Sie griff nach der Sherrykaraffe.
»Kommen Sie, Hochwürden, darauf müssen wir noch ein Glas trinken. Wer hätte gedacht, daß das alles doch noch ein gutes Ende nehmen könnte?«
»Wird es denn wirklich?«
Die Gräfin hielt in der Bewegung inne.
»Glauben Sie nicht?«
Ihre Hand sank herunter, und sie sah den Besucher fragend an.
»Warum ist Angela eigentlich nicht mit ihnen gekommen?« fragte sie plötzlich, als ihr aufging, daß eigentlich nichts näher lag.
»Das ist ein kleines Problem, das wir noch lösen müssen«, erwiderte Sebastian und berichtete von den Zweifeln, die die junge Frau plagten.
Zur Beruhigung hatte Annemarie von Haldenstätten sich einen Zigarillo angesteckt. Hektisch pustete sie den Rauch in die Luft.
»Das ist doch völliger Unsinn«, sagte sie. »Mein Neffe liebt diese Frau, wie keine andere zuvor. Zugegeben – er sieht gut aus, und die Damen, mit denen er in Berührung kommt, machen es ihm leicht. Aber ich lege meine Hand dafür ins Feuer, daß er Angela immer treu gewesen ist. Sie glauben nicht, wie es ihn quält, nicht zu wissen, wo sie ist. Und böse wird er ihr niemals sein. Mit offenen Armen wird er sie empfangen, das weiß ich ganz genau. Ach, am liebsten würde ich ihn sofort anrufen!«
»Das sollten S’ besser bleiben lassen, Gräfin«, meinte der gute Hirte von St. Johann. »Wie ich es seh’, betrifft das Problem also weniger Ihren Neffen, als vielmehr Angela. Sie glaubt ja, daß Alexander ihr nie verzeihen wird, daß sie an seiner Liebe gezweifelt hat. Ich hab’ da eine Idee, die ich gern’ mit Ihnen besprechen würd’...«
Es klopfte an der Tür, und Ewald trat ein.
»Das Mittagessen ist bereit«, verkündete er mit einer Verbeugung.
Gräfin Annemarie nickte.
»Kommen Sie, Hochwürden. Wir besprechen alles weitere beim Essen.«
*
Nach dem samstäglichen Ball, war die Kirchweih in St. Johann das andere große Ereignis, auf das die Leute sich schon im Voraus freuten. Vielleicht sogar noch mehr, denn der Ball fand jedes Wochenende statt, die Kirmes nur viermal im Jahr.
Auf dem Festpaltz waren Karussells und Zuckerbuden aufgebaut, an verschiedenen Ständen konnte man sein Glück mit Losen versuchen, oder seine Schießkunst unter Beweis stellen. Überall roch es nach Rostbratwürstchen und Karamellbonbons, Kinder liefen mit Zuckerwatte umher und manchmal war das eigene Wort nicht zu verstehen, wenn von überall her Musik aus den Lautsprechern erklang.
Am Rande der Wiese stand das Festzelt, das von Sepp Reisinger betrieben wurde. Hier flossen Bier und Schnaps in Strömen, und am Abend fand der Ball nicht, wie gewohnt, in dem Saal des Hotels statt, sondern im Zelt. An die dreihundert Leute fanden darin Platz. Für die Kapelle war eine Bühne errichtet worden, und hinter dem Tresen stand ein Riesengrill, auf dem Brathendl rotierten.
Bereits am Nachmittag strömten die Schaulustigen herbei. Markus Bruckner, der Bürgermeister des Ortes, eröffnete das Ver-gnügen mit einem Faßbieranstich, und schon spielte die Musik auf.
Unter den Kirmesbesuchern waren auch Angela Holzer und Roland Ferbach. Am Abend zuvor hatten sie sich vor der Pension Stubler getroffen. Es war eine herzliche Begrüßung gewesen, und Angela atmete insgeheim auf, als der Arzt nicht versuchte, sie zu küssen, sondern sie nur umarmte.
»Gut schau’n S’ aus«, sagte er mit einem Kopfnicken. »Als Arzt bin ich sehr zufrieden mit Ihnen. Was macht das Bein?«
Bei dem Verkehrsunfall war das linke Bein gebrochen worden. Es hatte lange gedauert, bis es endlich wieder zusammengewachsen war, und erst nach einer langwierigen, physio-therapeuthischen Behandlung konnte Angela es wieder belasten und uneingeschränkt damit gehen.
