Von Trennung sprach Alexander zum ersten Mal, als Florian knapp drei Jahre alt war. Da waren sie kaum fünf Jahre verheiratet.
Alles Blut floß Julia vom Herzen. »Du willst dich scheiden lassen?« fragte sie tonlos. »Was habe ich denn falsch gemacht?«
»Du hast nichts falsch gemacht. Aber schau, wir haben doch schon lange erkannt, daß wir im Grunde nicht zusammenpassen. Daraus kann keiner dem anderen einen Vorwurf machen. Es ist dann nur besser, wenn jeder seinen Weg geht.«
»Ist da schon eine andere Frau, die besser zu dir paßt als ich?« fragte sie mit enger Stimme.
»Nein«, antwortete er ungeduldig.
Daß dies eine Lüge war, stellte sich erst später heraus.
»Und dein Sohn«, würgte sie hervor, »denkst du gar nicht an Florian? Er hängt an dir nicht weniger als an mir, seiner Mutter.«
»Da wird sich eine Regelung finden lassen«, behauptete Alexander, mit einem Blick auf sie, der sie erschrecken ließ. »Ich ziehe wieder in mein Elternhaus, der Südteil steht ja leer. Du wolltest da ja nicht mit hinein.«
Nein, sie hatte nicht in engstem Kontakt mit Menschen wohnen wollen, die ihr nicht besonders gewogen waren.
»Ich überlasse dir diese Eigentumswohnung«, fuhr er fort, »und ich werde auch ausreichend für dich sorgen.«
Es war typisch für Julia, der materielle Werte so wenig bedeuteten, daß sie mit schmalen Lippen erwiderte: »Du kannst dein vieles Geld behalten. Darauf kann ich auch verzichten.«
Auf alles konnte sie verzichten, auch auf diesen Mann, dem sie nichts mehr galt. Nur auf Florian konnte sie nicht verzichten.
Daß es dennoch soweit kam, war für alle, die zu ihr standen, völlig unfaßbar.
Alexander war eiskalt entschlossen, Florian in seine Obhut zu bekommen. Dafür scheute er vor nichts zurück. Er wurde für Julia ein Feind, der sie niederrang. Zusammen mit seiner Familie, die ihren Namen und ihren Einfluß in die Waagschale warfen. Und er hatte den besseren Anwalt im Prozeß. Den besten und gerissensten, den es derzeit gab.
Die nette jüngere Anwältin, die Julia sich genommen hatte, wurde von ihm niedergeredet.
Es war die Hölle gewesen.
Natürlich wurde auch der kleine Junge gefragt, und natürlich war er viel zu verstört und zu verwirrt von dem ganzen Geschehen, als daß er es irgendwie beeinflussen konnte.
»Wo willst du bleiben, Alexander, bei deinem Vater oder bei deiner Mutter?«
»Bei beiden«, brachte das zitternde Stimmchen nur immer hervor.
Schließlich wertete das Gericht die wirtschaftliche und familiäre Sicherheit der Rodenbachs als Pluspunkt für das Kind.
Der Vater Alexander Rodenbach bekam das Sorgerecht für Florian.
Für Julia war es, als würde ihr das Herz aus dem Leib gerissen.
Nie, bis ans Ende ihres Lebens nicht, würde sie die triumphierenden Mienen vergessen, mit denen er und sein Anwalt sich die Hände schüttelten.
Wie habe ich das nur durchgestanden, fragte sich Julia und krümmte sich in ihrem breiten Sessel. Wie stehe ich es weiterhin durch, meinen Florian an drei Wochenenden im Monat zu haben.
Seit einem halben Jahr ging das nun so. Sein Vater fand diese Regelung sogar noch großzügig.
Julia hatte, nach anfänglicher großer Verwirrung, die Umstellung erstaunlich verkraftet. Er war kein besonders sensibles Kind. In dieser Beziehung kam er mehr auf seinen Vater. Schon immer war er gern in dem großen Haus gewesen, wo er viel Bewegungsfreiheit hatte und ihm nichts verwehrt wurde. Er hatte nun ein Kindermädchen, die Annick, die zweisprachig war und manchmal mit ihm französisch sprach. Das lernte er spielend und fand es sehr lustig.
