»Wie kommst du da drauf?«, fragte er.
»Ist nur so ein Bauchgefühl!«, antwortete der Köstlbacher. In Wahrheit wusste er selbst nicht so recht, was seine Verstimmung so spontan ausgelöst hatte. War es die dem Jung unterstellte Unprofessionalität oder war es der Anblick der ihm bekannten Toten? Oder spielte da ganz etwas anderes eine Rolle? Vielleicht die Befürchtung, seine eigene Familie könnte wieder einmal in einen Fall hineingezogen werden? Passiert war das ja schon. Und nicht nur einmal!
Und jedes Mal war es ein Desaster!
Erst jetzt fiel dem Köstlbacher auf, dass einige Polizeibeamte das Terrain rund um die Tote vorbildlich abgesperrt hatten.
»Dein Werk?«, fragte er, weil er glaubte, der Liebknecht hätte das erledigt, während er mit dem Jung gesprochen hat.
»Da musst du dich schon bei dem Jung bedanken. Der hat sehr umsichtig reagiert, bis wir hier aufgekreuzt sind!«
Jetzt war endlich wieder Arbeit nach seinem Geschmack da. Und dann dieser Einstieg! ›Vielleicht sollte ich mich vom aktiven Dienst zurückziehen!‹, dachte der Köstlbacher insgeheim.
Kapitel 3
Interessant war dann der Bericht vom Dr. Michael Frank, dem Leiter der Gerichtsmedizin in Erlangen. Interessant vor allem wegen des Kalibers. Dass es ein großes gewesen sein musste, das hatte der Jung schon richtig gesehen. Aber dass es eines war, das in den alten Bundesländern bis zur Wende quasi gar nicht und danach auch nur selten auftauchte, das war durchaus außergewöhnlich. ›… Der fast 90° Einschusswinkel lässt darauf schließen, dass der tödliche Schuss fast in Gegenüberstellung des Mörders erfolgt sein muss. Der Aktenordner bremste die Durchschlagskraft der Kugel ab und verformte sie entsprechend, weshalb der Schusskanal überdimensional groß ausfiel. Das Geschoss durchschlug auf seinem weiteren Weg das Herz und blieb anschließend im T6 der Wirbelsäule stecken. Das Kaliber ist eindeutig 9,2 x 18 mm …‹
Soweit die Passage aus dem gerichtsmedizinischen Bericht, die den Köstlbacher am meisten interessierte.
9,2 x 18 mm! Dem Köstlbacher fiel dazu nur eine einzige Faustfeuerwaffe ein, die dieses Kaliber hatte. Eine Pistole Makarow, wie sie in der ehemaligen DDR in der NVA üblich war. Spontan dachte er in diesem Zusammenhang an Roland Zeller.
Falls du dem Köstlbacher seine beiden letzten Fälle kennst, deren Lösung ihm einige graue Haare bescherten, dann hast du auch schon was von dem Roland Zeller gehört. Ehemals, als er noch DDR-Bürger war, hieß er Oskar Lischka. Nach einigen Stationen in seinem Leben, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte, wurde in Bayern aus dem Oskar Lischka ein Roland Zeller, der bald auf der Gehaltsliste des Freistaats Bayern stand, auch wenn er als zweites Standbein – vielleicht auch nur zum Schein – ›Rosi’s Fahrschule‹ betrieb.
Natürlich hätte der Köstlbacher jetzt auch andere Kanäle anvisieren können. Aber der Roland hatte unschätzbare Erfahrungen, als Soldat im Kriegseinsatz in Afghanistan, als universeller Undercover-Agent, nicht nur für die Mordkommission, als Agent beim LKA, manchmal sogar beim BKA. So einer, der kennt Verbindungen und hat spontan Zusammenhänge parat, frage nicht! Die spuckt kein noch so gutes Computerprogramm aus.
Und weil der Köstlbacher trotz aller Subordinationsprobleme vom Roland den Teufelskerl irgendwie mochte, hat er einfach zum Telefon gegriffen und seine Handynummer im Verzeichnis angeklickt.
»Roland, bist du dran?«, fragte er, weil die Stimme am anderen Ende der Leitung nicht wirklich bekannt klang.
»Bist schon richtig! Hab’ mir nur eine Erkältung eingefangen!«, antwortete der Roland. »Was liegt an?«
»Kaliber 9,2 x 18 mm! Sagt dir das was?«, fragte der Köstlbacher.
Das war das Schöne am Roland! Bei ihm musste man nicht erst lang um den Brei herumreden. Das Wichtigste in einem Wort und der Roland würde wissen, worum es ging und was er dazu beitragen könnte.