»Es ist alles wunderbar verheilt«, versicherte sie.
»Das freut mich wirklich.«
Roland sah sie an.
»Ja, Sie gefallen mir wirklich, Angela. Vor allem freu’ ich mich, daß mein Rat, hier ein bissel Ruhe und Entspannung zu finden, Ihnen offensichtlich gutgetan hat.«
»Dafür bin ich Ihnen auch sehr dankbar.«
»Kommen Sie«, meinte der Arzt und hakte sie unter.
»Ich hab’ einen Tisch reserviert.«
Während des Essens verflog beider Befangenheit, und sie unterhielten sich zwanglos. Erleichtert, daß ihre Annahme, Roland könne ihr eine Liebeserklärung machen, falsch sei, stimmte Angela seiner Einladung zum Kirmesbesuch zu.
»Wo kommen denn bloß all die Menschen her?« sagte sie, als sie über den Platz schlenderten.
»Na ja, das ist schon eine Attraktion für die Leute«, meinte der Arzt. »Ich weiß noch, daß es mich früher auch immer herzog, wenn ich mit meinen Eltern hier Urlaub machte, und gerad’ Kirchweih war.«
Er deutete auf ein großes, altmodisches Karussell, mit hölzernen Pferden und Kutschen, die auch Erwachsenen Platz boten.
»Ach, da bin ich immer mitgefahren«, lachte er und zog sie mit sich. »Los, Angela, da müssen wir unbedingt mitfahren!«
Lachend folgte sie ihm und nahm in einer der Kutschen Platz. Roland hatte an der Kasse Chips gekauft und setzte sich neben sie.
»Ist das net schön?«
»Herrlich«, nickte sie begeistert, als das Karussell sich in Bewegung setzte und sich zu den Klängen einer alten Kirmesorgel drehte.
»Fast könnt’ man meinen, wir wären ein Graf und Gräfin, die über’s Land fahren«, sagte Roland und legte seinen Arm um die junge Frau.
Angela zuckte unwillkürlich zuammen.
Mit Alexander war sie auch oft in einer Kutsche gefahren. Als sie Roland jetzt so reden hörte, schossen ihr die Tränen in die Augen.
Bestürzt nahm er seinen Arm zurück und schaute sie an.
»Hab’ ich was Falsches gesagt?« fragte er besorgt. »Es tut mir leid, Angela. Das lag nicht in meiner Absicht.«
Sie schüttelte den Kopf und zog ein Taschentuch hervor.
»Nein, nein«, beeilte sie sich zu sagen. »Es ist net Ihre Schuld.«
Sie war froh, als die Fahrt zu Ende war und sie wieder ausstiegen. Betroffen ging Roland Ferbach neben ihr her, während sie stumm und geradeaus blickte.
»Wollen S’ mir net sagen, was eben war?« fragte er.
»Ich möcht’ lieber geh’n«, sagte sie, ohne auf seine Frage zu antworten.
»Natürlich, wenn Sie wollen.«
Nachdem sie den Festplatz hinter sich gelassen hatten, faßte sich der junge Arzt ein Herz. Er blieb stehen und hielt seine Begleiterin fest.
»Bitte, Angela, was war das eben?« wollte er wissen. »Warum haben S’ geweint?«
Einen Moment biß sie sich auf die Lippen, dann holte sie tief Luft und stieß einen Seufzer aus.
»Ich kann’s Ihnen net erklären, Roland«, erwiderte sie. »Es hat etwas mit früher zu tun. Mit dem, was war, bevor ich den Unfall hatte.«
Er stand ganz dicht vor ihr und hielt sie an den Schultern fest.
»Angela«, sagte er eindringlich, »ich hab’ bisher net davon gesprochen, weil ich Sie net damit überfallen wollte. Aber es hat seinen Grund, warum ich hergekommen bin. Vielleicht haben Sie’s, hast du, es auch schon geahnt – ich liebe dich, Angela, von ganzem Herzen. Ich kann dir gar nicht sagen, wieviel du mir bedeutest.
Damals, in der Klinik, da warst’ nur eine Patientin unter vielen. Aber je mehr ich mit dir zu tun hatte, um so stärker spürte ich, daß da mehr war. Du verkörperst alles, was