Griechische Kulturgeschichte, Band 3. Jacob Burckhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jacob Burckhardt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849606299
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dagegen nur für Kriegszierden. Die göttlichsten Geschenke aber sind Vögel und Bilder, wie sie ein Maler in einem Tage vollenden kann (d.h. die ordinärsten Exvotos).

      Hiemit würde die Kunst in ihrem äußern Bestand zur Ärmlichkeit verdammt und materiell heruntergebracht worden sein. Allein Plato hätte auch ihre innere Entwicklung mit Gewalt stillgelegt, wenn man ihn hätte machen lassen. Er verrät dies in seinem Lobe der ägyptischen Kunst111, als einer völlig stationären. Dort habe man von alters her das Was und das Wie festgesetzt und in den Tempeln verkündet und geoffenbart, und darüber hinaus habe kein Künstler etwas "neuern" (kainotomein) oder erdenken, sondern nur das "Vaterländische" wiedergeben dürfen. Noch jetzt werde es in Ägypten so gehalten, in bildender Kunst sowohl als in der Musik. Was vor zehntausend Jahren – und zwar im buchstäblichen Sinne gerechnet – gemalt oder gemeißelt worden, sei nicht schöner noch häßlicher, als was jetzt verfertigt werde; die Kunst sei völlig dieselbe. Das sei gesetzgeberisch, das sei im Sinne des Staates gehandelt112.

      Als das Buch von den Gesetzen verfaßt wurde, war Skopas und vielleicht auch Praxiteles schon in voller Tätigkeit, und beide brauchten von Platos Ansichten keine Kenntnis zu nehmen, sonst würden sie ihn vielleicht darüber belehrt haben, was bei den Griechen "vaterländisch" sei, nämlich die höchste Ausbildung der Anlage des einzelnen. Und wie konservativ ist bei all diesem die griechische Kunst im ganzen geblieben!

      Aristoteles beschweigt wenigstens die bildende Kunst. Bei der großen Menge, Ausdehnung und Vielseitigkeit seiner erhaltenen Schriften, unter welchen sich eine Poetik, eine Rhetorik und ein wichtiger Abschnitt über Musik113 befinden, bleibt dies doch immer sehr bemerkenswert. Daß er für die Betrachtung des Äußern als Ausdruck des Innern das höchste Verständnis hatte, zeigt seine Physiognomik (vgl. S. 22 f.), welche für den Künstler wie für den Kunstforscher noch heute lesenswert ist.

      Die Stoa erging sich in ähnlichen blinden Raisonnements über die Kunst wie Plato. Eine Lehre des Zenon war: Heiligtümer der Götter seien nicht zu bauen; ein nicht sehr wertvolles Heiligtum sei nicht heilig (agion), kein Werk von Bauleuten und Banausen aber sei wertvoll. Plutarch114, der uns dies überliefert, hält sich dabei freilich über die Inkosequenz der Sekte auf; denn die Stoiker nähmen trotz dieser Lehre in Tempeln Weihen auf sich, stiegen auf die Akropolis, würfen sich vor den Götterbildern nieder und bekränzten die Tempel, welches doch Werke von Bauleuten und Banausen seien ... und opferten auf Altären und bei Heiligtümern, welche nach ihrer Meinung weder vorhanden sein, noch errichtet werden sollten. Man hätte freilich wohl warten müssen, bis die Philosophen selber Tempel und Statuen irgendwie, notabeneA14 ohne "banausische" Anstrengung hervorgebracht hätten.

      Kennerschaft und periegetische Aufzeichnung der verschiedenen Kunstwerke beginnen erst in der alexandrinischen Zeit, und nicht bei den Philosophen; das meiste erfährt man aber erst von Römern oder von Griechen der römischen Zeit. Freilich auch jetzt interessiert sich z.B. ein Strabo für die einzelnen Städte, als Geburtsorte der obskursten Philosophen und Rhetoren, und nennt nur zur Seltenheit einen Künstler mit. Bei Dionys von Halikarnaß finden sich halsbrechende ästhetische Parallelen zwischen Phidias und Polyklet einerseits und Isokrates andererseits, worauf er dann noch den Lysias mit KalamisA15 und Kallimachos zusammenstellt115. Anderswo verficht er mit Kraft die Berechtigung des Laienurteils über Kunstwerke116. Bald kam dann die Zeit, da der Literat dem Künstler vorempfand, und letzterer auf gelehrte Programme hin umständliche Kompositionen arbeitete, wie z.B. Archelaos von Priene seine Apotheose Homers (im Britischen Museum). Bei Philostratos ist sicher anzunehmen, daß er an vielen Stellen Niegesehenes und Nichtvorhandenes schildert, und wenn vollends ein Rhetor des V. Jahrhunderts n. Chr., wie Nikolaos117, Statuen und Gruppen auf das prächtigste beschreibt, so wissen wir schon, wie der damaligen Plastik zumute gewesen sein würde, wenn man die wirkliche Beschaffung des Beschriebenen ernstlich von ihr verlangt hätte.

