»Dann will ich auch mal hoch«, meinte Adrian. Doch an der Tür wandte er sich nochmals um. »Wieso bist du eigentlich hier? Hattest du nicht für die kommenden drei Wochen Urlaub eingereicht?«
Julia nickte. »Fällt aus«, erwiderte sie lakonisch. »Wir wollten nach Nepal, aber zwei meiner Freundinnen, die immer mitfahren, haben sich eine schwere Virusgrippe eingefangen. Also wird dieser Trip verschoben.«
»Und du kannst uns hin und wieder in der Notaufnahme unterstützen. Wundervoll!« Adrian lächelte Julia noch einmal kurz zu, dann schlossen sich die Türen des Lifts, der ihn hinauf in die OP-Abteilung brachte, hinter ihm.
»Deinetwegen werde ich aber nicht umsatteln«, murmelte Julia vor sich hin. Sie war mit Leib und Seele Internistin, doch wo immer sie gebraucht wurde, sprang sie ein – eine Tatsache, die sie bei allen nur noch beliebter machte.
Jetzt half sie Bernd Schäfer, den Verletzten zu verbinden, dann erst ging sie in die Verwaltung, um ein paar organisatorische Dinge mit Thomas Laufenberg, dem Verwaltungsdirektor der Kurfürsten-Klinik, zu besprechen.
Im Gegensatz zu Adrian, der gewisse Probleme mit Thomas Laufenberg hatte, kam die Internistin gut mit ihm aus. Sie fand ihn kompetent und sachlich. Und daß ein Verwaltungschef in der heutigen Zeit keine Wunder wirken und großzügige Neuanschaffungen tätigen konnte, war ihr klar. Wichtig war ihr, daß Thomas Laufenberg zuhören konnte, daß er offen für die Probleme der Mediziner war – und daß er half, so gut er es vermochte.
Im OP dachte in diesem Moment niemand an Verwaltungsprobleme. Hier wurde um ein Menschenleben gekämpft, das an dem berühmten seidenen Faden hing.
Dr. Winter stillte die massiven Blutungen im Bauchbereich, doch damit war es leider nicht getan.
Den Milzriß konnte er nicht nähen, er mußte das Organ entfernen. Zum Glück war die Leber nicht allzu stark beschädigt, er konnte diese Blutung rasch zum Stillstand bringen.
Drei Stunden stand der Chirurg im OP, dann erst konnte er sicher sein, das Leben des Mannes gerettet zu haben.
»Hoffen wir, daß es nicht noch zu postoperativen Komplikationen kommt«, sagte er, als er mit einem kleinen Seufzer vom Tisch zurücktrat. »Bringt ihn auf Intensiv – und paßt gut auf ihn auf.«
»Immer, das weißt du doch.« Monika half dem Arzt jetzt aus der beschmutzten OP-Kleidung. »Wenn du nicht so rasch zur Stelle gewesen wärst… Wer weiß, ob der arme Kerl dann noch leben würde.«
»Ich bin nicht der Herrgott!« wehrte Adrian Winter ab.
»Aber der beste Chirurg, den ich kenne!« Monika lächelte ihm im Spiegel zu.
»Aha. Und kennst du viele Chirurgen?« neckte er sie.
»Unendlich viele. Schließlich bin ich schon eine Weile in diesem Job«, erwiderte sie und tat so, als habe sie ihn mißverstanden.
Adrian Winter lachte. »Du weißt genau, worauf ich hinauswollte. Also, erzähl: Wie ist dein neuer Traummann? Wie heißt er?«
Die attraktive Schwester, die sich manchmal Hals über Kopf verliebte, lachte. »Er ist Architekt, dreißig Jahre alt, hat fast schwarze Haare – und ist Witwer!«
»Au weia!« entfuhr es nun Adrian.
»Was ist daran auszusetzen?« Monika stopfte die beschmutzte Kleidung in die Wäschebehälter und richtete sich mit wenigen Handgriffen die Frisur.
»Gar nichts.« Adrian Winter schüttelte den Kopf. »Aber irgendwo ist doch bestimmt ein Haken. Ich kenne dich… du hast eine fatale Leidenschaft für ein bißchen kranke Typen.« Monika lachte und boxte ihn leicht in die Rippen. »Stimmt. Deshalb mag ich dich ja auch so sehr. Aber…« Sie biß sich kurz auf die Lippen. »Du hast recht, es gibt eine Kleinigkeit, die…«
»Sprich’s schon aus«, forderte Adrian.
