Herz gegen Vernunft. Nora Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nora Wolff
Издательство: Bookwire
Серия: Co-Working-Space
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238459
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      Er lacht leise, aber es klingt immer noch nicht gemein. »Ist doch okay. Ich beschwer mich sicher nicht. Aber apropos Hunger. Ich hol mal schnell die Pizza, dann kannst du dich anziehen.« Seine Schritte entfernen sich.

      Ich lasse die Hand sinken und sehe ihm nach. Die klobige Rollerjacke hat seine athletische Statur größtenteils verborgen, aber was sie angedeutet hat, bestätigt sich nun. Ein großer, sportlicher Mann mit Schultern, die zwar nicht so breit sind wie Kevs, aber nichtsdestotrotz einen attraktiven Kontrast zu den schmalen Hüften bilden. Lange Beine. Ein sensationeller Hintern.

      Ich ertappe mich beim Seufzen. Kopfschüttelnd stelle ich das Wasserglas aufs Regal hinter mir, lege die Rollerjacke beiseite und stehe auf.

      Es ist völlig albern, dass er mir nach allem, was eben zwischen uns gelaufen ist, Privatsphäre beim Anziehen verschaffen will.

      Es sei denn, er meint es nur gut, weil ich mich aufführe wie ein Trottel. Ist wahrscheinlich auch der Grund, warum er noch bleibt. Er will sichergehen, dass ich nicht doch noch umkippe, sonst könnte er sich einfach seine Jacke schnappen und gehen.

      Mit einem Taschentuch beseitige ich das Sperma von meinem Körper, das noch nicht getrocknet ist, und kontrolliere die Sitzfläche des Stuhls. Keine Flecken. Zum Glück.

      Ich ziehe Pants und Jeans wieder hoch. Zu Hause muss ich dringend duschen. Dann sehe ich mich um und finde meinen Pullover und das T-Shirt eine gute Wurfweite neben dem Schreibtisch am Boden.

      Während ich beides aufsammle, fällt mir der Mülleimer unter dem Tisch ins Auge. Ich spähe hinein und entdecke das verknotete Kondom sowie zwei Folienverpackungen zwischen einigen weggeworfenen Notizen und der Verpackung des Sandwichs, das ich mir irgendwann heute Nachmittag aus dem Automaten gezogen habe.

      Kurz ringe ich mit mir, ob ich die verräterischen Überreste in einer Mülltonne draußen entsorgen oder gleich die ganze Mülltüte mitnehmen soll, als seine Schritte durch den Co-Working-Space zurückkehren.

      Um nicht wie ein noch größerer Vollidiot rüberzukommen, richte ich mich schnell auf. Dabei fällt mein Blick auf den Schreibtisch. Scheiße. Überall Spermaflecken. Sogar auf der Tastatur. Und der Flyer von Tonis Trattoria hat auch Einiges abbekommen. Wenn ich noch das hinzuzähle, was auf meinem Körper gelandet ist, ist das verdammt viel Sperma für einen einzelnen Orgasmus.

      »Die ist inzwischen natürlich kalt.« Unbekümmert wirft er die Schachtel mitten auf den Schreibtisch, sodass der Flyer zu Boden segelt. »Aber wie gesagt, sie schmeckt auch kalt. Allerdings gehör ich sowieso der Fraktion an, die auf kalte Pizza steht, also...« Er zuckt die Schultern.

      »Hm.« Ich bücke mich, um den Flyer aufzuheben, und klappe dann den Karton auf. Salami. Beim letzten Mal hatte ich eine Prosciutto mit Champignons. Ich bin nicht besonders experimentierfreudig. Mit den Standards macht man meistens nichts falsch. »Willst du auch?«

      Er grinst. »Dachte schon, du fragst nie. Ich bin am Verhungern.«

      Ich mache eine einladende Handbewegung. »Greif zu.«

      Er schenkt mir ein dankbares Lächeln und schnappt sich eins der vorgeschnittenen Achtel. Nachdem er mir vor wenigen Minuten noch so nahe gewesen ist, fühlt es sich nun höchst seltsam an, dass der Schreibtisch zwischen uns steht.

      Eigentlich fühlt sich die ganze Situation seltsam an. Was schreibt das Protokoll für derartige Quickies vor? Wobei... Quickie? Unauffällig versuche ich, einen Blick auf meine Armbanduhr zu werfen. Heilige Scheiße. Mittlerweile ist es Viertel nach elf. Wann ist er unten vor der Eingangstür aufgetaucht?

