»… setzen drei Kinder in die Welt – Gott hab sie selig – und dann trennen sie sich, weil der Mann eine andere hat«, endete sie mit ihrem Vortrag und kassierte zustimmendes Nicken aller Anwesenden.
»Die Kinder sind nicht tot, sie haben jetzt lediglich getrennte Eltern«, versuchte Anni auf das unfassbar übertriebene ›Gott hab sie selig‹ einzugehen. Im Aufplustern waren diese Damen unschlagbar.
»Lediglich?«, echauffierte sich Brunhilde augenblicklich. Ganz toll, Anni. Sonst hört dir hier keine Sau zu und wenn du dich mal unglücklich ausdrückst, wird direkt darauf hingewiesen.
»Ich wollte das keineswegs verharmlosen, sondern einfach darauf hinweisen, dass die Kinder heute viel stärker sind, gewisse Situationen meistern können. Sicher ist das schwer für sie und ich wünsche es keinem, aber …«
»Kindchen, man heiratet nicht, um sich dann zu trennen, nur weil der Mann sich mal nach einer anderen umgeguckt hat«, fuhr ihr Brunhilde abermals über den Mund.
Wie bitte? »Frau Rommelfangen wird von ihrem Mann hintergangen und ihr nehmt ihn in Schutz?« Was war das denn für eine haarsträubende Logik?
»Früher hat man solche Krisen überstanden. Die Leute haben heute kein Durchhaltevermögen mehr.«
»Also jetzt schlägt es ja Dreizehn!« Anni stemmte ihre Faust in die Hüfte und sah in die Runde, die ihre volle Aufmerksamkeit auf sie gerichtet hatte. »Sie wurde verdammt nochmal betrogen und hat alles Recht der Welt sich von ihm zu trennen. Zumal uns das überhaupt nichts angeht. Wenn die beiden denken, dass ihre Ehe beendet ist, haben wir das stillschweigend zu akzeptieren. Warum sollten sie sich durch ihr Leben quälen, wenn sie beide glücklich sein können? Man lebt nur einmal!«
Vereinzelt senkten sich die Köpfe, was Anni als ein Schuldeingeständnis auffasste. Nicht so Brunhilde, die sich gerade vor ihr aufbäumte.
»Pass mal auf, Kindchen. Komm du erst in unser Alter. Erlebe du das, was wir erlebt haben, dann reden wir weiter. Du hast doch keine Ahnung, wie das Leben funktioniert.« Sie griff sich ihre Sporttasche und verließ die Halle.
Als Anni ihre Sachen ebenfalls zusammengepackt hatte und auf dem Heimweg war, fragte sie sich, warum sie das eigentlich mitmachte? Klar, der Sport war wichtig, aber jede Woche dieses gleiche stupide Gerede und Geläster über die Dorfbewohner? Anni wollte gar nicht wissen, was sie über ihre Familie sprachen. Ihr Mann war oft unterwegs, weil er für manche Gespräche zu den Kunden reisen musste. Ihre Kinder wurden recht locker erzogen, gingen beide nicht auf die hiesige Schule, sondern auf ein privates Gymnasium in Köln. Familie Weishaupt fügte sich ins Dorfleben ein, ja. Dennoch waren sie speziell, wenn man das aus der Sicht der Gymnastikdamen sah.
Start-up
»Morgen, Sina. Gibt’s was Akutes?«, fragte Marc, während er an ihr vorbeiging und sein Büro betrat. Denn wenn es nichts Brennendes gab, würde er nach dem Acht-Uhr-Termin erst mal die Investitionsmöglichkeiten studieren, die ihm dieser Weishaupt gestern mitgegeben hatte.
Traf er doch tatsächlich den heißen Rotschopf in dessen Büro. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Diese Frau hatte es ihm angetan. Unfassbar hübsch, sich ihrer Schönheit aber keineswegs bewusst. Sie war so erfrischend. Vor allem war sie verdammt nochmal mit seinem Vermögensberater verheiratet, wie sich im Gespräch herausstellte. Noch immer verpasste ihm dieser Gedanke einen unangenehmen Stich in der Magengegend.
Gerade setzte er sich hin, als Sina hereinkam – elegant gekleidet wie immer, eine Seidenbluse und ein Bleistiftrock umschmeichelten ihre Hüften. Sie war wirklich eine Augenweide, wenn man es so wollte. Ihr Verlobter konnte sich glücklich schätzen, so eine tolle Frau an seiner Seite zu haben. »Der Becker aus der Finanzabteilung möchte gleich mit Ihnen sprechen«, verkündete sie und stellte einen Kaffee vor ihm ab.
»Was will der denn?«, fragte er und zog die Tasse näher, während er dankend nickte.
»Es eilt, meinte er nur und da Ihr Acht-Uhr-Termin abgesagt hat, Sie jetzt demnach einen einstündigen Slot zur Verfügung haben, hab ich ihn reingeschoben«, erklärte sie und machte auf dem Absatz kehrt.
Klar doch. Es wäre ohnehin zu viel verlangt, ihm einfach etwas Zeit zu gönnen. Dass das kein wirtschaftliches Denken war, wusste er selbst und dennoch, waren wir mal ehrlich, wer freute sich nicht darüber, wenn ein Termin kurzfristig abgesagt wurde und man unverhofft ein bisschen Zeit hatte, um andere wichtige Dinge zu erledigen. Nun gut, das Ganze galt nur, wenn es ein unwichtiger Termin war und dann auch nur, wenn ihm dadurch keine Unkosten entstanden. Ach, was redete er da, eigentlich war es immer scheiße, wenn man nicht zu einem vereinbarten Termin auftauchte.
Es klopfte, und hereinkam Becker, der Chef seiner Finanzabteilung. »Moin, Marc«, grüßte der schlaksige junge Kerl, der ein wahres Zahlengenie war. Klar, gab es einen gewissen Dresscode im Haus zu beachten, aber Becker war eh und je in Jeans und Shirt angetanzt, sogar zum Vorstellungsgespräch. Dieser Kerl hatte Marc mit seiner fachlichen Kompetenz beeindruckt und deshalb beschloss er schon damals, dass er, was die Kleidung betraf, einen Freifahrtsschein erhielt. Immerhin legte er ein Statement ab, als er in ebenjenem Dress zum Interview erschien: Man bekommt mich so oder gar nicht, strahlte er aus und Marc wollte ihn genau so und nicht anders.
»Becker«, grüßte er nickend und wies ihm seinen Platz vorm Tisch zu. »Was haben Sie auf dem Herzen?« Innerlich hoffte er, dass er nicht gleich eine mündliche Kündigung seinerseits erhalten würde, denn das wäre wirklich schade. Aber Becker war eigentlich nicht unzufrieden, zumindest vermittelte er ihm nicht den Eindruck.
»Mir ist etwas aufgefallen, was ich mit Ihnen besprechen muss«, eröffnete er das Gespräch.
»Schießen Sie los!« Marc lehnte sich im Stuhl zurück und betrachtete einen seiner besten Mitarbeiter skeptisch.
»Vom Stammkapital wurde eine Million Euro abgezweigt«, sagte er und legte seine Fingerkuppen aufeinander. Wofür wurde so viel Geld abgehoben? Eine größere Investition stand nicht an. Ungeduldig sah er ihn an. »Das Geld wurde benutzt, um eine hochriskante Investition zu tätigen.«
Unverzüglich spürte Marc, dass ein unfassbarer Zorn in ihm aufkochte. Er musste Becker anschauen, als wäre er ein Alien, denn seine Gesichtsmuskulatur fühlte sich plötzlich gelähmt an. Ihm könnte