»Der Weg ist nicht weit, der Anfang bereits gemacht«, sagte Alessandro voller Optimismus.
»Da sind zwei Kinder«, sagte Nicolas warnend.
»Na, wenn schon, sie können sich ja entscheiden, ihr Vater ist auch noch da.«
»Du glaubst doch nicht im Ernst, daß sie ihre Kinder aufgibt.«
»Das braucht sie doch nicht, es kommt darauf an, wen die Kinder aufgeben, und ich glaube nicht, daß sie sehr am Vater hängen. Aber was soll ich mir jetzt schon den Kopf zerbrechen. Ich weiß, daß ich keine andere Frau haben wollte und bin nicht erpicht darauf, daß wir unbedingt heiraten. Man kann sich arrangieren.«
»Ich bin aber nicht für Kompromisse.«
»Wenn nun für Violetta das Kind wichtiger ist?«
»Wir werden sehen, ich denke, daß es eine vernünftige Lösung gibt.«
»Vernünftig ist man nie, wenn man liebt.«
»Du vielleicht nicht, mein weiser Bruder«, lächelte Nicolas.
Alessandro fuhr zu Isadora, Nicolas holte Violetta ab. Er fand sie hinreißend in dem blaugrauen, lässigen Kostüm, in dem ihre ebenmäßige, in seinen Augen vollkommene Figur richtig zur Geltung kam. Sein bewundernder Blick ließ sie erröten. Sie kam sich vor wie ein Teenager beim allerersten Rendezvous und dachte in diesem Augenblick, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie Nicolas damals kennengelernt hätte. Aber hätte sie sich dann wirklich für ihn entschieden?
»Was denken Sie, Violetta?«
»Daß ich unsicher bin in Ihrer Nähe«, erwiderte sie spontan.
»Wieso denn das?« fragte er erstaunt.
»Weil Sie so souverän sind.«
»Guter Gott, das bin ich wirklich nicht. Ich weiß ja nicht mal, wie ich Ihnen verständlich machen kann, daß Sie in meinem Leben bereits eine große Rolle spielen.«
Sie lächelte froh. »Sie haben es eben gesagt, Nicolas, und es gefällt mir.«
»Und wenn ich Sie bitte, nicht mehr aus meinem Leben zu verschwinden?«
»Wir können in Verbindung bleiben. Ich habe einen Beruf, durch den ich viel unterwegs bin, aber das heißt nicht, daß ich Madrid meiden werde.«
»Aber oft werden Sie nicht hiersein, und ich kann leider nicht ständig reisen. Wo sind Sie eigentlich richtig zu Hause?«
»Bisher nirgendwo. Ich wollte mich in München niederlassen. Eigentlich hatte ich nämlich die Absicht, Spanien zu meiden, aber…« Sie unterbrach sich, weil ihr in den Sinn kam, daß sie zuviel von ihren Gedanken verriet.
»Aber jetzt werden Sie Spanien nicht mehr meiden, und hier ließe es sich doch auch leben«, meinte Nicolas.
»Ich möchte einigen Leuten nicht mehr begegnen und brauche Zeit, um mit der neuen Situation zurechtzukommen. Ich bin aber sehr froh, daß ich nicht allein bin, Nicolas.«
Da sie schon bei der Klinik angekommen waren, brauchte er nicht mehr auf den Verkehr zu achten. Er nahm ihre Hand und streichelte sie mit seinen Lippen, und ein ganz eigentümliches, elektrisierendes Gefühl durchströmte ihren Körper.
»Ich möchte Ihnen so vieles sagen, Violetta, aber mir fehlt die Übung, die richtigen Worte zu finden.«
»Es muß ja nicht gerade jetzt sein«, sagte sie mit einem weichen Lächeln.
Sie betraten gemeinsam die Klinik. Er fragte nach Dr. Fratinelli, sie nach Antonella Hernando. Man schien sie gar nicht als zusammengehörig zu betrachten, denn Nicolas war hier bekannt als Einzelgänger.
Violetta wurde nach ihrem Namen gefragt, Nicolas gleich in Dr. Fratinellis Zimmer gebeten. Er nickte ihr zu und sagte: »Ich warte hier«, was mit Erstaunen von der Schwester zur Kenntnis genommen wurde.
Violetta mußte fünf Minuten warten, bis Antonella kam. Sie hatte sich anscheinend erst zurechtgemacht. Dennoch sah sie übernächtigt aus.
