»Gehen Sie bitte schon voraus, ich komme mit meiner Schwester nach.«
Damit zog er sie aus dem Sessel hoch, umfaßte ihre Schultern, und Hansinchen humpelte davon, was ihr einen spöttischen Blick des Bruders eintrug.
»Schäm dich!« raunte er ihr zu, was sie dann auch tatsächlich tat.
Im Salon ließ er sie in einen Sessel gleiten und wandte sich dann den beiden Mädchen zu, mit der ganzen Liebenswürdigkeit, die ihm eigen.
»Nehmen Sie bitte Platz, meine Damen.«
»Danke, Herr Doktor«, zögerte Karola. »Es ist wohl besser, wenn wir uns verabschieden.«
»Auf keinen Fall!« protestierte er dringlicher, als die Vorsicht gebot. »Warum wollen Sie denn gehen?«
»Weil Ihre Frau Schwester den Arzt hinzuziehen muß. Da kann unsere Gegenwart nur störend wirken.«
»Ich brauche keinen Arzt«, erklärte Hanna hastig. »Schauen Sie mal, ich kann den Fuß ganz gut bewegen.«
»Na also«, schmunzelte der Bruder und schob zwei Sessel zurecht, in welche die Mädchen sich dann auch setzten. Eine Erfrischung oder gar ein Schnäpschen lehnten sie jedoch entschieden ab, nahmen nur eine Zigarette.
Da sie alle vier weltgewandte Menschen waren, kam bald ein Gespräch zustande, wobei sich Karola allerdings reserviert verhielt.
Dafür schwatzte Gudrun munter drauflos. Und als die Mädchen sich nach einer halben Stunde verabschiedeten, hätte Detlef sich am liebsten an ihre Fersen geheftet.
»Nun, wie hab’ ich das gemacht?« fragte Hanna stolz, als sie mit dem Bruder allein war, und schmunzelnd kam es zurück:
»Ich hab’ bisher gar nicht gewußt, daß du so heucheln kannst, Hansinchen. Man muß sich ja vor dir in acht nehmen.«
»Aber gefallen hat dir meine Heuchelei trotzdem, nicht wahr?« zwinkerte sie ihm vergnügt zu. »Es wäre sehr dumm von mir gewesen, diesen Wink des Schicksals zu ignorieren. Denn daß es gerade das Auto sein mußte, in dem der entfleuchte Hahn Zuflucht suchte, gibt doch wohl zu denken. Ich hab’ dir nun den Weg geebnet, jetzt sieh zu, daß du ihn fest und unbeirrt weitergehst.«
»Worauf du dich verlassen kannst, Schwesterherz. Jedenfalls hab’ herzlich Dank, daß du mir so lieb geholfen hast, wenn auch mit List«, setzte er lachend hinzu, doch sie tat großartig ab.
»Auf den Schleichpfaden der Liebe ist jede List gestattet. Ich bin neugierig, was du unternehmen wirst, um deinem Schwarm wieder zu begegnen.«
»Indem ich zum Hörgishof fahre, was ich geschäftlich sowieso vorhatte. So kann ich nun das Geschäftliche mit dem sehr Angenehmen verbinden und die wiedersehen, die es tatsächlich fertiggekriegt hat, mein jahrelang so eisgekühltes Herz heiß zu machen. Denn von der entzückenden Gun wissen wir ja, daß die beiden Mädchen sich von dem Hörgishof kaum trennen können.
Doch nun mal die Frage, die so sehr wichtig ist: Wie gefällt dir Fräulein Arnhöft überhaupt?«
»Gut, sehr gut sogar. Aber warum ist das so wichtig? Du willst sie doch heiraten, nicht ich.«
»Allerdings. Doch da du ja schließlich auch unter einem Dach mit ihr leben mußt, wäre es eine Zumutung, dir einen unsympathischen Menschen sozusagen auf die Nase zu setzen.«
»Ach, wenn es danach geht, könnte ich mir mein eigenes Heim einrichten …«
»Stopp ab, Hanna!« unterbrach er sie erregt. »Ehe ich das zuließe, würde ich eher verzichten. Ich weiß doch, wie wohl du dich hier fühlst, wie du so ganz in deinem Element bist. Und da sollte ich den traurigen Mut haben – nein, Hansinchen, über den verfüge ich nicht.«
»Hm, aber über Fräulein Arnhöft scheinst du bereits zu verfügen«, sagte sie warnend. »Mäßige da nur dein Ungestüm, Junge. Warte erst einmal ab, ob sie dich überhaupt heiraten will. Den Eindruck macht die junge Dame nämlich nicht, daß sie dir gleich beim ersten Wink beseligt in die Arme sinken wird. Mir schwant so, als ob du nicht der einzige bist, der sie zur Frau begehrt. Dafür ist sie denn doch zu anziehend, und die Männer haben ja schließlich Augen im Kopf. Na, werden wir leben, werden wir sehen.«
Allein, es sollte dem Mann, den die Liebe so spontan gepackt hatte, vorerst nicht beschieden sein, seines Herzens Traute wiederzusehen. Denn es gab in den nächsten Tagen im Betrieb so Dringendes für ihn zu tun, daß er einfach nicht dazu kam, den Hörgishof aufzusuchen.
