BAT Boy. C. A. Raaven. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: C. A. Raaven
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783982064529
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eines etwas abseits gelegenen Hauses. Zu ihrer großen Freude entdeckten sie außerdem eine riesengroße Dachterrasse, von wo sie einen fantastischen Blick über Baumwipfel und Meer hatten. Als Lucas später in seinem Bett lag und durch ein Fenster auf die wunderschöne Landschaft schaute, die draußen allmählich in Schatten versank, fühlte er sich unendlich glücklich und zufrieden. Um auszuschließen, dass dies alles nur ein Traum war, aus dem er wieder erwachen musste, kniff er sich kräftig in die Wange. Der sofort aufflammende Schmerz war definitiv dazu geeignet, ihn in die Wirklichkeit zurückzubringen. Leider verebbte dieser nicht wieder, sondern behielt auch Minuten später eine unangenehme Intensität.

      Das kann ich so nicht lassen.

      Er stand auf und ging ins Bad, um sich ein feuchtes Handtuch zum Kühlen zu holen. Wenn ihn der Schmerz nicht bereits in die Realität befördert hätte, dann wäre er spätestens beim Blick in den Spiegel dort angelangt. Das, was Lucas sah, ließ ihn vor Schreck die Augen weit aufreißen: Auf seiner rechten Wange prangte ein beachtlicher tiefroter Bluterguss. Dort, wo sich die Fingernägel in sein Fleisch gegraben hatten, befand sich sogar etwas Blut.

      Verdammte Sch..., fuhr es ihm durch den Kopf. Was hab ich denn da gemacht? Hab ich wirklich so stark zugedrückt?

      Aber egal, warum es dazu gekommen war, so ließ sich der Effekt doch nicht übersehen. Ein feuchtes Handtuch würde schwerlich genügen, um den Schaden, den er sich selbst zugefügt hatte, zu beheben. Lucas blickte sich hilfesuchend um, als es klopfte. Seine Eltern konnten das nicht sein, die hatten einen Schlüssel. Also ging er zur Tür und öffnete sie. Draußen stand ein Zimmermädchen mit einem glänzenden Gegenstand in den Händen. Sie setzte sofort zu einem wahren Redeschwall an. Darin ging es um ihre Schwester, ihren Verlobten und eine ganze Kette von unglücklichen Umständen, die letztendlich dazu geführt hätten, dass sie es noch nicht geschafft hatte, ihnen als neuen Gästen den Willkommens-Sekt aufs Zimmer zu bringen. Lucas versicherte ihr ebenso wortreich, dass seine Eltern ihr das nicht übel nehmen, sondern sich im Gegenteil sogar herzlich bedanken würden. Schließlich übergab sie ihm den Sektkübel, in dem sich eine eisgekühlte Flasche befand, und verließ ihn sichtlich erleichtert.

      Als er gerade die Tür geschlossen hatte, meldete sich eine Stimme aus seinem Hinterkopf: Du hast es schon wieder getan.

       Was habe ich schon wieder getan?

       Italienisch geredet. Du glaubst doch wohl nicht, dass die dich verstanden hätte, wenn du Deutsch gesprochen hättest. Außerdem sprach sie ja auch Italienisch.

      Das hatte sie tatsächlich. Und er hatte sie verstanden. Die Erklärung, die er sich und seinen Eltern vorhin gegeben hatte, war mit einem Mal wie weggewischt. Zurück blieb nur das unbestimmte Gefühl, dass etwas in ihm vorging, was er selbst nicht unter Kontrolle hatte. Seufzend trug Lucas den Kübel zum Tisch, wo er ihn abstellte. Dabei fiel sein Blick auf das darin langsam vor sich hinschmelzende Eis.

       Bingo! Das ist wesentlich besser, als nur ein nasser Lappen.

      Er nahm sich drei Eiswürfel, wickelte sie in das Handtuch, das er immer noch in der Hand hielt, und begab sich wieder ins Bett. Dort fing er an, die puckernde Wange zu kühlen, während seine Gedanken um die Seltsamkeiten des Tages kreisten. Aber dann forderte der lange ereignisreiche Tag seinen Tribut, und er versank in traumlosem Schlaf.

      Der nächste Morgen dämmerte golden heran, als Lucas wieder erwachte. Er schlug die Augen auf, sah durch das Fenster das sanfte Grün der Bäume und lächelte still vor sich hin. Dann stand Lucas leise auf. Er ging auf die Terrasse, um den Anblick der aufgehenden Sonne zu genießen. Eine Weile lang stand er einfach nur da. Wie ein Schwamm sog er den Frieden dieses Augenblicks in sich hinein, als ob er ihn dort sicher für schlechte Zeiten aufbewahren wollte. Sonnenaufgänge hatte er schon immer geliebt. Da hörte er, wie sich seine Eltern noch ein wenig schlaftrunken unterhielten, und ging wieder ins Zimmer zurück, um sich umzuziehen. Das wunderbare Gefühl von Urlaub genießend schlenderten sie zusammen den Weg zum Restaurant entlang, um zu frühstücken. Wiederum erwies sich die Hotelanlage als gut ausgestattet. Es gab alles, was man für einen Start in den Tag gebrauchen konnte: frisch gepressten Orangensaft, eine Auswahl von Müsli und Cornflakes, verschiedene Eiergerichte und eine große Auswahl an Brot. Das ausgedehnte Frühstück weckte Lucas‘ Lebensgeister erst so richtig. Er beschloss, sich nun den Rest des Hotelgeländes anzusehen, denn dazu hatte er gestern nach der unangenehmen Fahrerei keine rechte Lust gehabt. Er ging zur Rezeption, um nachzusehen, ob es dort so etwas wie einen Lageplan der Anlage gäbe, damit er sich besser orientieren könnte. Während er dort noch am Tresen herumstöberte, hörte er plötzlich eine Stimme, die ihm das Herz in die Kehle springen ließ.