»Hm!«, sagte der Roland. »Gute Pistole! Viele registrierte dürften in Bayern nicht zu finden sein! Die gab’s übrigens auch offiziell als schallgedämpfte Version.«
»Bist du zur Zeit in Regensburg?«, fragte der Köstlbacher. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, nicht zu viel übers Telefon zu äußern. Nicht nur Amerika hörte ab!
»Ja! Ich hätte sogar auf ein Bier Zeit für dich. Meine Kollegin hat meine Fahrstunden übernommen, damit ich meine Erkältung auskurieren kann.«
»Und das möchtest du bei einem Bier tun«, schmunzelte der Köstlbacher, der die Vorliebe vom Roland für ein frisches Weißbier nicht erst seit gestern kannte.
»Was dagegen?«, fragte der Roland.
»Natürlich nicht! In einer Stunde im Fürstlichen Brauhaus? Ich hätte anschließend Feierabend und könnte daher eins mittrinken!«, antwortete der Köstlbacher.
»Gute Wahl! Bis dann!«, bestätigte der Roland und beendete das kurze Gespräch.
Die Zeit reichte, um vorab noch einmal den Bericht vom Dr. Michael Frank von der Gerichtsmedizin durchzulesen. Um eine bessere Vorstellung von der Pistole zu haben, die als Mordwaffe gedient haben sollte, gab der Köstlbacher ›Kaliber 9,2 x 18 mm‹ in die Suchmaschine Google ein. Schaute eigentlich auch nicht viel anders aus, als vergleichbare westliche Fabrikate! Fragt sich nur, über welche Kanäle so eine Waffe hier her gelangen konnte. Die Munition dazu musste ja auf demselben Weg gekommen sein. Hier war sie ja selbst für einen munitionserwerbsberechtigten Sportschützen nicht zu haben!
Kapitel 4
Astrid Söll war außer sich, als sie von einer Geschäftsreise, auf der sie einen Teil ihrer Stoffe für die Produktion ihrer Dirndl Couture eingekauft hatte, nach Regensburg zurückkam, und die Feuerwehr mit einem großen Aufgebot vor ihrem Haus in der Mathildenstraße vorfand.
Der Schrecken wäre schon groß genug gewesen, wenn es sich nur um ihr Zuhause gehandelt hätte. Aber dort in der Mathildenstraße befand sich weit mehr als nur das. Für Astrid war diese Adresse längst zum Zentrum ihres außergewöhnlichen Unternehmens geworden, wo hochwertige Stoffe noch als Meterware lagerten, in dem neue Kreationen entstanden, wo die edelsten Dirndln nicht nur der aktuellen Kollektion in einem Showroom bewundert werden konnten.
Natürlich wurde Astrid von ihrer Sekretärin Sandra Würtz, gleich nachdem sie die Feuerwehr informiert hatte, angerufen. Insofern hatte ihre Chefin schon eine Ahnung, was sie erwarten würde. Aber gerade deswegen waren die letzten Kilometer auf der Autobahn vom Flughafen München nach Regensburg zum Martyrium geworden. Letztendlich hätte inzwischen das ganze Haus abgefackelt sein können. Wie in so einem Fall die eigene Fantasie Horrorszenarien hervorzuzaubern vermag, das kann sich eigentlich nur vorstellen, wer sich schon einmal in einer vergleichsweise ähnlichen Situation befunden hat.
»Sie können hier nicht durch!«, stoppte ein älterer Polizist Frau Söll, als sie gerade im Begriff war, unter der Absperrung zum Haus hindurchzuschlüpfen.
»Und ob ich das kann!«, blitzte Astrid den Beamten an.
»Ich wohne hier!«
Ich muss schon sagen, dass einer in Regensburg die Astrid sieht und nicht erkennt, wen er da vor sich hat, das ist schon fast peinlich. Ein regionales Magazin, in dem sie nicht auftaucht, kann nur eines sein, dessen Tage gezählt sind. Mag sein, irgendwo in den neuen Bundesländern ist ihr Bekanntheitsgrad nicht so flächendeckend. Aber selbst dort bestünde zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit.
Der ältere Polizist wollte energisch reagieren. Aber so, wie’s aussah, hat er mit einem Schlag seinen Fehler begriffen. Zum Glück, muss ich sagen, sonst hätte ich am Personengedächtnis der Regensburger Polizei ernsthaft zu zweifeln begonnen. Zumal dieser Beamte schon seit 30 Jahren seinen Dienst hier in dieser Stadt ableistete.
»Oh! Entschuldigung! Selbstverständlich Frau Söll! Der dunkelhaarige Herr dort drüben leitet den Einsatz. Wenden Sie sich an ihn!«, stotterte er verlegen, wurde gleichzeitig knallrot im Gesicht und hob eigenhändig