Doch sobald es irgend anging, erschien er dort, wo er, weil es Sonntag war, die Familie vereint antraf.
»Man immer hereinspaziert in die gute Stube!« empfing Rupert aufgeräumt den Gast. »Reihen Sie sich ein in unsere traute Runde. Was trinken Sie?«
»Nichts, Herr von Bärlitz, ich bin mit dem Wagen da. Danke, eine Zigarette nehme ich gern.
Und nun will ich gleich mit der Tür ins Haus fallen, wie Sie mir so nett rieten. Wollen Sie mir die Ecke Land, die an meinen Besitz grenzt, verkaufen, Herr Baron? Ich möchte da nämlich Zuckerrüben anbauen. Seien Sie also nett und geben Sie es mir ab. Ihnen bleibt noch immer übergenug.«
»Schön wär’s«, seufzte Arvid. »Aber leider ist es nicht möglich. Laut Testament darf ich kein Land veräußern, wenn ich nicht des Erbes verlustig gehen will, und das steht nicht in meiner Absicht.«
»Das ist allerdings fatal«, sagte Honneck betroffen. »Hm, hm, macht mir einen ordentlichen Strich durch meine Rechnung. Wenn ich nun nicht den Acker kriegen kann, darf ich dann wenigstens hoffen, daß Sie ihn mit Zuckerrüben bestellen?«
»Gar nicht so übel. Was meinst du dazu, Onkel Rupert?«
»Daß man es mal versuchen könnte, mein Junge. Rentiert es sich nicht, lassen wir die Finger davon. Also kein Risiko.«
»Das ist doch ein Wort!« freute Honneck sich. »Rentieren wird sich der Anbau bestimmt, er tut es bei den andern Landwirten ja auch.«
Man unterhielt sich nun noch weiter über das Zuckerrübengeschäft, wobei Detlef jedoch nicht ganz bei der Sache war. Immer wieder ging sein Blick verstohlen zu den Türen hin, lauschte sein Ohr auf jedes Geräusch, allein diejenige, welche er so sehnsüchtig erwartete, erschien nicht. Ob sie wohl gar nicht hier war?
Sie war es tatsächlich nicht, wie er auf eine geschickt gestellte Frage erfahren sollte. Gudrun lag nämlich mit einer Erkältung zu Bett, und da war es selbstverständlich, daß Karola bei ihr blieb.
Ganz nebenbei wurde das erwähnt. Man konnte ja nicht wissen, wie brennend sich der Besucher dafür interessierte. So richtig enttäuscht verabschiedete er sich.
Und während er darüber nachgrübelte, wie er wohl zu einer Begegnung mit Feinsliebchen kommen könnte, grübelte der Besitzer vom Hörgishof darüber nach, wie er wohl zu dem Geld kommen sollte, das zu der Summe fehlte, die er morgen, am ersten April, als Zinsenzahlung einer Hypothek abliefern mußte.
»Es will einfach nicht reichen«, legte er soeben müde den Stift auf das Papier, das kreuz und quer mit Zahlen bedeckt war. »Wie einfach wäre alles, hätte ich das Stück Land an Herrn Honneck verkaufen können.
Ja, was machst du denn da?« fragte er verblüfft die Mutter, die neben ihn getreten war und eine Anzahl Scheine auf den Schreibtisch zählte. »Was ist denn das?«
»Geld«, war die lakonische Antwort. »Wenn du es zu dem andern legst, reicht es dann zur Zinsenzahlung?«
»Reichlich sogar«, entgegnete er, dabei auf die Scheine starrend, als wären sie nicht geheuer. »Es reicht sogar, um den Dachdecker zu bezahlen. Darf ich fragen, woher du das Geld hast, Mutter?«
»Zum Teil aus dem Erlös der Schneeglöckchen, die reißenden Absatz fanden. Wir konnten gar nicht soviel pflücken, wie verlangt wurden. Hätten die beiden Mädchen nicht so eifrig dabei