführt, diesem klatschbunten Hotel in der Haight Street. Und dort war sie tatsächlich mit Sack und Pack eingezogen. In eine Zwohundert-Dollar-Suite, wie Bekker meinte. Der Hotelboy hat’s mir für einen Zehner bestätigt. Es ist die Pfauensuite, das Richtige für Ali Baba und seine Liebe oder für dich und die deine … So werben die jedenfalls dafür. Vickie selbst saß im Foyer und staunte kein bisschen, als wir aufkreuzten und ich sie fragte, ob sie dich wiedersehen will. Ich würde mich übrigens vorsehen mit Bekker. Ich glaub, der tut nur so. Wer weiß, wer dem das Eichhörnchenfutter bezahlt.«

      Und dann hatten sie mich alle sitzen lassen. Vickie war noch immer nicht vom Klo zurück.

      7

      Ich schaute aus dem Fenster auf Schilder und Leuchttafeln, die allerhand verhießen: Live Nude Girls, Live Exotic Strip Review, Bite The Bacon, Pearl’s Jazz Bar und was sich hier noch so bot. Gegenüber lag in einer Sackgasse versteckt der Eingang zum Specs, er war von einem einsamen Großstadtbaum verdeckt. Mir zu Füßen packte Paramount Pictures ein, wahrscheinlich warteten an der nächsten Ecke schon die Warner Brothers, dass die Kreuzung frei wurde. Jemand fotografierte die Fassade des Vesuvio. Jemand fotografierte das Straßenschild mit dem Namen von Jack Kerouac. Jemand fotografierte das Fenster, an dem ich saß.

      »Razzia, du Coyote«, sagte Vickie, die sich angeschlichen hatte und erleichtert wirkte, sie schniefte gut gelaunt. »Lass uns eine Razzia veranstalten und alle Missverständnisse verhaften. Erstens: Wo ist meine Bloody Mary?«

      »Unten.«

      Ich hatte das Zeug wirklich am Tresen vergessen. Unten war das erste Wort, das ich seit dem Tassensterben an sie richtete, ich fand, dass es ganz gut passte. Sie war so schlau, sich den Drink selbst zu holen.

      »Razzia, du Fiesling«, meinte sie, als sie zurückkam. »Ich bin auf dem besten Wege, dir diesen verdammten Schlüpfer zu verzeihen, falls du mir sagst, wo die Schlange wohnt, die ihn für dich abgestreift hat. Ich werde ihr die Augen auskratzen. Ich werde sie häuten.«

      »Vergiss es«, knurrte ich gequält. Ich spürte, wie das Stückchen Seide in meiner Jacke heiß wurde, gleich konnte es in Flammen aufgehen.

      Vickie schwenkte drohend ihre Bloody Mary.

      »Hör doch auf«, sagte ich. »Die Eignerin habe ich hundert Jahre nicht gesehen. Ich wusste gar nicht, dass ich dieses Teil noch habe.«

      Das war nun wirklich gelogen. Ich hatte kaum einen Tag verstreichen lassen, ohne mit den Fingerspitzen nach der Seide zu tasten. Wahr blieb, dass dies Vickie wirklich nicht tangierte. Ich fand, sie war im Großen und Ganzen nicht zu kurz gekommen. Dennoch beschloss ich, das Thema zu wechseln.

      »Gestern hatten wir Post«, sagte ich scharf und wurde deutlicher. Auch auf die Fotos kam ich zu sprechen. Wie konnte uns ein Italiener derart auf die Schliche gekommen sein, dass es ihm fast gelungen war, uns ans Messer zu liefern? Woher hatte der unsere Adresse?

      Vickies Nasenspitze war jetzt, abgesehen von den Sommersprossen, weiß wie der Nebel, der hier abends durch die Stadt zieht. Ihr bleiches Gesicht und ihr heller Schopf kontrastierten mit dem blutroten Drink, an dem sie hektisch nuckelte, als wären die Antworten per Strohhalm zu haben.

      »Morbo«, murmelte sie. »Morbo, Morbo, Morbo.«

      Ja, natürlich! Wieso nur war ich nicht selbst drauf gekommen?

      »Razzia«, zischte ich, froh drüber, den Spieß umdrehen zu können. Es war kein Spaß mehr. Es ging auch nicht mehr nur um das Geld. Es ging uns an den Kragen. »Du hast ihm irgendwas gesteckt. Du hast dich verplaudert. Du …«

      »Hör auf«, schrie sie. »Gesteckt, verplaudert … Du spinnst wohl. Es stimmt, dass ich mich in Venedig ein paarmal mit ihm getroffen habe …«

      »Weiß ich«, knurrte ich.

      »Quatsch nicht dazwischen! Schließlich kannte ich ihn, lange bevor du … Und ich …«, kleines Effektpäuschen, »ich bin keine Frau«, sie hob die Brauen, »ich bin keine, die so eine Beziehung einfach abstreifen kann wie einen alten Slip.«

      Ich schluckte, erwiderte aber nichts.

      »Jedenfalls