      »Nee, das ist ja‘n Ding! Lucas, was machst du denn hier?«

      Lucas drehte sich langsam um. Obwohl er die Stimme auf Anhieb erkannt hatte, hoffte er doch, sich zu irren.

      Vor ihm stand Ines zusammen mit zwei Erwachsenen, vermutlich ihren Eltern. Alle zusammen lächelten sie Lucas freundlich an. Das brachte sein Herz dazu, wieder ein wenig langsamer zu schlagen. Er beförderte schnell ein etwas schief geratenes Grinsen in sein Gesicht.

      »Hi«, sagte er nur.

      Ines und ihre Eltern werteten dies offensichtlich als Zeichen seiner Überraschung, denn sie gingen nicht weiter auf diese wortkarge Begrüßung ein. Ines stellte ihre Eltern als »Tom und Diana Bunge« und ihn als »Lucas aus meiner alten Klasse« vor.

      Dann verabschiedeten sich ihre Eltern mit den Worten: »Na dann hast du ja doch noch jemanden in deinem Alter gefunden.«

      Nun waren sie beide allein und Lucas fühlte das dringende Bedürfnis, sich in eine Stehlampe oder so zu verwandeln. Er fand es zwar gut hier jemanden zu haben, mit dem man gemeinsam etwas unternehmen konnte, aber musste es ausgerechnet Ines sein? Nicht, dass er sie nicht mochte. Im Gegenteil. Ines hatte ihm von allen seinen Mitschülerinnen immer am besten gefallen. Aber als er ihre Stimme gehört hatte, war sofort wieder die Sache mit Kevin und dem Teleskop aus der Halb-Vergessenheit aufgetaucht. Er fühlte schon, wie sich seine Ohrenspitzen vor Scham röteten.

      Doch in diesem Moment half Ines ihm unverhofft aus der Patsche, indem sie sagte: »Schön, dass du es bist. Ich meine, stell dir mal vor, ich hätte hier Bonzo getroffen.«

      Damit verflüchtigte sich der Schock vollends, sodass Lucas nicht anders konnte, als sie strahlend anzulächeln. Nicht weil er sich freute, dass sie ihn Bonzo vorzog – dem Klassenrowdie, der ständig über alles und jeden herzog. Nein, ihre Reaktion zeigte ihm, dass Ines es nicht wusste. Sie hatte ihn nicht erkannt. Also würde er ihr jetzt nicht dafür Rede und Antwort stehen müssen. Wie dumm war er gewesen, sich die ganze Zeit über davor zu drücken, ihr über den Weg zu laufen, aber egal: Das war jetzt vorbei. Es gab doch Gerechtigkeit auf dieser Welt. Durch sein Lächeln musste auch Ines lachen. Sie machten sich zusammen auf, die Gegend zu erkunden. Ines war bereits einen Tag vorher angekommen. Sie fuhr schon seit Jahren hierher, nur dass in diesem Jahr außer ihnen nur Eltern mit kleineren Kindern hier Urlaub machten. So lernte Lucas in den folgenden Tagen jeden Winkel der Hotelanlage kennen. Auch seine Eltern verstanden sich gut mit Ines‘ Eltern. Während diese sich tagsüber am Strand oder abends in der Bar vergnügten, ging Lucas zusammen mit Ines mehr und mehr eigene Wege. Sie verbrachten die meisten Abende damit, Spaziergänge durch die Anlage zu machen oder auf Lucas‘ Terrasse zu sitzen und sich über Gott und die Welt zu unterhalten. Nach ein paar Tagen änderte sich jedoch irgendetwas. Unmerklich zunächst, aber dann doch immer spürbarer beschlich Lucas das Gefühl, dass in Ines eine Veränderung vorgegangen war, die er nicht einordnen konnte. Es war in ihren Blicken und in der Art, wie sie sprach, ja sogar in ihren Bewegungen. Als er einen Tag später seine Mutter darauf ansprach, lächelte sie nur und sagte: »Schön, dass du es bemerkt hast, aber an der Erkenntnis musst du wohl noch arbeiten.«

      Als sie Lucas‘ verständnislosen Blick auffing, ergänzte sie: »Kannst du dir das nicht vorstellen? Sie hat sich in dich verliebt, mein Großer.«

      Mit dieser Information hatte Lucas nicht gerechnet. Es war ihm, als ob in seinem Kopf plötzlich zwei Lautsprecher angeschaltet worden waren, von denen jeder etwas anderes von sich gab. Die erste Stimme jubilierte: Sie liebt dich, sie liebt dich.