»Sie hätte ich hier nicht erwartet«, sagte Antonella stockend. »Woher wissen Sie, daß ich hier zu finden bin?«
»Isadora hat es mir verraten. Es geht mir sehr nahe, daß Pepita so krank ist und es ist mir ein Bedürfnis, mit Ihnen zu sprechen. Vielleicht kann ich Ihnen und Pepita helfen.«
»Wie denn? Nicht einmal wir können es«, flüsterte Antonella. »Sie wird schon zusehends matter. Ich fühle mich so hilflos.« Schon strömten wieder Tränen über ihre schmalen Wangen.
Violetta wußte momentan auch nicht, wie sie es anfangen sollte, ihr die Wahrheit zu sagen. Wie würde sie darauf reagieren? Aber ihr war das Kind wichtig, und vielleicht würde alles andere für sie eine nebensächliche Rolle spielen, da ihre Ehe ohnehin auf tönernen Füßen stand.
»Ich habe erfahren, daß Sie Pepita adoptiert haben und auf der Suche nach ihren richtigen Eltern sind«, begann sie jetzt zögernd.
Schnell wischte Antonella die Tränen von ihren Wangen und sah Violetta flehend an.
»Und Sie können mir einen Hinweis geben?«
»Ja, das kann ich, aber zuerst muß ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Haben Sie jetzt Zeit, oder müssen Sie zu Pepita?«
»Pepita schläft. Sie bekommt schon Chemotherapie, das ist sehr anstrengend.«
»Ich habe mich schon hinreichend über diese Krankheit informiert und weiß, daß eine Knochenmarktransplantation am schnellsten Erfolg verspricht.«
»So ist es, aber es muß weitgehende Übereinstimmung in den Blutwerten bestehen, und das ist nur in Ausnahmefällen bei fremden Spendern möglich.«
»Ich weiß das alles, aber ich würde Ihnen nicht die Zeit rauben, wenn ich nicht einen Weg wüßte. Sie haben nie erfahren, wer Pepitas leibliche Eltern sind?«
Antonella schüttelte den Kopf. »Ich denke aber, daß mein Mann etwas weiß. Wir haben Differenzen. Nicht erst jetzt, sondern schon länger. Er hat auch nie eine Beziehung zu Pepita gefunden, aber ich liebe sie über alles und werde auch alles für sie tun, um ihr Leben zu retten.«
Sie waren in den Warteraum gegangen, in dem sie ganz ungestört waren, während auf dem Gang noch immerzu jemand an ihnen vorbeilief.
»Ich werde Ihnen jetzt die Geschichte einer jungen Frau erzählen, die sich in einen Mann verliebte und dachte, er würde ihre Gefühle erwidern. Sie wurde schwanger, und als sie ihm das sagte, erklärte er ihr, daß er verheiratet sei und eine Scheidung nicht möglich wäre. Er wollte sie zur Abtreibung überreden, aber dazu war es schon zu spät, denn sie wollte ihr eigenes Leben nicht gefährden. Aber in ihrem Zorn auf diesen Mann wollte sie in seiner Nähe bleiben und ihm eines Tages sein Kind präsentieren. Sie ging in eine Klinik, in der ein Freund jenes Mannes als Arzt tätig war, der aber nichts von ihr wußte, und sie hatte damals keine Ahnung, daß die beiden Männer eng befreundet waren.«
»Sprechen Sie von meinem Mann und Carlos Santoro?« wurde sie von Antonella unterbrochen, die vor Erregung zitterte.
»Sie können sich Ihre Gedanken machen, ich erzähle Ihnen wie es weiterging. Das Ende der Schwangerschaft nahte, ohne daß Komplikationen auftraten. Die werdende Mutter machte sich erst später Gedanken, warum das Kind dann durch Kaiserschnitt zur Welt kam und doch angeblich tot geboren wurde.«
»Angeblich tot geboren?« stammelte Antonella.
»So wurde es ihr gesagt, die betäubt war und sich auch schwer von dem Schock erholen konnte. Dann wurde ihr gut zugeredet, daß es in ihrem Fall so wohl besser sei. Jener Mann behauptete plötzlich, daß es so gar keinen Beweis gäbe, daß er der Vater des Kindes hätte sein können. Das hat die Betroffene am meisten verletzt. Sie wurde zur Männerfeindin, aber auch zu einer sehr erfolgreichen Frau. Jahre später lernte sie durch Zufall ein Kind kennen, das ihr ähnlich sah und sogar ein Muttermal an fast der gleichen Stelle hatte. Da begann sie zu grübeln, und mit