»Er hat zwei Kinder.«
»Ach, du liebe Güte.« Der Arzt zuckte die Schultern.
»Moni-Monika… ehrlich, in der Rolle sehe ich dich nun gar nicht.«
»So weit sind wir auch noch nicht. Wir waren gerade mal miteinander aus, haben uns nett unterhalten und…«
»Hier bist du!« Markus Reinhardt stürzte in den Vorbereitungsraum und sah Adrian Winter aus brennenden Augen an. »Komm schnell, es ist etwas mit Christina passiert!«
*
Sie hatten zusammen gefrühstückt – so wie jeden Tag, seit Christina zurück war.
Die junge Schauspielerin genoß es, sich von ihrer Tante Käthe ein wenig verwöhnen zu lassen. Und während sie Kaffee tranken und Christina die Brombeermarmelade lobte, die die alte Dame seit Jahrzehnten nach einem Spezialrezept zubereitete, erzählten sie sich, was in den letzten Jahren passiert war.
»Dein Vater wird einfach nicht schlau«, sagte Tante Käthe und seufzte auf. »Er hat einen hervorragenden Stellvertreter, hat loyale Mitarbeiter – und glaubt dennoch, daß die ganze Firma innerhalb einer Woche zusammenbricht, wenn er mal nicht präsent ist.«
Christina lächelte. »So geht’s, glaube ich, vielen Männern, die ihr Geschäft aus dem Nichts heraus aufgebaut haben.«
Die Ältere schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß es auf Gottes weiter Welt noch einen zweiten so sturen Menschen gibt wie deinen Vater.« Sie lächelte Christina zu. »Aber jetzt Schluß mit diesem unerfreulichen Thema. Berichte mir lieber von den Dreharbeiten. Konntest du überhaupt so ohne weiteres unterbrechen?«
Die junge Frau nickte. »Das meiste Material war schon im Kasten. Es sind nur noch einige Szenen zu wiederholen, die…« Sie griff sich an den Kopf, versuchte sich zu konzentrieren – und konnte es nicht.
Käthe zuckte erschrocken zusammen. Christinas letzte Worte waren völlig unverständlich gewesen. Sie hatte gestammelt, gelallt – und war dann über dem Tisch zusammengebrochen. Mit Hilfe des Hausmädchens gelang es der alten Dame, Christina auf ein Sofa zu betten.
»Wir brauchen einen Arzt«, stieß sie dann hervor. »Rufen Sie um Himmels willen rasch einen Arzt.«
»Dr. Perstemeier?«
»Meinetwegen.«
Käthe hielt nicht allzu viel von dem Hausarzt, der seit Jahren die Familie betreute. Zum Glück war sie selbst recht gesund, und sollte sie einmal ernsthaft krank werden, nun, dann würde sie sich mit Sicherheit einen anderen Arzt suchen. Aber jetzt, da eine Notsituation
herrschte, war Dr. Perstemeier bestimmt besser als gar kein Arzt.
Er war innerhalb kurzer Zeit zur Stelle – und machte ein hilfloses Gesicht. »Tut mir leid, aber ich weiß wirklich nicht, wie es zu dem Zusammenbruch kommen konnte. Wir werden Christina in die Klinik einweisen müssen.«
Käthe nickte. »In die Kurfürsten-Klinik, bitte.« Darauf hätte ich auch selbst kommen können, schalt sie sich. Jetzt sind wertvolle Minuten vertan.
Mit sorgenvollem Gesicht sah sie zu, wie die Sanitäter, die kurz darauf eintrafen, Christina auf der Trage festschnallten und fortbrachten.
Mit Tränen in den Augen blickte die alte Dame dem Rettungswagen hinterher. Hoffentich konnten die Ärzte in der Klinik ihrer Christina helfen! Und – hoffentlich kam der Vater der jungen Frau nun endlich zur Vernunft.
Sie betete, daß es für eine Versöhnung von Vater und Tochter nicht zu spät sei…
Christina kam noch auf der Fahrt wieder zu sich. Verwirrt schaute sie sich um. Sie wollte etwas fragen, doch wieder brachte sie nur ein Lallen heraus.
Verzweifelt schloß sie die Augen. Was war los?
In der Ambulanz beugte sich als erstes eine sympathische Schwester über sie, fragte – und wunderte sich offenbar gar nicht, daß die Patientin nicht richtig antwortete.
Christina