»Und wozu das alles? Genügt es nicht, dass unsere Speicher gefüllt sind? Unser Wohlstand, Balthasar, wird reichen für unsere Kinder und Enkel und für deren Kinder und Enkel, und ich will nicht …«
Balthasar Grevenrode unterbrach seinen Schwiegersohn mit ärgerlichem Tonfall.
»Wir sind Kaufleute. Ohne uns gibt es im ganzen Land keine Fastenspeise, weil wir es sind, die Heringe von Gotland bis nach Köln, Nürnberg und bis nach Italien bringen. Ohne uns gibt es keinen Wein zur Feier des Abendmahls in Schweden und in Dänemark und keine Gewürze in den Speisen.«
»Wir befriedigen vor allem die Wünsche unserer besonders reichen Kunden nach immer neuen Luxuswaren. Je reicher der Kaufmann, umso schärfer sind die Speisen gewürzt. Kein vornehmer Mann läuft mehr ohne Biberkragen, Luchsfell, schönes Eichhörnchenfutter oder Marderbesatz auf Umhang und Mantel herum. In Venedig tragen die Männer bei festlichen Gelegenheiten sogar im Sommer Luchsfell und die Frauen Zobel und Hermelin.«
»Wir bringen Getreide nach Flandern und in die Niederlande, wo nicht genug produziert werden kann, und wir bringen Getreide an die kargen Küsten Norwegens.«
»Und wir häufen dabei ungeheure Reichtümer an.«
»Mit unserem Reichtum stiften wir Kirchen und Klöster und speisen die Armen. Es ist der Platz, an den uns der Herr gestellt hat.«
Balthasar trat hinter Reinekin, der noch immer am Lucht stand, dem großen Fenster zum Hinterhof des Dielenhauses, und den Blickkontakt mit seinem Schwiegervater mied.
»Vielleicht ist es dir egal, was ich denke, aber ich kann dir mit größter Gewissheit versichern, dass Johanna ebenso denken würde. Frag dich, was sie davon halten würde, dass du den größten Teil deiner Zeit mit einem Zimmermann und einem Franziskanermönch verbringst. Komm endlich zu dir, Reinekin!«
»Du übertreibst. Mit dem Prior von St. Katharinen habe ich ein neues Geschäft durchgerechnet, und mit Swartekop werde ich ein Schiff bauen, wie es die Ostsee noch nicht gesehen hat. Und deine Befürchtungen hinsichtlich der Verhandlungen in Stralsund mögen berechtigt sein, aber die Ratsherren von Bremen, Danzig und Wismar werden andere Unterhändler schicken. Das ändert doch nichts am Verlauf der Friedensverhandlungen.«
»An Stelle von Wackerowe wird Sudermann den Rat von Bremen vertreten. Seine Interessen liegen nicht in der Ostsee. Er handelt zwischen Köln und London. Für Molteke wird Sievert Classoen den Rat von Danzig vertreten. Er ist ein Dummkopf, der nur deshalb im Rat sitzt, weil sein Vater seit einem Jahr das Bett hütet. Der Kerl ist strohdumm und unberechenbar. Und für Karbow wird unser alter Freund Ghulsowe teilnehmen, und den kennst du so gut wie ich.«
»Thymme Ghulsowe?«
»Genau der.«
»Habgierig und korrupt.«
»Pietro, du hast noch eine Rechnung mit ihm offen«, sagte Reinekin grinsend.
»Das Schwein hat uns verdorbenen Fisch verkauft, hat oben in die Fässer eine Schicht guten Hering gelegt, und unten drunter war alles verrottet. Der Hund, wenn ich ihn treffe, wird er es bereuen.« Pietro schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Und du wirst am Pranger landen. In Wismar darfst du dich ohnehin nicht mehr blicken lassen, seit du dem ehrenwerten Ratsherrn zwei Zähne ausgeschlagen hast.«
»Wenn er mir noch mal begegnet, wird er den Rest seines Gebisses auch noch verlieren.«
»Sehr unklug, lieber Pietro. Du hast den Prozess verloren. Wenn du Ware kaufst, musst du dich über deren Zustand vergewissern. Es war dein Pech, dass ihr Italiener keine Ahnung habt, wie Hering riechen muss«, sagte Balthasar Grevenrode.
