Herz gegen Vernunft. Nora Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nora Wolff
Издательство: Bookwire
Серия: Co-Working-Space
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238459
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Oder Jahre.

      Kinderspiel.

      »Meinst du so was hier?«

      Ich habe nicht mitbekommen, dass Anita mit ihrem Handy herumhantiert hat, aber jetzt hält sie es mir über den Esstisch hinweg unter die Nase. Sie hat eine bekannte Design-App abgerufen, die mein größter Konkurrent werden wird.

      »Genau.«

      »Hm.« Sie schürzt die Lippen und zieht den Arm zurück. »Das war nur der Toptreffer. Dir ist schon klar, dass es ungefähr tausend von diesen Design-Apps gibt?«

      Meine Mutter sieht mich schockiert an. »Hast du im Vorfeld etwa keine Marktanalyse gemacht?«

      »Doch, natürlich. Und es sind keine tausend. Die meisten sind außerdem ziemlich schlecht.«

      »Und deine nicht?«

      Ich werfe Anita einen vernichtenden Blick zu. »Meine nicht, nein.«

      Sie tippt und wischt auf ihrem Handy herum. »Für mich sehen die alle ziemlich gleich aus. Allein letzte Woche sind zwei neue Apps dieser Kategorie dazugekommen.«

      Ich stutze. Gleich zwei? »Aha?«

      »Wow, die sieht hübsch aus. fotogramma. Aufsteiger der Woche. Oh, wie cool. Es gibt sogar animierte Video-Tutorials.« Sie grinst ihr Display an, weil die Videos wohl sehr lustig aussehen, während sich mein Magen verkrampft. Dann blickt sie mich über das Handy hinweg an. »Hast du nicht gerade gesagt, dass du so was auch machen willst? Da ist dir wohl jemand zuvorgekommen.« Sie hält mir das Gerät wieder hin.

      Ich schlucke. Die letzten Sekunden eines Videos laufen noch. Eine kleine Maus mit Baskenmütze und Pinsel in der Hand beendet eine Erklärung mit einem Pinselstrich, der die Kameralinse voll kleckst. Oh Scheiße. Das ist echt niedlich.

      Auch das Design sieht gut aus. Verspielt genug, um sich gegenüber dem Marktführer abzugrenzen, aber clean genug, um trotzdem professionell zu wirken. Mit anderen Worten: perfekt. Dagegen versprühen meine stümperhaften Versuche den Charme einer Kinder-Wachsmalkritzelei.

      Ich zucke zusammen, als meine Mutter mir unerwartet sanft eine Hand auf den Arm legt. Sie ist nie der fürsorgliche Typ gewesen. Trösten oder einfühlsame Gespräche führen liegen ihr nicht so sehr wie analytische Hilfestellung bei Hausaufgaben oder das Aufstellen von nüchternen Pro-und-Contra-Listen.

      Das bedeutet, dass ich noch geschockter und niedergeschlagener aussehen muss, als ich mich fühle.

      Sie wirft einen Blick zur Küchentür, hinter der mein Vater geräuschvoll die Spülmaschine einräumt. »Auch wenn dein Vater es etwas ungeschickt ausgedrückt hat: Wenn du deinen Fehler eingesehen hast, kannst du jederzeit an deinen Schreibtisch zurückkommen. Ich helfe dir auch bei der Arbeit, die sich bis dahin angesammelt hat, versprochen.«

      Ich lächle gequält. Auch wenn sie es zweifellos nett meint, sind das nicht die Worte, die ich von ihr hören will.

      Kapitel 5

      »Das ist schon die zweite Woche.«

      Verwirrt sehe ich auf, muss jedoch ein paarmal blinzeln und warten, bis sich meine Augen vom hellen Mac-Bildschirm auf den dunklen Co-Working-Space umgestellt haben. Draußen vor den Fenstern ist es genauso stockfinster.

      Joscha steht in seiner Lederjacke vor meinem Schreibtisch und ist offensichtlich auf dem Sprung. Keine Ahnung, wann die anderen Co-Worker gegangen sind. Irgendwo höre ich es noch leise tippen, aber da ich kein Licht brennen sehe, muss der Workaholic wie ich in einer der abgeschirmten Nischen sitzen.