Freilich legte es sich immer wie ein Schatten über ihn, wenn er von seiner Mama wieder fort mußte. Aber das war nur eine Wolke, die vorüberzog, denn da war ja nun wieder der Papa, und schon war alles gut.
So ein kleiner Junge vermochte auch noch nicht weiterzudenken. Das machte er sich nicht klar, daß es nun so für immer bleiben sollte.
Für immer!
Eine wilde Auflehnung erfaßte Julia, einer Stichflamme gleich, die rasch in sich zusammensank. Sie wußte, daß sie nichts würde ändern können. Sie hatte gekämpft, so wie es nur in ihren Kräften stand. Sie war besiegt worden.
Müde erhob sich Julia, als das Telefon läutete. Wer wollte etwas von ihr? Man sollte sie doch in Ruhe lassen.
Ihre Kusine Anette war am Apparat. »Du, kann ich mal bei dir vorbeikommen?« fragte die muntere Stimme. »Ich hätte was ganz Wichtiges mit dir zu besprechen. Oder paßt es jetzt nicht? Du klingst so matt?«
»Komm nur«, sagte Julia.
Nur hier in Grübeleien zu versinken hatte ja doch keinen Sinn, hielt sie sich vor.
Zwanzig Minuten später war Anette da. Julia war noch dabei, das Kasperltheater abzuräumen.
»Ach, war heute wieder euer Wochenende…« Mitleidvoll sah Anette ihre Kusine an. Wie blaß sie war, und so dünn! Ein Leichtgewicht war Julia immer gewesen, aber doch bezaubernd hübsch von Gestalt und Ansehen, mit den
dunklen Haaren, zu denen die großen veilchenblauen Augen einen aparten Gegensatz im feingeschnittenen Gesicht bildeten.
Jetzt sah sie geradezu verhärmt aus, die Arme.
»Was gibt es denn, Anette?« fragte Julia ablenkend und setzte sich zu ihr.
»Ja, große Neuigkeiten!« Die Miene des Mädchens hellte sich wieder auf. »Stell dir vor, das hat geklappt, daß ich für ein dreiviertel Jahr an diese Universität nach Florida gehen kann, bevor ich dann hier mein Staatsexamen mache.«
»Gratuliere! Das freut mich für dich«, sagte Julia mit Wärme.
»Ich habe schon alle Papiere zusammen«, fuhr Anette angeregt fort, »und ich könnte auch gleich losfliegen. Wenn du mir einen großen Gefallen tun würdest, Julia? Du hast doch jetzt soviel Zeit –« Sie stockte.
»Ja, die habe ich«, sagte Julia und senkte die Lider.
»Entschuldige, das war nicht sehr taktvoll.«
»Macht nichts. Du hast ja recht. Also, was kann ich für dich tun?«
»Es geht um meine Wohnung, die Pflanzen, die Post, es müßte jemand danach sehen. Die ich kenne, sind alle nicht besonders zuverlässig, und ich wüßte auch niemand, dem ich den Schlüssel lieber anvertrauen würde als dir. Ich will
dir damit nur nicht lästig fallen.«
»Du brauchst gar nicht so viele Worte machen, Anette. Selbstverständlich werde ich mich darum kümmern.«
»Du bist ein Engel.« Anette lächelte dankbar, und dann begann sie zu schwärmen von dem, was sie erwartete, nämlich die Wärme und Sonne Floridas. Neues Erleben in einer ihr noch fremden Welt, ein interessantes Studium dazu, das sie in dem gewählten Fach weiterbringen würde.
»So, jetzt habe ich lange genug geredet«, meinte sie schließlich. »Ich werde schon mal anfangen, meinen Kram zusammenzupacken. Hab’ mir schon einen neuen Koffer gekauft.« Sie strahlte über ihr ganzes frischwangiges Gesicht.
Julia erhob sich ebenfalls.
»Was sagt denn dein Freund Curt zu der bevorstehenden Trennung?«
»Er findet das gut. Das heißt, es ist natürlich eine lange Zeit, aber sie ist doch wichtig für mich. Und wenn das unsere Beziehung nicht aushält, dann ist sie sowieso nichts wert. Curt ist ja auch noch nicht fertig mit seinem Studium. Das muß erst mal alles klar sein, bevor wir an später denken«, schloß sie sachlich.
Julia nickte