Die Lage der Tempel war entweder durch ein Präzedens, resp. Ereignis aus der mythischen Zeit vorgeschrieben oder frei gewählt. Häufig befanden sie sich einsam auf Berggipfeln und Vorgebirgen oder in heiligen Hainen, öfter auf den Akropolen, auf der Agora, am Seehafen der Städte, und hier, wie schon gesagt, oft zu mehrern, womöglich mit einem nach außen hin abschließenden Hof (Peribolos). Stets sind sie auf ihren drei hohen Götterstufen, neben denen an den Frontseiten noch die Gebrauchstreppen für die Menschen vorhanden sind, wie ein Anathem emporgehoben; vor ihnen steht der als Requisit einfache, wenngleich bei reichern Mitteln oft höchst prachtvolle Brandopferaltar. Im Augenblicke des Opfers öffnet sich die eine große und feierliche Pforte, deren Flügel in Stoff und Form möglichst prachtvoll sind, und läßt das Licht auf die Requisite des Innern, das Tempelbild und den Räucheraltar fallen; bei nicht mehr ganz kleinen Dimensionen ist dann freilich noch eine Dachöffnung (opaion, potagogos, lumen) zur Beleuchtung nötig, und was direkt unter derselben ist, liegt unter freiem Himmel ( paitron), eine Einrichtung, welche ihre monumentale Ausbildung in einem Doppelgeschoß von Innenhallen findet. Vollendet wird die Pracht des Ganzen durch die Weihegeschenke, welche im Innern, im Pronaos, im Säulenumgang (Pteroma) ihren Platz haben, und mit denen bei prachtvollern und reichern Tempeln dann noch die Stoen und der Peribolos angefüllt sind, und schon zum Peribolos gelangt man hin und wieder durch herrliche Propyläen.
Der normale Tempel verzichtet auf jede Abweichung in der Anlage, auf jede Kombination des Verschiedenartigen; er will nur ein höchster Einklang des Gleichartigen sein; eine und dieselbe Art von Säulen und Gebälken und Götterstufen umgibt ihn, eine und dieselbe strebende und tragende Kraft, und eine und dieselbe Last wirkt gleichmäßig durch das Ganze; an beiden Frontseiten ist dann der Giebel die rituale Auszeichnung der Götterwohnung vor den Wohnungen der Menschen.
Aber dieses absichtlich wenige atmet ein vollständiges Leben. Der griechische Tempel ist im höchsten Grade wahr, und hierin liegt zum Teil seine Schönheit: er stellt die höchste Abrechnung dar zwischen einfachem Tragen und Getragenwerden einer horizontal liegenden und rein vertikal wirkenden (nicht durch Wölbung seitwärts drückenden) Last und drückt dies, wenn auch in zwei Dialekten, dem dorischen und ionischen, so doch in einer Formensprache aus.
Die betreffenden Formen deuten teilweise auf ägyptischen und assyrischen Ursprung; von der Umdeutung des Holzbaues in diesen beiden Ländern kann etliches, was an der architektonischen Formenwelt sekundär ist, entlehnt worden sein; allein in Griechenland sind diese Reminiszenzen an den Holzstil bis zu vollkommener Harmonie ausgeglichen, alle Knechtschaft ist völlig überwunden, statt aller hölzernen Wirklichkeit ist eine ideale Wahrheit entstanden. Und so haben wir es denn mit einem Quaderbau zu tun, bei dem jeder einzelne Block zu seinem vollen Rechte kommt. Im ganzen Reiche der Baukunst hat es so empfindliche Formen nicht wieder gegeben.
Die Säule ist vollendetes Leben, ein zylindrischer, seine Kraft gleichmäßig exzentrisch nach allen Seiten ausstrahlender, rein in sich abgeschlossener Körper; sie ist durch gleichmäßige Abstände von ihren homogenen Nachbarn getrennt, durch Verbreiterung nach unten und Verjüngung nach oben gewinnt sie eine zunehmende Stabilität; noch lebendiger spricht eine innere Elastizität aus der Anschwellung (entasis); zum größern Ausdruck des vertikalen Lebens dient ferner die Kannelierung (rabdosis); die Höhe und Stärke der Säule endlich steht im reinsten Verhältnis zu der Größe der Intervalle und der zu tragenden Last. So vereinigten sich die höchste ästhetische und die höchste mechanische: Wahrheit, das Struktive zeigt sich in völlig ideal gewordenem Ausdruck.
Das Gebälk erscheint in doppelter Lagerung, als Architrav und als Fries, und darüber kommt das Hauptgesims mit den Formen des Daches; hier symbolisiert die sanfte Neigung des Giebels den Rest von Strebekraft, welcher nach dem Kampf zwischen Säulen und Gebälk noch übrig geblieben sein mag.
