„Sie sind also der Mann, der den Mord an Johannes Paul I. aufgeklärt hat. Der Fürst hat mir wahre Wunderdinge über Sie erzählt.“
Sein Englisch war geschliffen, als hätte er Cambridge oder Oxford hinter sich gebracht.
„Zu viel der Ehre!“, spielte ich den Bescheidenen.
„Er hat es sogar mit der Mafia aufgenommen“, strich mich der Fürst heraus.
„Das könnte auch diesmal auf Sie zukommen, wenn Sie den Auftrag annehmen.“ Wischnewski sah mich bedeutungsvoll an. Es wunderte mich nicht. Letztendlich lief es in Italien immer auf die Mafia hinaus. Der Fürst bemerkte, dass ich langsam ungeduldig wurde, weil der Kardinal nicht zur Sache kam.
„Ein wichtiges Dokument ist aus dem Vatikan-Archiv entwendet worden“, half der Fürst dem Kardinal auf die Sprünge. Dieser seufzte.
„Haben Sie schon einmal von den Lateranverträgen gehört?“
„Meinen Sie die Konstantinische oder die Pippinische Schenkung?“
„Aber nein!“, entgegnete Wischnewski. „Der Lateranvertrag wurde am 11. 2. 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem italienischen Königreich abgeschlossen. Auf unserer Seite leitete Pietro Gasparri die Verhandlungen. Für das Königreich Benito Mussolini.“
„Der Diktator mit dem vorgestreckten Kinn?“
„Richtig. Er war damals Ministerpräsident.“
„Und was ist daran bedeutsam?“ Mir schwante etwas. Wenn die Kirche und ein Diktator Verträge miteinander abschlossen, geschah dies immer in trüben Gewässern.
„Der Vertrag erkannte den Vatikan als souveränen Staat an und garantierte die Unabhängigkeit und die Unverletzlichkeit des Heiligen Stuhls. Und legte die Grenzen des Staates fest. Dieser Vertrag wird auch heute noch uneingeschränkt vom italienischen Staat anerkannt.“
„Verstehe ich das richtig? Die Souveränität des Vatikans ist auf einen Pakt zwischen Faschisten und der Kirche zurückzuführen?“
„Nein. So stimmt das nicht!“, widersprach der Kardinal vehement, eine leichte Röte im Gesicht. „Wir schlossen den Vertrag mit dem Königreich Italien ab.“
„Das es nun nicht mehr gibt!“
„Das ist nicht das Problem. Die heutige Republik ist Rechtsnachfolger.“
„Das hat zwar ein Geschmäckle, aber wo liegt denn nun das Problem?“
Der Kardinal schluckte, faltete die Hände und starrte vor sich hin.
„Sie können Christiansen vertrauen“, half ihm der Fürst.
„Was ich Ihnen jetzt erzähle, ist eines der großen Geheimnisse des Vatikans!“, quetschte er schließlich heraus.
„Wenn das in der Öffentlichkeit bekannt würde, gäbe es einen weltweiten Aufschrei!“, bekräftigte der Fürst.
„Sie kennen das Geheimnis?“, staunte Wischnewski.
„Nichts Genaues. Aber als Kammerherr bin ich in viele politische Aktivitäten des Vatikans eingebunden. Und da hört man so manches, was nicht im Osservatore Romano steht.“
Der Butler kam herein und reichte mir auf einem Silbertablett ein Weißbrotsandwich, belegt mit Thunfisch und Mayonnaise. Es war köstlich. Das Bier war kalt und schmeckte vorzüglich. Es war ein Astra aus Hamburg. Ich hatte gegenüber dem Fürsten mal geäußert, dass es eines meiner Lieblingsbiere sei und als vollkommener Gastgeber hatte er diese Bemerkung nicht vergessen.
„Was ist denn nun das große Geheimnis?“, fragte ich mit vollem Mund kauend, was mir von Maja einen strengen Blick eingebracht hätte.
