Blitzschnell hatte der Cowboy auf dem Vorbau seinen Colt in der Rechten, stieß ihn nach vorn und jagte rasch hintereinander fünf Schüsse über die Straße, die drüben im Barber-Shop die Fenster zertrümmerten.
Ganz plötzlich hielt der Schütze inne und blickte auf einen braunen Wallach, der in der Seitengasse neben dem Smoky-Saloon an einem Querholm angebunden war.
»He, wenn das nicht Ben Thompsons Pferd ist, will ich meinen Sattel ungekocht verschlingen!«
Die andern musterten das Pferd jetzt auch. Und auch sie schienen das Tier zu kennen.
»Loppy, lauf rüber in den Saloon. Ben wird vielleicht mit dem Salooner ein Spiel machen.«
Einer der Reiter stieg vom Pferd und ging mit hölzernen Reiterschritten auf den Saloon zu.
Nach einer Minute kam er wieder, in der rechten Hand hielt er einen langläufigen Revolver, dessen Knauf mit zwei silbernen Andreaskreuzen ausgelegt war.
»Geg!« rief er und hob die Waffe hoch. »Das ist alles, was ich gefunden habe!«
»Bens Colt!« brüllte Geg. »Und wo steckt Ben selbst?«
»Ich weiß es nicht.«
Unendlich langsam drehte Geg sich zu dem Bürgermeister um, stemmte die Fäuste in die Hüften, kniff die Augen ein und wog sich herausfordernd auf den Außenkanten seiner Stiefelsohlen.
»He, Fettwanst! Lobby hat den Colt eines Mannes gefunden, den wir verdammt gut kennen. Die Bleispritze gehört Ben Thompson. Solltest du vielleicht wissen, wo Bennie ist?«
Es war einen Augenblick still. Dann hörte man den Bürgermeister sagen:
»Ja, er ist im Gefängnis!«
Geg wich einen halben Schritt zurück und ließ die Hände von den Hüften fallen.
»Was war das?« fragte er völlig entgeistert.
»Er ist im Gefängnis!«
Der Cowboy stieß einen kleinen Piff durch die Lücke in seinen Schneidezähnen.
»Sag das doch noch mal.«
»Ben Thompson ist im Gefängnis«, wiederholte der Mayor schon etwas zaghafter.
Da traf ihn eine so gewaltige Ohrfeige, daß er zurück gegen den Schmied prallte.
»Ben Thompson ist im Gefängnis?« röhrte Geg. »Das ist ja wohl der beste Witz, den der alte George Peshaur bis heute gehört hat. Und du hast ihn wohl einsperren lassen, he?«
Miller trat vor. Seine linke Wange war brandrot.
»Ja, ich habe ihn einsperren lassen!«
Loppy war inzwischen mit Thompsons Colt neben Geg auf dem Vorbau angekommen.
Geg riß dem Kameraden die schwere Schußwaffe aus der Hand und hielt sie blitzschnell auf die linke Schulter des Mayors.
»Wo ist das Gefängnis?«
In den Moment der absoluten Stille hinein schnitt eine harte, metallische Stimme; sie kam drüben von der wartenden Postkutsche her.
»Du solltest lieber fragen: Wo ist der Sheriff?«
Geg warf den Kopf herum und sah drüben in zwanzig Yards Entfernung den Kopf und die Schultern des Postfahrers.
»Was willst du, Staubschlucker?« krächzte er.
»Reiß das Maul nicht so auf, Peshaur!« rief Wyatt kalt zurück.
»He!« Wieder stieß der Cowboy den Zahnlückenpfiff aus. »Der Rumpelkisten-Jonny kennt mich! Das ist schon besser!«
In diesem Augenblick beging der Bürgermeister in seiner Unbedachtsamkeit einen ziemlich großen Fehler. Er trat einen halben Schritt vor und brüllte:
»Verschwinden Sie jetzt, Mann. Wir haben genug an Ben Thompson!«
Geg Peshaur riß blindwütig den Colt hoch und wollte ihn dem Major auf den Schädel schmettern.
Da peitschte ein Schuß auf, und der schwere Revolver mit den beiden silbernen Andreaskreuzen wurde dem Cowboy aus der Hand gerissen.