      Die Kunst aber hatte den Philosophen ihre Abneigung von Anfang an nicht nachgetragen, sondern dieselben in Statuen, Büsten und gemalten Bildnissen auf das reichlichste verewigt, ja nächst den Herrschern am häufigsten. Die spätere antike Bildung hatte sich die Kenntnisnahme von allen philosophischen Systemen zu einer Art von Pflicht gemacht, und wo sich zu diesem Interesse der Reichtum hinzufand, wollte man auch die Porträts, wenigstens der Schulhäupter, nicht entbehren: wir haben sogar noch aus der christlichen Zeit, da von einer Büstensammlung nicht mehr die Rede sein konnte, für die konventionelle Abbildung der Philosophen ein ins Kurze gezogenes Rezept118.

      Und die Nachwelt darf es – beim Lichte besehen – als das größte Glück für die bildende Kunst betrachten, daß sich die Literaten der voralexandrinischen oder vorrömischen Zeit nicht stärker mit ihr abgaben. Sie blieb so im ganzen und vollen unbesprochenen Besitz ihrer Naivität, was die Poesie nicht blieb; sowohl in ihren Gegenständen als in ihrer Auffassung hatte sie in einer Zeit, da sonst alles zerschwatzt wurde, den unendlichen Vorzug, frei von aller Gebundenheit an Theorien und Meinungen ganz nur ihre eigenen Wege gehen zu können.

      Der gleichen Unabhängigkeit erfreute sich die Kunst aber auch gegenüber von den politischen Machthabern. Auch neben den raubsüchtigsten Streberregierungen hielt sie sich oben und blieb reich beschäftigt und im herrlichsten Schwung neuer Entwicklungen. Von den athenischen Strebern des IV. Jahrhunderts z.B. darf man sich die meisten als innerlich frivole Menschen mit liederlicher Aufklärung vorstellen, welchen an Skopas, Praxiteles, Lysippos gar nichts gelegen war, wenn sie nur am Staate zehren konnten. Aber gegen die Kunst, zumal gegen das Götterbilden durften sie sich nicht laut machen; denn hier trafenA16 sie auf ein Volk, welchem die Kunst zum Kultus und der Kultus zur Lebensfreude gehörte. Das heutige Bündnis zwischen Liberalismus und Kirchenfeindschaft war damals unmöglich; die Reputation von Asebie konnte stündlich zu einer Todesgefahr werden, und abgesehen von diesem allem mögen auch die profansten Streber in ihrem eigenen Innern sich vor den Göttern gefürchtet haben. Pathetische Demagogen wie Lykurgos trieben noch Aufwand mit mythischen Erinnerungen, statteten Kultus und Drama mit neuer Pracht aus, und der streberisch korrumpierte Staat konnte auch nicht die Schule gegen die Religion ausspielen, überhaupt dieser nicht indirekt das Wasser abgraben. Die Religion aber fand fortwährend ihren größten Ausdruck in der Kunst; auch sehr verdorbene Poleis mögen noch bei Praxiteles usw. bestellt haben, und das Aufkommen einer neuen Macht, wie Messenes nach der Restauration durch Epaminondas, hatte sofort mächtige Bestellungen von Götterbildern zur Folge. Die Kunst war noch nicht in das Belieben der (ohnehin immer seltener werdenden) Reichen gestellt und noch nicht auf großstädtische Ausstellungen mit Feuilletons angewiesen.

      Im Verlauf des III. Jahrhunderts neigten sich die griechischen Städterepubliken, noch vor aller römischen Einmischung, zum Untergange. Innere Unruhen, welche meist auf Plünderung der letzten Besitzenden hinausliefen, Überfälle von Nachbarstädten, wo man noch auf Raub hoffte, besinnungsloses Prassen, wie z.B. in Böotien, systematisch ausgeübter Mord gegen alle herrschenden Kasten wie in Sparta, Verödung des Landes bezeichnen, wie früher dargestellt, die Zeit seiner Wende. Man sollte erwarten, daß kein Hellene mehr Stimmung und Gelegenheit für höhere Kunstübung gefunden hätte. Allein es gab jetzt große Griechenkönigreiche außerhalb von Hellas, wo zeitweise wenigstens Sicherheit und Gedeihen herrschte. Im kleinasiatischen Pergamon hatte sich eine Schule von Bildhauern erhoben, von welcher man bis vor wenigen Jahren nur einzelne, allerdings schon sehr bedeutende Werke kannte. Nun, neben dem unsäglichen Elend Griechenlands, entstand hier kurz vor oder nach 197 v. Chr., nämlich entweder unter Attalos I. oder erst unter Eumenes II. der berühmte Altar von mehr als 100 Fuß ins Gevierte, dessen erstaunliche Reste allein schon das Museum von Berlin zu einem der ersten Kunstwallfahrtsorte der Welt machen würden. Es ist der Kampf der Götter und der Giganten, ein rings um die Wände des Altars laufendes Relief von acht Fuß Höhe; die nach Berlin geretteten Teile haben eine Gesamtlänge von etwa 250 Fuß. Es ist, als wäre über diese Kunst gar nichts ergangen. Jugendfrisch, naiv, in ihren Mitteln und ihrer Behandlung dem Phidias viel näher und verwandter, als man es irgend erwartet hätte, wirft sie sich, wie der Löwe auf seine Beute, auf das mächtigste bewegte Thema, welches der Mythus überhaupt darbot. Frühere Reliefs hatten besonders Kämpfe von Heroen und Kentauren, Amazonen und Fabeltieren dargestellt;