„Es gab einen geheimen Zusatzvertrag, der dem Faschistenführer versprach, dass man nach dem Tod des Königs Viktor Emanuele II. das Königreich wie in Deutschland in einen Führerstaat umwandeln würde. Dazu kam es bekanntlich nicht. Mussolini wurde gestürzt und getötet. Die Italiener zwangen den König nach einer Wahl abzudanken. Er starb im Exil.“
„Peinlich, peinlich!“, kommentierte der Fürst. „Es ist der Beweis, dass sich die Kirche damals noch tiefer mit den Faschisten eingelassen hatte, als ohnehin schon bekannt ist.“
„Ja, es wäre noch heute ein Riesenskandal“, gab der Kardinal mit säuerlicher Miene zu.
„Und dieses Dokument ist verschwunden?“, kam ich auf des Pudels Kern.
„Und du sollst es wiederbeschaffen!“, ergänzte der Fürst.
Der Kardinal nickte eifrig. Er sah mich fast bittend an. Er sah aus, als wäre er beim Klauen in Nachbars Garten erwischt worden.
„Irgendwelche Verdachtsmomente?“
Nachdem ich meinen ersten Durst gestillt hatte, ließ ich mir vom Fürsten den Chianti einschenken. Er war wie erwartet fürstlich.
„Sehr gut“, lobte ich. Der Fürst strahlte.
„Nein. Keine“, gestand der Kardinal mit unglücklicher Miene. „Dem Leiter des Archivs Giuseppe Casardi ist es auch unerklärlich. Er arbeitet seit dreißig Jahren im Vatikan. Ein absolut zuverlässiger Mann von großer Integrität, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit. Für ihn lege ich meine Hand ins Feuer.“
„Weiß Seine Heiligkeit, Johannes Paul II., davon?“
„Nein. Wir wollen den Heiligen Vater damit nicht belästigen. Er hat genug um die Ohren! Für solche Petitessen ist der Kardinalstaatssekretär zuständig.“
„Petitessen? Ich denke, wenn der Inhalt des Zusatzvertrags bekannt würde, fliegt Ihnen der Vatikan um die Ohren.“
„So schlimm würde es nun auch wieder nicht werden! Nein, der Vatikan hat die Vandalen, Goten, Martin Luther und die deutschen Nazis überstanden. Aber eine Menge Ärger und Häme käme dann auf uns zu. Ärger, über den sich die Kommunisten besonders freuen würden. Aber Kardinalstaatssekretär Domus ist involviert.“
Ich schaute die beiden ratlos an.
„Wer ist das jetzt?“, fragte ich vorsichtig. Ich hatte mit Kardinalstaatssekretären keine guten Erfahrungen gemacht. „Ist der auch über mich informiert?“
„Ja, natürlich. Ich werde Sie ihm morgen vorstellen. Kommen Sie Punkt 12 Uhr in den Governatoratspalast. Danach stelle ich Ihnen den Chefarchivar vor. Sie wären also bereit, den Auftrag anzunehmen?“
„Der Vatikan muss nur meine Honorare akzeptieren!“ Ich nannte sie ihm.
Er schluckte und sagte: „Einverstanden! Wie werden Sie vorgehen?“
„Erst einmal ein paar Steine umdrehen, um darunter Skorpione aufzuschrecken!“
„Es werden welche darunter hervorkriechen!“, sagte der Fürst voraus.
„Sicher. Immerhin ist der Vatikan alles andere als ein demokratischer Staat.“
Der Kardinal verzog das Gesicht, als hätte er Zahnweh. Danach tauschten sich die beiden über ein paar amüsante Skandale aus. Römer lieben anrüchige Geschichten. Ich verabschiedete mich. Spencer hatte herzhaft gegähnt und mich angesehen, als wolle er sagen: „Wird’s bald? Wir sollten uns ein wenig Schlaf gönnen.“
„Pass auf dich auf!“, sagte der Fürst zum Abschied.
Es sollte sich herausstellen, dass dies eine sehr berechtigte Aufforderung war. Ich mochte den Fürsten, obwohl er seine Ahnen bis auf die Kreuzritterzeit zurückverfolgen konnte. Trotzdem war er kein bisschen eitel oder schwierig. Ich wusste, dass er mich gern als Schwiegersohn gesehen hätte. Seine Tochter traf ich in der Halle. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie mir aufgelauert hatte.
„Hallo, Barbar! Mal wieder zurück in der Zivilisation?“, begrüßte sie mich und fiel mir um den Hals. Estefanias Kuss war gar nicht schwesterlich. Ich hatte mit ihr mal eine Affäre gehabt, doch sie war ein gar zu wildes