»Allerdings. Hering stinkt. Verrottet oder nicht. Er stinkt.« Reinekin schaltete sich grinsend ein: »Wir haben alle Lehrgeld bezahlt. Heute wissen wir, wer von wem kaufen kann. Aber eins ist sicher: Ein Mann, der kein ehrenwerter Kaufmann ist, wird auch kein ehrenwerter Unterhändler sein.«
»So ist es. Molteke, Wackerowe und Karbow sind tot, und an ihrer Stelle haben wir es in Stralsund mit Classoen, Sudermann und Ghulsowe zu tun.«
»Wer steckt dahinter? Die Mecklenburger?«
»Oder die Holsteiner, vielleicht die Schweden, selbst den Jütländern ist das zuzutrauen, und es gibt genügend Städte, die kein Interesse am Handel mit den Dänen haben, Städte, die es gerne sehen würden, wenn Lübeck unter den Einfluss der holsteinischen Grafen geraten würde. Es gibt Fürsten und Landesherren, die den Dänen am Boden halten wollen, um sich selbst ein Teil des dänischen Reiches einverleiben zu können. Es dürfte unmöglich sein herauszufinden, wer dahinter steckt.«
»Was willst du tun?«
»Ich werde morgen Boten nach Danzig, Bremen und Wismar senden und versuchen, den Gang der Dinge zu beeinflussen. Und ich möchte dich bitten, dass du mich nach Stralsund begleitest, zusammen mit Pietro. Ich weiß, dass du nicht willst, aber du solltest es dir durch den Kopf gehen lassen. Ich brauche jemand, dem ich vertrauen kann. Und ich brauche vielleicht auch einen, der das Schwert zu führen weiß.« Balthasar schaute die beiden Männer an.
Reinekin Kelmer senkte den Blick. Er schwieg und zögerte, bis er schließlich sagte: »Morgen ist es ein Jahr, dass ich meiner Frau bei Gott versprochen habe, dass ich mich um die Kinder kümmern werde und dass ihr Wohl alles ist, wonach ich trachte.«
Balthasar Grevenrode hatte sich erhoben. »Du hast deinen Schwur gehalten. Die Kinder sind tadellos versorgt. Sie lieben dich und haben alles gut verkraftet. Jetzt sind wir vielleicht an einem Punkt angelangt, wo du wieder über den Horizont der Familie hinausschauen musst. Ich brauche dich. Lübeck braucht dich.«
Balthasar Grevenrode hatte seinen Mantel ergriffen.
»Un momento. Ich verstehe von Eurer Politik nicht viel, aber eins solltet Ihr umgehend veranlassen. Die Wachen an den Stadttoren würde ich verdoppeln und jeden Fremden, der in die Stadt will, kontrollieren. Und an Eurer Stelle, Bürgermeister, würde ich keinen Schritt mehr ohne Leibwache tun.«
KAPITEL 3
Der Mann, der sich Albert Puster nannte, hatte die Nacht in einem Gasthaus an der Handelsstraße von Lüneburg nach Lübeck verbracht – etwa einen halben Tagesmarsch vor den Toren der Stadt an der Trave. Er ließ sich Zeit mit dem Frühstück, bestellte eine zweite Pfanne mit Eiern und Speck und genoss das Gefühl des schweren Geldbeutels, der in seiner Gürteltasche hing und der bald noch schwerer werden würde. Er war ein wohlhabender Mann, und er war ein freier Mann. Albert Puster sah einer strahlenden Zukunft entgegen. Sein Vater hatte ihn geschlagen, gequält, eingesperrt und schließlich aus dem Haus geprügelt. Er hatte in der Gosse gelebt, gehungert und sich vor hohen Herren verneigt. Erst mit dem Krieg gegen die Dänen hatte sich das geändert. In Rostock suchte man damals Armbrustschützen, um eine Kogge zu bemannen. Sie lachten ihn aus, als er sich bewarb, weil er zu klein und zu schwach sei. Darauf hatte er sich zum Beweis seiner Fähigkeiten eine Armbrust von dem Hauptmann erbeten und auf einen Weinkrug gedeutet, der gut 150 Meter weiter vor einem Gasthaus stand. Der Bolzen zerschmetterte den Weinkrug, und Albert Puster führte fortan das Leben eines gut bezahlten Söldners. 1362 hatten sie vor Kopenhagen die Dänen schon fast besiegt, als dieser Idiot von Bürgermeister, Johan Wittenborg, die Hälfte der Flotte nach Helsingborg abzog. Zwölf Koggen eroberten die Dänen damals, und Albert Puster fiel mit einer dieser Koggen in die Hände der Dänen. 1362 war kein gutes Jahr für ihn gewesen, und zu den zahlreichen Narben auf seinem Körper, die er dem Alten verdankte, waren neue hinzugekommen. Aber es war wieder die Armbrust gewesen, die ihn rettete.
»Auf 150 Meter den Weinkrug«, hatte er mit dem Kerkermeister gewettet – und gewonnen. Danach arbeitete er zwei Jahre für die Dänen. Eine schöne Zeit: Raubzüge auf Gotland, Überfälle auf Hansekoggen und Plünderungen, bis dieser Hauptmann gekommen war – Henning von Putbus –, weil er in Schonen eine Frau erschossen hatte. Eine Frau! Henning ließ ihn auspeitschen, bis das Fleisch in Fetzen von seinem Rücken hing. Das lag jetzt sechs Jahre zurück, und seitdem hatte er seine Armbrust eingesetzt,