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Mit Santoros Nerven war es nicht gut bestellt, seit er über Violetta Fabrici gelesen hatte. Er hatte quälende Alpträume und konnte sich überhaupt nicht konzentrieren. In einer Konferenz war er einem Zusammenbruch nahe, und man riet ihm mitfühlend, daß er besser wieder nach Hause fliegen und sich behandeln lassen solle.
Er buchte auch einen Flug, aber er fuhr vom Flughafen dann nicht gleich nach Hause, sondern fuhr zu Dr. Hernando. Die Freundschaft mit dem Arzt war nicht mehr so eng wir ehemals. Es hatte verschiedentlich Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben wegen verschiedener Dinge. Hernando machte einen bestürzten Eindruck, als Santoro plötzlich vor ihm stand.
»Du hast mir gerade noch gefehlt«, sagte er unwillig.
»Ich muß trotzdem mit dir reden.«
»Wegen Pepita?«
»Was ist mit Pepita?«
»Hat es dir Isadora nicht erzählt?«
»Ich war nicht zu Hause, komme gerade von einer Reise nach Berlin zurück. Also, was ist mit Pepita?«
»Sie ist in der Klinik und wird untersucht. Es besteht der Verdacht auf Leukämie. Sollte sich das bewahrheiten, stündest du allerdings in der Pflicht.«
»Inwiefern?«
»Als möglicher Knochenmarkspender. Muß ich dich daran erinnern, daß du ihr Vater bist?«
Carlos wurde blaß. »Dann würde es doch bekannt«, sagte er tonlos. »Du bist dir über die Folgen im klaren?«
»Immerhin könnte es Pepitas Leben retten, oder soll ich ihre Mutter suchen lassen?«
»Da müßtest du nicht weit suchen. Ich weiß, wer sie jetzt ist, deshalb wollte ich mit dir reden.«
»Dann rück schon mit der Sprache heraus.«
Carlos nahm aus seinem Aktenkoffer das Journal und hielt es dem anderen vor die Augen. »Das ist sie, eine bekannte und reiche Unternehmerin. Du wirst dir denken können, was es für einen Skandal geben wird. Und du solltest auch darüber nachdenken, welche Folgen es für dich haben wird, wenn du bekennen mußt, woher du das Kind hast.«
»Es war ein Findelkind, ich habe es adoptiert. Das ist doch unsere übereinstimmende Version, Carlos.«
»Viola wird dieses Spiel nicht mitmachen, da bin ich sicher.«
»Wahrscheinlich will sie an ihre Vergangenheit gar nicht mehr erinnert werden.«
Carlos biß sich auf die Lippen. »Sie war kein Playgirl, das mich ausnehmen wollte. Das habe ich damals nur gesagt. Sie hat nie Geld von mir verlangt. Ich habe in Erfahrung gebracht, durch eine Agentur, daß sie ein beträchtliches Erbe angetreten hat. Mir sitzt jetzt auch die Angst im Nacken, Juan. Wir müssen sehen, wie wir aus dem Dilemma herauskommen. Antonella weiß doch sicher auch nichts anderes als die Geschichte mit dem Findelkind, und Schwester Benita ist weit weg.«
»Antonella stellt mir in letzter Zeit oft seltsame Fragen, seit sie mit Isadora in Marbella zusammen war. Sie hat von einer Señora geredet, die auch ein Muttermal wie Pepita hat. Isadora hat sie darauf gebracht. Du hast recht, wir sitzen ganz schön in der Klemme.«
»Aber in einem Boot, das sollten wir nicht vergessen.«
Juan kniff die Augen zusammen. »Denk nur nicht, daß ich für dich lügen würde.«
»Aber du erwartest, daß ich für dich lüge.«
»Es ist in aller Interesse. Es steht zuviel auf dem Spiel, Juan.«
»Daran hätten wir früher denken sollen.«
»Ihr wolltet ein Kind, und ich habe dir eins zugespielt.«
»Antonella wollte ein Kind, und sie liebt Pepita abgöttisch. Es ist nicht vorstellbar, was passiert, wenn ihr das Kind weggenommen wird.«
»Dann wäre es doch am besten, wenn es stirbt«, sagte Carlos.