Die besondere Ausprägung der architektonischen Formen erfolgt nun, wie gesagt, in zwei auf gemeinsamer Grundlage ruhenden, aber durchaus selbständigen Auffassungen: dem dorischen und dem ionischen Stil, deren allmähliche Ausreifung rätselhaft bleibt, indem wir nur wissen, daß sie schon um 650 nebeneinander existierten. Auch die Beziehung auf die beiden Stämme ist ja nicht zu eng zu fassen, und ebensowenig sind sie mit deren vermeintlichem Charakter zu parallelisieren.
Dorisch ist die Säule ohne Basis mit stark geschwelltem und verjüngtem Schaft und Kanneluren, welche in scharfen Kanten zusammenstoßen; die Höhe beträgt ungefähr fünf und einen halben, der Abstand anderthalb Diameter; das durch eine bis drei Rinnen vorgedeutete Kapitäl besteht aus dem mit den Ringen ansetzenden Echinus, der als ein lebendiger elastischer Stoff mit sehr verschiedener Dehnbarkeit seiner Teile gedacht ist, und dem als Übergang zum Architrav dienenden Abakus; dieser ist offenbar der Nachklang eines Brettes, wodurch man ein unmittelbares Aufliegen der Fuge zweier Architravbalken auf der Säule selbst vermeiden wollte, und zugleich wird durch ihn die Tragkraft der Säule auf ein weiteres Feld ausgedehnt. Den Architrav bilden – abgesehen von den vordeutenden Plättchen mit Tropfen – bloße Steinbalken. Der über ihnen laufende Fries enthält die Triglyphen und ihre Zwischenfelder, die Metopen; jene sind, obwohl ursprünglich evident als das vor die Balkenenden genagelte Brett gedacht, fiktionsweise doch um alle vier Seiten des Tempels geführt, ihre Steilform hat ästhetisch den Zweck, noch einmal vertikal zu wirken. Über dem Fries endlich kommt das Kranzgesimse mit seinen Dielenköpfen und den übrigen abschließenden Gliedern. Wir erwähnen hier noch die an der Mauerstirn der Cella und am templum in antis erfolgte Ausbildung der dorischen Ante und die Ausbildung der Hallendecke mit Kassetten. Die weitere Ausdeutung der Formen war einer mäßigen Polychromie überlassen, indem die Triglyphen blau, der Abakus mit einem Mäander, die Wellenprofile mit Blättern, die Kassetten blau mit goldenen und roten Sternen bemalt waren; an Metopen und Giebelfeld war auch die Fläche farbig.
Im ionischen Stil haben die Formen mehr Selbständigkeit und vom Ganzen unabhängige Schönheit der Einzelerscheinung; manches, was im dorischen nur aufgemalt wurde: die Blätter der Wellenprofile, die Wulste, Kehlen, Einreifungen usw., ist hier plastisch gegeben. Die Säule ruht – außer in Attika – auf einer quadratischen Platte; stets hat sie eine reiche Basis, auf die sie wie auf eine Art weichen Stoffes gebettet ist; die schönste Lösung hat für dieses Glied die attische Kunst gefunden, indem sie ihm eine Hohlkehle und zwei Wulste gibt. Der Schaft ist schlank, seine Höhe beträgt acht und einhalb bis neun und einhalb, der Abstand der Säulen zwei Diameter. Die Kanneluren (bis 24) haben Stege zwischen sich und sind tiefer ausgehöhlt als an der dorischen Säule. Der Echinus, der über einem Perlband ansetzt, zeigt den Eierstab. Darüber kommt das Doppelpolster mit seinen Voluten, aus deren Winkeln Blumen gegen den Echinus gehen97; der Abakus ist zierlich geschwungen und mit einem Wellenprofil versehen. Der aus drei Streifen bestehende Architrav schließt mit Perlband und Welle und ebenso der fortlaufende Fries. Darüber kommt die Hängplatte mit den Zahnschnitten (die in attischen Bauten fehlen) und über dieser die Traufrinne (Sima) mit geschweiftem Profil. Auch die Antenprofile sind reicher und bewegter als im dorischen Stil, und ebenso die Profile an den Wandflächen. Diese Formen haben, wie namentlich der dreiteilige, nur durch Aufeinandernieten von drei dünnen Holzstämmen zu erklärende Architrav und die aus den Lattenenden einer horizontalen Decke von sehr leichtem und dünnem Holz hervorgegangenen Zahnschnitte zu beweisen scheinen, ihr Prius nicht wie die Formen des dorischen Stils in einem Bau aus starken, z.B. eichenen Balken, sondern sie setzen Stämme von viel geringerem Durchmesser, ursprünglich etwa gar Palmen und dergl. voraus und weisen vielleicht nach Mesopotamien. Wann aber und durch welche Kraft hat sich der Peripteros mit ihnen verbündet und sie zu seinem Ausdruck erkoren, so gut wie die dorischen? Wir können nur sagen, daß Orient und Okzident hier zu einer unvergleichlich schönen Form mysteriös zusammengewirkt haben.
Wesentlich die Formen des ionischen hat der korinthische Stil; nur hat er das reichere Kapitäl aus Blättern