Der Schuß war von der Overland-Kutsche gekommen.
Peshaur und seine Freunde starrten verblüfft zu dem Schützen hinüber.
Da rief der Postfahrer: »Du hast verdammt schlechte Manieren, Peshaur! Die hättest du besser unten in Texas gelassen.«
Aus dem Gesicht des Cowboys war plötzlich alle Farbe gewichen. Er stieß mit einem blitzschnellen Ruck seine Rechte zum Colt, riß die Waffe heraus – und mußte erleben, daß ein zweiter Schuß vom Kutschbock der Overland her ihm auch diese Waffe aus der Hand riß.
Peshaur spreizte die Hände, hob sie an und brüllte plötzlich wie ein waidwund geschossenes Tier:
»Du verdammter Skunk! Du elender Staubfresser…«
Die Cowboys blickten in stummer Anspannnung zu dem Mann auf dem Kutschbock hinüber.
Der stieg jetzt vom Wagen und kam langsam zurück, auf den Vorbau zu.
Die Cowboys starrten ihn mit harten Augen an.
Aber niemand rührte sich.
Wyatt Earp hatte keine Waffe in der Hand. Er würde jetzt in der nächsten Minute das tun, was er in seinem ganzen weiteren Leben tun sollte und was vielleicht auch der Grundtick seines Erfolges war: Er ging langsam die Vorbautreppe hinauf und hielt dem Mayor die Rechte hin.
Diesmal kapierte Miller: Er nahm den Blechstern aus der Tasche und reichte ihn dem Postfahrer.
Wyatt heftete den Fünfzack an seine staubige Weste; dann wandte er sich um und legte Peshaur die Rechte auf die Schulter. »Sie sind festgenommen!« Er zog den Cowboy vorwärts und schob ihn ins Sheriff Office.
Auch George Peshaur kam erst zu Verstand, als er in der Zelle saß und nebenan Ben Thompson gewahrte. Er rannte in wildem Zorn nach vorn, zerrte an den Gitterstäben und fauchte wie ein Bergpuma.
»Was soll das heißen? Laß mich sofort hier raus!«
Wyatt hatte längst abgeschlossen, blickte ihn kalt an und meinte:
»Keine Kraftvergeudung, Peshaur. Du sitzt hier wegen Bedrohung und Beleidigung des Mayors von Ellsworth.«
Der Bürgermeister und die anderen Leute hatten es angesichts der großen Reiterschar nicht gewagt, Wyatt mit dem Gefangenen ins Office zu folgen. Wie gebannt starrten sie auf die Cowboys. Was würde geschehen? Nie und nimmer konnten die Reiter das hinnehmen.
Aber die Männer von Ellsworth mußten erleben, daß die Cowboys ebenso erstarrt waren wie sie selber. Sie erlebten gemeinsam zum erstenmal etwas von der seltsamen Macht, die dieser Wyatt Earp ausstrahlte.
Ehe der erste der Cowboys sich wieder gefaßt hatte, stand der Postfahrer schon vorn auf dem Vorbau. Er hatte die Beine gespreizt und die Arme vor der Brust verschränkt. Hochaufgerichtet stand er da und blickte zu den Reitern hinüber.
Der tief in die Stirn gezogene breitrandige Hut warf einen harten dunklen Schatten auf sein eckiges Gesicht. Und dennoch sahen die Männer seine Augen. Ein Augenpaar, in dessen Tiefen es eiskalt und kristallen schimmerte. Irgend etwas Besonderes war in diesen Augen; niemand konnte sagen, was es war.
Jetzt öffneten sich Wyatts Lippen, und eine Doppelreihe blendendweißer Zähne blitzten in der Sonne.
»Hat noch jemand etwas zu sagen?« fragte er nicht einmal sonderlich laut.
Nein, es hatte niemand mehr etwas zu sagen.
Und auch er selbst war kein Mann vieler Worte.
Er wandte sich um, nestelte den Blechstern von der Brust und reichte ihn dem Mayor zurück. Dann ging er mit harten sporenklirrenden Schritten über die Vorbautreppe auf die Straße. Er dachte gar nicht daran, sich