»Danke! Gute Arbeit«, sagte er zu Becker, dem er die Hand schüttelte und ihn somit entließ.
Die nächsten Minuten zogen an ihm vorbei, während er die Unterlagen studierte und immer wieder fassungslos den Kopf schüttelte. »Chef, Ihr nächster Termin ist …«
»Jetzt nicht!«, blaffte er Sina an, die sich daraufhin zurückzog und die Bürotür, die meist offenstand, hinter sich zuzog. Er musste sich sammeln, stellte sich deshalb vors Fenster und atmete einige Male tief durch. Was hatte der Typ sich dabei gedacht? Die Frage war rhetorisch gemeint, denn alles, was dieser Mistkerl neuerdings machte, musste man doppelt und dreifach kontrollieren, weil man nie sicher sein konnte, was seine Beweggründe waren. Kramer dachte einfach gar nicht nach, bevor er etwas tat, zumindest kam es ihm so vor.
Marc bewegte seinen Kopf nach links und nach rechts, ließ Gelenke knacken, ehe er die Sprechanlage zu Sina betätigte. »Sina, holst du bitte Alexander her? Es eilt!«
»Wird erledigt«, erwiderte Sina.
Einen Entschluss gefasst, setzte er sich hin und wartete.
»Marc?«, fragte Alexander, als er wie immer, ohne zu klopfen, sein Büro betrat. Nicht, dass er sowieso schon reichlich gut gelaunt gewesen war, dieser Vollpfosten schaffte es immer wieder, ihn selbst in ruhigen Momenten aus der Fassung zu bringen, wobei er aktuell meilenweit von ruhig entfernt war.
Marc warf Beckers Unterlagen quer über den Tisch, sodass sie knapp vor der Kante liegen blieben, dann überschlug er die Arme und wartete seine Reaktion ab. Arme überschlagen war im Übrigen eine sehr gute Idee, so waren die Körperteile, mit denen er ihm Schmerzen zufügen konnte, erst mal verhindert und er kam nicht in Versuchung, ihm direkt eine reinzuknallen.
»Marc …«, setzte er an, den Blick auf die Unterlagen gerichtet. Mit einem Mal wirkte er fahl, seine Gesichtsfarbe war gewichen. Marcs Augen fokussierten ihn und nahmen das Unbehagen, welches er ausstrahlte, wahr. Jede Faser seines eigenen Körpers war angespannt und durstig nach der Erklärung, die er ihm gleich abliefern würde. Er erwartete eine bombastische Begründung für sein Verhalten, denn alles andere wäre unzureichend. Na gut, wenn Marc ehrlich war, konnte ihn bei dieser Faktenlage vermutlich gar nichts besänftigen.
Alexander begann ganz unbewusst, seine Finger zu einer Faust zu ballen und machte dabei eine pumpende Bewegung. Nicht eine jener, die einem Angst einjagen sollten, sondern eine, bei der man genau wusste, dass derjenige nervös und verunsichert war. Das war Alexanders Spezialgebiet. Entweder pumpte er mit den Händen oder er zog seine Lippen minimal auseinander, was so viel zum Ausdruck bringen sollte wie: Shit! Erwischt!
»Ich kann das erklären!«
»Nur aus diesem Grund habe ich dich herzitiert. The stage is yours!«, forderte er ihn in einem unterkühlten, aber ruhigen Ton auf, endlich zu sprechen.
»Die Zeit lief mir davon«, sagte er leise und hob daraufhin die Unterlagen an, als müsste er sie genau studieren. Das war reine Ablenkungstaktik, um seine Nervosität zu vertuschen. Dabei hatte Marc ihn schon längst durchschaut und das nicht erst seit diesen Sekunden.
»Es wäre toll, wenn ich dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen müsste. Werde konkreter, um meine Geduld steht es heute nicht sehr gut«, platzte es aus Marc heraus, während er die Hände auf die Tischplatte stemmte. Er könnte schwören, dass sich Schaum vor seinem Mund bilden würde, wenn sich diese unbändige Wut noch weiter steigerte.
»Andere wollten diese Investition tätigen, dabei steht das Start-up kurz vor seinem Durchbruch. Die werden ganz groß, Marc. Das ist unsere Chance«, redete er ihm mit einer plötzlichen Euphorie zu.
Alexander erinnerte ihn ein wenig an einen kleinen Jungen, der am Montag nach Weihnachten jedem in der Schule von seiner tollen Carerra Bahn, die unter dem Baum gelegen hatte, erzählte. Verstand er denn verdammt nochmal nicht, dass ED längst groß rausgekommen war? Und zwar durch Marcs Entwicklung? Sie waren die verfickte Nummer Eins der internationalen IT-Unternehmen.
Tief durchatmen, sprach er sich zu. Vergiss nicht, Marc Eden, dass du einen gewissen Ruf in der Branche genießt. Versau es dir nicht, indem du diesem Drecksack die Fresse polierst. Er legte den Zeigefinger und Daumen an seine Nasenwurzel und zählte innerlich bis drei, bevor er weitersprach: »Eine Million Euro? Willst du mich eigentlich verarschen?« Na ja, professionell war anders, aber hey, sein Gegenüber lebte wenigstens noch. »Weshalb bist du so sicher, dass das Geld gut angelegt ist? Du hast jetzt genau fünf Minuten. Wenn du dieses Büro verlassen hast und wieder hereinkommst, möchte ich deine gut recherchierten Unterlagen sichten, in denen die Fakten, die besagen, dass das Start-up kürzlich seinen Durchbruch erreichen wird, detailliert aufgeführt sind. Fünf Minuten, Alexander. Keine Sekunde länger!«
Als Alexander die Hände, mit den Flächen zum Boden gerichtet, vor seinen Körper hielt, die ihn scheinbar beruhigen sollten, wusste Marc augenblicklich, dass er nichts vorzuweisen hatte.
»Beruhige dich! Du musst mir vertrauen.«
»Ich verlasse mich eher auf die Klofrau im Kölner Bahnhof als auf dich«, sagte er mehr zu sich selbst. Marc war heilfroh, dass sich sein Schreibtisch in der Mitte von ihnen beiden befand, das brachte ein wenig Abstand zwischen sie. »Die Papiere, Alexander!«, forderte er ihn ein letztes Mal auf.
»Es gibt keine. Wie gesagt, du musst mir glauben. Das ist sicher!« Ein selbstgefälliges Grinsen schlich sich auf seine Lippen. War er wirklich so dumm? Es gab keine verdammten Papiere, die ihm zu der Entscheidung verhalfen, einen Großteil des Firmenkapitals zu investieren.
»Ich hab einen heißen Tipp bekommen«, trat er näher und flüsterte verschwörerisch.
Bevor Marc umkippen würde, ließ er sich nach hinten in seinen Stuhl fallen, der daraufhin ein knarrendes Geräusch von sich gab. Er hatte einen Tipp bekommen? Ja, war es denn die Möglichkeit! Die Hand vor die Stirn gelegt, schüttelte er ungläubig den Kopf. »Der Tipp basiert auf welchen Fakten? Von wem stammt er?« Bei so viel Dummheit verschlug es selbst einem Marc Eden die Sprache.
»Kennst du Louis Felten noch? Einer unserer Kommilitonen. Der arbeitet für das Unternehmen und er hat mir einen Insidertipp gegeben, damit wir die Ersten sind und uns keiner in die Quere kommt.«
Er