      »Entschuldige, was hast du gesagt?«

      »Das ist schon die zweite Woche, die du bis weit nach acht arbeitest. Wenn das so weitergeht, weißt du irgendwann nicht mehr, wie Tageslicht aussieht.«

      Ich lächle schief. »Die Sonne geht gerade auf, wenn ich morgens das Haus verlasse. Zählt das?«

      Joscha lächelt nicht. »Im Ernst, Anton. Das ist nicht gesund. Gönn dir mal eine Pause.«

      Eine Pause? So kurz vor dem Launch? Ich muss nur noch zwei, drei Stellschrauben justieren und mir ein witziges Gimmick für die Tutorials ausdenken. Irgendwas, das nicht nach einem Klon von fotogramma aussieht, der App, auf die Anita vorletzten Sonntag gestoßen ist. Eine App, die in den letzten zwei Wochen massive Downloadzahlen generiert hat.

      Das hätte meine Erfolgsgeschichte sein sollen. Aber ich war zu langsam und jetzt ist es zu spät. Also brauche ich etwas Besseres. Ich weiß zwar noch nicht, was, aber jetzt reicht es nicht mehr, eine hübsche, funktionstüchtige App auf den Markt zu bringen. Jetzt brauche ich irgendwas mit Wumms, sonst kann ich einpacken – im wahrsten Sinne des Wortes, denn dann werde ich demnächst an einem anderen Schreibtisch sitzen und wieder für jemand anderes arbeiten.

      »Anton.«

      »Was?« Ich sehe auf. Joscha hat die Hände auf den Schreibtisch gestützt und sieht mich besorgt an. »Ja?«

      »Geh nach Hause. Du bist echt durch.«

      Ich linse zur Uhr auf meinem Bildschirm. »Sagt derjenige, der selbst noch um halb zehn hier ist.«

      Joscha richtet sich wieder auf. »Ich hatte noch ein Gespräch mit Robert.«

      »Ein Gespräch oder ein Gespräch?«

      Er verdreht die Augen. »Fang du nicht auch noch an. Mir reichen schon Kevs Anspielungen.«

      »Na ja, in einem Punkt hat er recht: Robert ist heiß.«

      »Ich bin froh, dass dir das noch auffällt. Das macht mir Hoffnung für deine Zukunft.«

      Und plötzlich taucht wieder der Pizzabote in meinem Kopf auf, obwohl er Robert absolut nicht ähnlich sieht. Ein schwaches Flattern steigt in meiner Brust auf, das seinen Ursprung jedoch deutlich weiter unten hat.

      »Ich habe beim Reingehen die Sofas gesehen... Wenn's dir ähnlich geht, könnten wir uns einfach rübersetzen und...«

      Gott, allein seine Stimme in meiner Erinnerung klingt nach purer Versuchung. Hat sie das in Wirklichkeit auch oder bauscht meine Einbildung das bloß auf?

      Erst als Joscha sich räuspert, merke ich, dass ich offenbar schon wieder ins Leere gestarrt habe, während sich in meiner Fantasie der Anfang eines Pornos abgespielt hat. Der Pizzabote und der Workaholic. Pizza, Sex und Espresso auf der Sofalandschaft. Ausgeliefert und heiß vernascht.

      Oh Gott. Ich reibe mir übers Gesicht. Mein Hirn ist Matsch.

      »Du kannst ja kaum noch geradeaus gucken. Geh nach Hause«, wiederholt Joscha. »Und bleib da. Mindestens achtundvierzig Stunden. Manchmal hilft etwas Abstand und sich abzulenken. Gerade steckst du so tief drin, dass du die Einsen vor lauter Nullen nicht siehst.«

      Ich ringe mir ein Lächeln ab. Der Vergleich ist gut, auch wenn es bei meinem Projekt um ein bisschen mehr als ein paar Einsen und Nullen geht.

      »Ich mach hier nur noch was fertig. Dann gehe ich.«

      Joscha sieht nicht überzeugt aus, aber er sagt nichts weiter dazu, verabschiedet sich und verschwindet durch den dunklen Co-Working-Space Richtung Ausgang. Das leise Tippen, das ich eben noch gehört habe, ist inzwischen verstummt.

      Wieder mal der Letzte. Yay. Gibt's dafür auch eine Plakette im Stil vom Mitarbeiter des Monats?

      Ich reibe mir die brennenden Augen und will mich wieder auf den Bildschirm konzentrieren, der mir aber plötzlich viel heller als noch vor ein paar Minuten vorkommt. Das Licht scheint sich durch die Netzhaut direkt in mein Gehirn zu brennen und dort ein paar Nervenzellen abzuschießen.

      Ich schließe die Augen und wende kurz das Gesicht ab, ehe ich es erneut versuche.

      Gleiches Ergebnis.

      Scheiße. Vielleicht brauche ich wirklich eine kurze Pause.

      Oder einen Kaffee.

      Einen Espresso.

      Genau. Lassen