Juan Hernando sah ihn entsetzt an, dann flammte Haß in seinen Augen auf.
»Was bist du für ein gefühlloser Unmensch!« stieß er hervor.
»Wieso, hattest du nicht zu Viola gesagt, daß ihr Kind tot zur Welt gekommen sei? Ist das vielleicht gefühlvoll?«
Einen Augenblick sah es aus, als würden sie aufeinander losgehen, aber dann läutete das Telefon und Juan griff schnell danach. Seine Miene war versteinert, als er zuhörte. »Ja, ich komme sofort«, sagte er.
»Es ist wegen Pepita. Antonella ist zusammengebrochen, ich muß in die Klinik.«
Kalter Schweiß trat wieder auf Carlos Stirn, und ihm wurde übel. Aber Juan beachtete nicht, daß er schwankte und nach einem Halt griff. Er eilte an ihm vorbei.
Es dauerte wieder Minuten, bis sich Carlos gefangen hatte, aber das dumpfe Gefühl in der Brust blieb. Sein Atem ging schwer, als er zu seinem Wagen wankte.
Er wunderte sich später selber, daß er ohne Zwischenfall zu seinem Haus gekommen war. Das Hausmädchen öffnete ihm die Tür, weil er seinen Schlüssel nicht fand.
»Wo ist meine Frau?« fragte er heiser, als sich Isadora nicht blicken ließ.
»Sie ist zu ihren Eltern gefahren und will auch eine Woche in Valencia bleiben. Sie wurden nicht so früh zurückerwartet, Señor Santoro.«
»Ich fühle mich nicht wohl. Benachrichtigen Sie meine Frau, Marita.«
Er ging sofort in sein Zimmer und sank aufs Bett. Vor seinen Augen tanzten rote und graue Sterne, und ihm war schwindelig. In seinen Ohren dröhnten seltsame Geräusche.
Er preßte die Hände an die Stirn, was ihn sonst beruhigte, aber diesmal hörte der Schmerz nicht auf und er hatte das Gefühl, daß sich alles um ihn in einem wilden Wirbel zu drehen begann, wie von einem Strudel wurde er in eine uferlose Tiefe gezogen.
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Juan Hernando war indessen in die Klinik gefahren. Seine Frau war schon wieder bei Bewußtsein, aber noch apathisch.
»Warst du bei Pepita?« flüsterte sie mit einer Stimme, die aus dem Weltraum zu kommen schien, so blechern klang sie.
»Nein, sie ist noch bei einer Untersuchung.«
»Warum bist du nicht dabei?« fragte sie anklagend.
»Weil es besser ist, wenn Angehörige sich nicht einmischen, Antonella.«
»Wir können ihr nicht helfen«, schluchzte sie auf. »Sie wird einen Spender brauchen. Ich will mein Baby nicht verlieren, Juan!«
»Beruhige dich, es wird ihr geholfen werden«, sagte er, »ich verspreche es dir. Aber du mußt mir versprechen, daß du bei mir bleibst.«
Sie sah ihn jetzt an. »Wir sind doch so weit voneinander entfernt«, murmelte sie. »Jeder lebt sein Leben, wie Isadora und Carlos. Was ist nur geschehen mit uns?«
»Wir sind nicht mehr zwanzig«, erwiderte er heiser.
Sie drehte sich wieder zur Wand. »Ihr amüsiert euch mit anderen Frauen, und wir sollen intaktes Familienleben vorgaukeln.«
»Ich amüsiere mich nicht mit anderen Frauen, mir wächst die Arbeit über den Kopf. Das Leben ist kostspielig, darüber solltest du nachdenken.«
»Wir könnten bescheidener leben, aber dir geht es um das Prestige. Ein kleineres Haus, weniger Luxus, nicht die teuersten Autos«, monoton sagte sie das zur Wand hin und mehr zu sich selbst, »mir würde es nichts ausmachen. Ich will nur mein Kind nicht verlieren.« Sie brach wieder in haltloses Schluchzen aus.
»Du mußt jetzt vernünftiger sein, Antonella. Wir sind nicht Pepitas richtige Eltern, und möglicherweise kann ihr nur geholfen werden von einem Spender, der die gleichen Gene hat, ihrem Vater, ihrer Mutter oder Geschwistern.«
»Dann