Nebelmaschine. Elena Messner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elena Messner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990650417
Скачать книгу
und Material erzeugte, und dass ich darüber nachdachte, was ihm mit seinem Talent alles möglich wäre, wenn er die volle Ausrüstung und den gesamte Apparat unseres Stadttheaters zur Verfügung hätte.

      Ich sehe mich außerdem nach Stunden des Beobachtens und Beurteilens die Gelegenheit zu einem Gespräch mit ihm ergreifen: Als er versuchte, einen Beamer aufzuhängen, und ein Lichtkegel halb an einer Seitenwand, halb am Boden aufleuchtete, schmuggelte ich mich zu ihm hinter das Pult und begann ihm Ratschläge zu geben. Er fragte nur einmal etwas nach, ich erklärte, er arbeitete wortlos weiter, und bevor es zu leidigem Schweigen kommen konnte, fragte ich ihn nach seiner Ausbildung, ein wenig aufdringlich, aber es interessierte mich, ob er unseren Beruf erlernt oder ihn sich selbst beigebracht hatte. Seine Antworten blieben ausweichend, die Stimme bitter, »Beleuchter bei Messen«, er schaute mich an, »Aushilfe bei Events«. Er hatte also, so nahm ich an, seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen. Danach arbeitete er, in die Hocke gegangen, weiter an lose gewordenen Kontakten, und ich verstand, dass er nicht gestört, nicht in ein Gespräch verwickelt, nicht von seiner Tätigkeit abgelenkt werden wollte, obwohl er noch zweimal zu mir hochsah.

      Weitere Erinnerungen an den Abend: Ich sehe mich mit Iris reden, die mir bereits wie ein Schatten zu folgen begann, was ich als Freundschaftsbeweis verstand, obwohl es mich schon nach kurzer Zeit störte. Sie fand erstaunlich viele Gründe, sich wieder und wieder an mich zu wenden. Mal war es, dass sie sich einen Lippenstift leihen wollte, dann ein Taschentuch, später ein Parfum – nichts davon konnte ich ihr geben, aber das war egal, sie benutzte es ohnehin nur als Ausrede, um mit mir zu reden. Später, da ich mehrmals erklärt hatte, weder Lippenstift, Taschentuch oder Parfum zu haben, fragte sie nach Kugelschreibern oder Aspirin. Als auch das nicht mehr glaubhaft war, änderte sie ihre Strategie: Nun war sie es, die von ihrem Lieblingsplatz, dem senfgelben Ohrensessel zwischen den zwei Schminktischen, aufstand und mir etwas brachte, einen Keks, einen Kamm, ein Glas. In einem Moment nahm sie mein Telefon, tippte ihre Nummer ein und rief sich selbst danach an. Hemmungslosigkeit der Jugend. Ich erfuhr in den Gesprächen, die sie so häufig initiierte, viel über sie: Sie war keine Schauspielerin, sondern Kindergärtnerin, in Ausbildung zur Theaterpädagogin, seit Jahren leitete sie ehrenamtlich eine eigene Kindertheatergruppe, und zwar eine in Pfarrbibliotheken oder in einem Altersheim auftretende. Ausgiebig erzählte sie von den Kindern, unglaublich, wie sie spielten, wie gerne sie sich schminkten, sich verkleideten, welche Freude sie an Perücken hatten – das sei etwas anderes als mit Erwachsenen.

      Seit ich von ihrer Kindergruppe wusste, beobachtete ich Iris besonders. Sie fiel mir immer stärker auf, weil ich, ihr bei den ersten Proben zuschauend, gemerkt hatte, dass sie Talent besaß. Eine zweifellos angeborene Begabung, sie hatte sich nie im Schauspiel schulen lassen. Aber sofern sie nicht auf der Bühne stand und spielte, wirkte sie kindlich, was mit ihrer Begeisterung für den ohnehin verspielten Beruf einherzugehen schien. Den Traum von den Brettern, die die Welt bedeuten, hatte sie sich auf erzieherische Maßnahmen zurechtgestutzt. Gerade weil sie begabt war, gerade weil ihre Begeisterung echt war, rührte mich das. Sie war auch die Einzige, von der ich nie ein bitteres Wort über ihr schlechtes Einkommen gehört hatte, oder über die Tatsache, dass sie ihre Leidenschaft als Nebenberuf, vielleicht weniger noch, als bloßen Zeitvertreib ausüben konnte, den sie unter dem Deckmantel einer Weiterbildungsmaßnahme vor sich selbst legitimieren musste. Dazu ihre fröhliche Verträglichkeit mit allem, was sie milde lächelnd als schwierige Umstände bezeichnete. Als passte sie ihre Worte und ihren Charakter dem rundlichen Gesicht an, immerzu satte Zufriedenheit ausstrahlend. Ihr mädchenhaftes Getue, das sie nur auf der Bühne ablegte: Sie umgab sich ständig mit den Dingen, um die sie bat, als seien diese Requisiten ihre Aufenthaltsgenehmigung für die Lagerhalle: Lippenstift (braun), Puderdose (blauer Glitzer), Kamm, Pinzette, ein Sektglas, Parfum, noch eine Puderdose (goldener Glitzer) und noch ein Lippenstift (rot), ein zweites, ein drittes Sektglas, alles in allem: ladylike, selbst die leichte Trunkenheit, so gelebt, wie es sich für eine exzentrische Filmschauspielerin gehört, oder besser gesagt, wie sie dachte, dass es sich für solch eine Filmschauspielerin gehört. Es fehlten bloß: Pelz, Federhut, Spitzendessous, und sie hätte im Atelier eines Malers Modell stehen können.

