Der Bremer antwortete mit erregter Stimme: »Ihr wisst sehr wohl, dass wir im Krieg mit den Seeräubern waren. Das hat unsere Kräfte gebunden. Und dieser Bedrohung mussten wir mit den Freunden aus Hamburg alleine Herr werden«, empörte sich Rudolf Sudermann.
»Gemach, gemach«, rief ein Wismarer Kaufmann. »Kopenhagen ist geplündert, der Hafen zerstört. Da gibt es nichts mehr zu holen. Handeln kann man nur mit Leuten, die Geld in der Tasche haben.«
»Aber wir sind im Bündnis mit den Grafen von Holstein und den Mecklenburgern und haben ihnen zugesichert, keinen separaten Frieden mit den Dänen zu schließen«, fügte Sudermann hinzu.
»Dieses Bündnis endet im April des kommenden Jahres«, warf Balthasar Grevenrode ein. »Die Interessen der Landesherren sind andere als die unsrigen. Sie wollen Dänemark aufteilen. Wir wollen Handel treiben und Geld verdienen.«
»Es geht nicht nur ums Geld.« Heinrich Molteke war ein bedächtiger Mann, der dem Rat von Danzig schon seit zwanzig Jahren angehörte und dessen Schiffe Pelze nach Flandern und Tuche nach Nowgorod brachten. »Es geht auch darum, die Dänen ein für alle Mal in die Schranken zu weisen. Mit ihren Festungen am Sund können sie uns jederzeit wieder erpressen. Wer den Sund sperrt, durchtrennt unsere wichtigste Lebens ader. Deshalb sage ich Euch, wie immer ein Frieden aussieht, er muss uns für alle Zeit die freie Durchfahrt durch den Sund garantieren.«
Die Niederländer klopften zustimmend auf den Tisch.
»Und das erreichen wir am besten, indem wir die Dänen klein halten«, schloss sich Sudermann an.
»Unmöglich können wir Städte uns den Sund nehmen. Wer das versucht, beschwört den nächsten Krieg herauf.« Hermen Burskup gehörte zu einer alteingesessenen Lübecker Patrizierfamilie, die ihr Vermögen zum guten Teil auf der Landverbindung zwischen Lübeck und Hamburg gemacht hatte. Diese siebzig Kilometer zwischen Ostsee und Nordsee ersparten die gefährliche Fahrt durch den Sund. Aber trotz der dänischen Zölle und der Unbilden des Wetters zogen immer mehr Händler die Sundfahrt dem aufwendigen Verladen ihrer Waren auf dem Landweg vor, hauptsächlich die Livländer und die Holländer. Burskup mochte 45 Jahre zählen. Er war von großer Gestalt mit roter Gesichtsfarbe und nahezu kahlem Haupt. Sein Gesicht prägten eine riesige Knollennase, hängende Backen und hängende Augenlider, was ihm den Ausdruck eines schläfrigen Bernhardiners verlieh. Balthasar Grevenrode kannte den Mann zu seiner Rechten so gut, dass er in jeder seiner Regungen lesen konnte wie in einem offenen Buch. Burskup war Ratsherr und würde demnächst Bürgermeister werden. Er hatte vor über zehn Jahren um die Hand von Balthasars Tochter angehalten und war abgewiesen worden – eine Schmach, die er niemals vergessen würde. Seit damals schien all sein Tun und Trachten darauf ausgerichtet, diese Zurückweisung zu rächen.
»Stattdessen sollen wir lieber an das Frachtkontor des Herrn Burskup bezahlen«, rief ein Danziger Kaufmann, und der Saal schallte vor Lachen. Burskup setzte sich ärgerlich.
»Hermen Burskup hat Recht«, mischte sich Balthasar Grevenrode ein. »Wenn wir den Sund bekommen, werden sich alle anderen gegen uns verbünden. Dann haben wir in zwei Jahren den nächsten Krieg. Niemand sollte glauben, dass die Landesherren tatenlos zuschauen, wenn sich die Städte wie Fürsten aufführen. Wir müssen holen, was wir kriegen können, aber es muss zu dauerhaftem Wohlstand für uns alle führen. Ich schlage vor, dass jede Stadt eine Abordnung zu den Friedensverhandlungen entsendet. Dann kann am Ende keiner behaupten, seine Interessen seien nicht berücksichtigt worden.«
Einige Ratsherren klopften zustimmend auf die Tische des großen Versammlungssaales im Lübecker Rathaus.
»Und wo wollt Ihr die Verhandlungen führen?«, fragte Sudermann.