      »Ich weiß, so was fragt man normalerweise vorher, aber wie heißt du überhaupt?«

      »Anton.«

      »Anton«, wiederholt er nickend und mustert mich kurz. »Du kommst aber nicht aus Tirol, oder?« Noch bevor ich den Mund aufmachen kann, schüttelt er den Kopf und gestikuliert mit seinem Pizzastück. »Scheiße, vergiss es. Das war superflach. Schätze, du machst mich immer noch nervös.«

      Mir klappt die Kinnlade runter. »Ich mache dich nervös?«

      »Klar. Ist dir das noch nicht aufgefallen?«

      »Ich, äh... nein?«

      »Nein oder nein?«

      »Nein.« Er verwirrt mich. »Es ist mir nicht aufgefallen.«

      »Gut.«

      Er zögert. Für den Bruchteil einer Sekunde sieht er mich abwartend, fast auffordernd an. Ich stehe ihm mit meinem Pizzastück in der einen und dem vollgesauten Flyer in der anderen Hand gegenüber und kann ihn nur ansehen. Ich fühle mich immer noch zu ihm hingezogen. Er hat etwas an sich, das mich fesselt, und das geht weit über seine hübschen Augen und das sexy Lächeln hinaus – auch wenn Letzteres gerade eher verunsichert wirkt.

      Er räuspert sich. »Ich bin übrigens Chris.«

      »Oh. Klar.« Idiot. Ich hätte ihn ja auch mal selbst fragen können. »Hi.«

      Eine merkwürdige Stille breitet sich zwischen uns aus. Ich weiß nicht, ob er erwartet, dass ich noch etwas sage, aber ich fühle mich fast dazu gedrängt. Ich will nicht, dass er sich plötzlich umdreht und geht, einfach so. Trotz der befremdlichen Stimmung genieße ich seine Gesellschaft.

      »Du bist also nicht der, äh... namensgebende Toni.« Ich schwenke den Flyer.

      »Zum Glück nicht. Toni sieht aus wie ein Bierfass und isst seine Pizzen fast so gerne selbst, wie er sie backt.«

      »Du siehst definitiv nicht wie ein Bierfass aus.«

      »Das ist dir aufgefallen – trotz Rollerjacke und obwohl du mich kaum angefasst hast?« Er grinst mich frech an. »Süß, dass du immer noch rot wirst.«

      Diese verdammte Hitze in meinen Wangen. Ich lege den Flyer auf den Schreibtisch und reibe mir übers Gesicht, aber vermutlich macht es das nur schlimmer.

      »Wow, der hat ja ganz schön was abgekriegt.« Er tippt auf den Flyer, während er sich den Rest seines Pizzaachtels in den Mund schiebt.

      Der Themenwechsel wirkt etwas bemüht, als wüsste er auch nicht so ganz, wie er den Absprung schaffen soll. Mache ich es ihm so schwer? Oder will er vielleicht auch noch nicht gehen?

      »Ja. Nicht schlimm. Inzwischen ist die Nummer in meinem Verlauf gespeichert. Und um die Fotos ist es eh nicht schade.«

      Das hört sich an, als würde ich mangels eines Gesprächsthemas übers Wetter referieren. Ich versuche mir vorzustellen, wie Joscha oder Kev sich in so einer Situation verhalten würden, aber wahrscheinlich hätten sie es gar nicht erst so weit kommen lassen, dass es merkwürdig wird.

      Chris neigt den Kopf. »Wie meinst du das?«

      Oh, verflucht. »Ich wollte damit nicht sagen, dass sie schlecht sind, weil du auf den Fotos bist«, sage ich schnell. »Das bist doch du, oder?«

      Er nickt. »Sieht man das nicht?«

      »Na ja. Nicht wirklich. Die Bilder haben eine grauenhafte Qualität. Ehrlich gesagt sieht der ganze Flyer aus wie von einem Kindergartenkind zusammengeschustert.«

      Er hebt die Augenbrauen an. »Einem Kindergartenkind. Okay.« Sein Gesichtsausdruck wird nachdenklich. »Das wirft jetzt ein ziemlich seltsames Licht auf das, was wir hier gerade auf deinem Schreibtisch getrieben haben.«

      In meinem Magen flattert es nervös. »Hm?«

      »Ich bin nicht nur auf den Fotos drauf, ich hab sie auch gemacht. Den Flyer auch.«

      Oh.

      Ich erstarre. Mist. Scheiße. Warum konnte ich nicht einfach die Klappe halten? Wahrscheinlich ist der Flyer sein ganzer Stolz.

      »Ähm, ich... das... der Flyer hat ja keinen Einfluss auf die Qualität der Pizza, aber es wirkt etwas... äh...« Ich kann unmöglich unprofessionell sagen. »Du hast dir bestimmt sehr viel Mühe gegeben. Und das sieht man auch. Auf den zweiten Blick. Oder den dritten. Und eigentlich ist es auch egal, weil...«