      Außerdem war sie anhänglich. Sie sagte mehrmals, wenn ich ihr den Rücken zuwandte, zu mir: »Bleib da!« Und wenn ich fragte: »Weshalb?«, meinte sie: »Um zu reden.« Es gab kaum etwas zu reden, oder vielmehr meinte sie mit »Reden« Palavern über Alkohol, über Lippenstifte, über ihre Flirts und love interests. Die Gespräche mit ihr waren durchsetzt von Koseformen und Diminutiven, ein dragi moj, ein moja draga hier, ein nobl možej dort, die fremde Sprache (und Zärtlichkeit) einer Zwanzigjährigen, die ich erst mit der Zeit zu verstehen lernte. Dazwischen sprach sie über den Kapitalismus, zu dem sie immer einen stichhaltigen Spruch einstudiert hatte. Mit vertrauensvoller Begeisterung platzte sie auch in fremde Gespräche, immerzu vergnügt, mit allumfassender Neugierde auf alles und jeden. Ja, sie rührte mich. Ich musste an mich selbst in meiner Jugend denken, vor der Abhärtung und Anpassung, vor der Gewöhnung an die Tatsachen, an mich auch als Kind, dem das Theater noch als Abenteuer erschien.

      Das war also mein Eindruck von Iris. Ich sagte bereits: An ihr haftet nichts Rätselhaftes. Wenn man sie kennenlernt, glaubt man bereits, sie zu kennen, so typisch ist sie, man urteilt, man spottet, man ahnt nicht, dass ihr Elan und ihre Leichtigkeit, ihre unbedarfte Fröhlichkeit auch Widerstandsfähigkeit sind.

      Noch eine Erinnerung: An dem Abend entstand die Antwortnotiz auf Magdas offenen Brief, die mir gegen Mitternacht jemand in die Hand gab, ich glaube, es war der Mann mit den festen Schultern, dessen Namen ich nicht mehr weiß.

      Der Text war nicht lang: »Wir danken allen Kulturschaffenden«, so begann er, »die so schnell und deutlich ihre Bereitschaft zur Unterstützung demonstriert haben. Allen voran den Kolleginnen und Kollegen, die während unserer Gespräche bei der Solidaritätsfeier einmal mehr unter Beweis gestellt haben, dass der Kampf um die Kultur nicht verloren ist.«

      Der Mann überreichte mir diese Nachricht, damit ich sie, wie er meinte »zur Mazur« trug, aber ich war angesichts der Knappheit der Antwort in dem Moment nicht einmal sicher, ob ich die Notiz überhaupt an Magda weiterreichen sollte.

      Ich wundere mich jedenfalls, dass meine Aufmerksamkeit an jenem Abend nicht den Debatten um Briefe und Presse und Streit galt und dass ich nichts mitbekam davon, was sonst im Raum vor sich ging. Ich hatte mich von den wesentlichen Dingen ablenken lassen durch den Wodka mit Niko, die leeren Gespräche mit Edwin, das Fröhliche an Iris, die Kürze einer Notiz.

      Erst am darauffolgenden Morgen, als Niko mich anrief, erfuhr ich von ihm, dass es an diesem Abend innerhalb der Gruppe zunächst zu einem Streit über Magdas Solidaritätsbrief und danach zum Beschluss gekommen war, sich nicht mehr für das sichere Alte (ein Begriff, den Niko in unserem Telefonat mehrmals wiederholte) im Repertoire zu entscheiden, sondern etwas selbstsicheres Neues einzustudieren (Worte, die er später gerne verwendete). Genauer gesagt: Ich erfuhr übers Telefon von ihm, dass sie planten, ein nigelnagelneues Stück (auch das Nikos Wort) zu verwirklichen. Seine Stimme war heiser vor Anspannung. Er hatte große Erwartungen: Ein Stück mit Bodenqualität sollte das werden, gut gewachsen und goldrichtig, hackende Schärfe in der Sprache, brutale Kargheit in der Inszenierung, Furche um Furche, die Zeitlosigkeit, die Zähigkeit und vor allem die Fruchtbarkeit des Themas, dazu das Demonstrative des Theaterstandorts (so redete Niko grundsätzlich von Kunst, aber es hörte sich bei ihm immer an, als rede er über Ackerbau).

      Ich verstand nicht sofort alles. Ein flauer Sonntagmorgen, ich war gerade erst aufgewacht, noch nicht geduscht, nicht angekleidet, ungekämmt und müde, mit dem Telefon in der Hand am Rande meines Bettes sitzend. Ich erinnere mich, den Hörer sogar von meinem Ohr weggehalten zu haben. Kurz darauf Nikos Stimme wieder an meinem Ohr, etwas gefasster, weil ich ihn gebeten hatte, langsamer zu reden, danach seine vertraute, ruhigere Stimme, zwar immer noch aufgeregt, jedoch deutlich entspannter: Ja, Bodenqualität, wiederholte er, Bodenqualität hat dieses Stück, es wird zweckmäßig sein und über die Lage, die Verhältnisse, über unsere Tage berichten, über die unübersehbare Gegenwart, nicht nur die des Theaters, sondern auch die größere Gegenwart, nämlich die des Landes.

      Ich erinnere mich, dass mir seine Aufregung zu viel war in dem Moment, es fiel mir schwer, etwas