Balthasar Grevenrode hatte mit der Frage gerechnet und war dankbar, dass sie nun gestellt wurde. Zum einen implizierte sie, dass die Verhandlungen natürlich unter Vorsitz Lübecks, des Hauptes der Hanse, geführt würden, und zum anderen gab sie Balthasar Grevenrode die Gelegenheit, all denen, die Lübeck mit Misstrauen gegenüberstanden, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Balthasar nickte seinem Stralsunder Kollegen zu, der sich erhob und mit stolzgeschwellter Brust sagte: »Ich würde mich freuen, liebe Freunde, wenn Stralsund Euch empfangen dürfte. Seid versichert, dass wir alles dafür tun werden, um die Verhandlungen zu einem für uns alle erfolgreichen Abschluss zu führen, und dass es Euch in Stralsund an nichts fehlen soll.«
Rudolf Sudermann war vor Ärger und Überraschung sprachlos. Hätte Grevenrode Lübeck vorgeschlagen, so hätte man dagegen angehen können. Es gab genug Städte, die eine allzu große Konzentration der Macht in den Händen der Lübecker vermeiden wollten. Gegen Stralsund gab es dagegen wenig einzuwenden, mit Ausnahme der Tatsache, dass Wulflam und Grevenrode unter einer Decke steckten. Stralsund war die größte und bedeutendste Stadt zwischen Danzig und Lübeck. Sie war für alle gut zu erreichen, und es war bekannt, dass der dänische König Waldemar Stralsund bevorzugte. Es regte sich keine Gegenstimme.
Balthasar Grevenrode stand auf und schaute in die Runde. »Liebe Freunde, wenn es dagegen keinen Widerspruch gibt, so können wir unsere Verhandlung beschließen. Wir treffen uns Anfang Mai in Stralsund, und jetzt möchte ich Euch einladen in die ›Ratsschenke‹. Es gilt, einen großen Sieg ordentlich zu feiern.«
Zu feiern, dachte Rudolf Sudermann, gibt es nur etwas für die Ostseestädte, allen voran für die arroganten Lübecker. Es gab genug andere, da war sich Sudermann sicher, die nichts zu feiern hatten, weil sie den bankrotten Holstengrafen Unsummen zur Kriegsführung geliehen hatten und diese nur zurückerhielten, wenn sich Heinrich und Klaus von Holsten genügend dänische Pfründe aneignen konnten. Und danach sah es derzeit nicht aus. Ohne das Geld und die Koggen der Städte waren die Grafen machtlos. Das Handelshaus des Rudolf Sudermann sah schweren Zeiten entgegen, aber er war nicht der Einzige, und es gab Mittel und Wege, die Lübecker zu stoppen.
KAPITEL 2 • LÜBECK, FEBRUAR 1370
»Schachmatt!« Pietro nahm einen tiefen Schluck Wein aus seinem Becher, während Reinekin Kelmer die Bernsteinfigur mit dem Kreuz umkippte.
»Weißt du, früher habe ich mich gefühlt wie ein König, wenn ich gegen dich gewonnen hatte – es kam selten genug vor. Heute denke ich, was spielt er da für einen Mist. Non è vero, come un stupido.«
»Morgen ist es ein Jahr.«
»Lo so. Ich weiß. Deshalb bin ich hier, weil ich dich nicht alleine lassen möchte.« Pietro schenkte sich italienischen Rotwein in seinen Messingbecher.
»Vielleicht ist es besser, wenn ich alleine bin.«
»Reinekin, du bist schwermütig wie dieses Land. Trink noch einen Becher mit mir, dann wirst du dich leichter fühlen. Dieser Wein schmeckt nach der Erde des Veneto. Er bringt Sonne in dein Herz.« Pietro nahm die noch gut gefüllte Kanne und goss seinem Freund den Becher voll. Sie saßen in der Diele von Reinekin Kelmers Haus am Kohlmarkt. Der einäugige Claas legte zwei dicke Holzscheite in den Kamin und schürte das Feuer.
»Kannst du dich noch an den Abend erinnern, an dem du diesen Wein zum ersten Mal probiert hast? Wahrscheinlich nicht, denn du warst so betrunken, dass Niccolò und ich dich nach Hause tragen mussten. Und Messer Ammaniti hätte mir fast den Kopf abgerissen.«
»Du solltest auf mich aufpassen. Stattdessen hat es dir gefallen, einen sechzehnjährigen Jüngling, der zuvor noch nie einen Fuß aus seiner Heimatstadt gesetzt hatte, schamlos abzufüllen.« »Stimmt. Wir haben uns köstlich amüsiert, weil du den Wein gesoffen hast, als sei es euer deutsches Dünnbier.«
»Ich war zwei Tage krank.«
»Beschwer dich nicht, schließlich hat der Wein dich reich gemacht.«
»Ja, der Wein hat mir Glück gebracht.« Reinekin nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher und dachte an das Frühjahr des Jahres 1358 zurück, als er sich nach dem Ende seiner Lehrzeit bei Messer Ammaniti mit sechs Fuhrwerken voller Weinfässer über die Alpen und quer durch Deutschland gequält hatte. In Frankfurt und Köln hatten die reichen Kaufleute und Ratsherren noch gezögert, des hohen Preises wegen und weil man nur den billigen deutschen