Bangkok Rhapsody. Thomas Einsingbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Einsingbach
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783954627622
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zur Verfügung gestellt.

      „Ich denke, wir sollten die Mannschaftsstärke verdoppeln, damit ein 24-Stunden-Sicherheitsdienst gewährleistet ist“, schlug Bertoli vor.

      „Geht in Ordnung. Ich schicke Ihnen weitere sechs Männer“, versprach Lamkan und kritzelte einen Vermerk auf einen Notizblock. Gleich nach dem Gespräch mit Bertoli würde er den Geheimdienstchef anweisen, die geforderte Verstärkung nach Bangkok in Marsch zu setzen.

      „Gibt es im Zusammenhang mit Hannah Neuigkeiten?“

      „Ich denke, die Polizei wird die Nachforschungen in Kürze einstellen“, mutmaßte Bertoli.

      „Ich habe nichts anderes erwartet“, kommentierte Lamkan, woraufhin die Verbindung nach Singapur zusammenbrach.

      Die beiden ersten Nächte in Bangkok hatte William traumlos durchgeschlafen, nachdem er jeweils hundemüde und weit vor Mitternacht ins Bett gesunken war. Eine Wohltat. Schon deshalb hatte sich die Reise bereits gelohnt. So schrieb er das frühe Erwachen in der dritten Nacht und den anschließenden Tatendrang nicht der Zeitverschiebung, sondern seiner allgemeinen Erholung zu.

      Er lag noch eine Weile, nur mit Boxershorts bekleidet, auf dem Bett. Erinnerungsfetzen an seine Kindheit und Jugend schossen ihm durch den Kopf. Dabei tauchten die üblichen starren Momentaufnahmen von seinem Vater auf, die William verzerrt und unendlich fern erschienen und die von einem vertrauten Brummen begleitet wurden. Vaters dunkel vibrierende Stimme, vermischt mit den gedehnten Vokalen des Louisiana-Dialekts, verlieh William bis heute das Gefühl, geborgen zu sein.

      Um fünf Uhr beschloss William, seinen Tag zu beginnen. Auf dem Weg zur Dusche fiel sein Blick auf sein Spiegelbild. Nein, so konnte das auf keinen Fall weitergehen. Mazzini finden und zehn Pfund abnehmen, so lautete ab sofort seine Mission in Bangkok. Kurz darauf hatte er sich eine kurze Sporthose und ein T-Shirt übergestreift und die Joggingschuhe aus der Versenkung seines Koffers ausgegraben. Wenig später verließ William die Pension und stolperte durch die noch menschenleere finstere Gasse hinauf zur Charoen Krung Road. Dort erwischte er ein Taxi und nannte als Ziel den Lumphini-Park. Der Fahrer kniff die Augen zusammen, musterte seinen spärlich gekleideten Fahrgast, als wäre dieser ein Außerirdischer, und nahm anschließend einen kräftigen Schluck aus einer Miniaturflasche, auf der William zwei bunte Stiere erkannte. Er erinnerte sich an seine frühmorgendlichen Streifzüge durch Bangkok, als er noch in FBI-Diensten stand. Damals war ihm kein einziger Taxifahrer begegnet, der zu dieser Stunde noch nüchtern und ohne Aufputschmittel am Steuer saß.

      Als William wenig später die beliebteste grüne Lunge Bangkoks erreichte, lag noch immer die Dunkelheit der Nacht über der zweieinhalb Kilometer langen beleuchteten Laufstrecke, auf der sich schon allerhand sportliche Frühaufsteher tummelten. Neben Einzelläufern und Kleingruppen waren ganze Herden einheitlich gekleideter Jogger unterwegs, manche schmetterten sogar im Laufschritt Marschlieder. An etlichen Ecken und auf freien Plätzen übten zumeist ältere Herrschaften Qigong, Tai-Chi oder geheimnisvolle Schwerttänze, begleitet von klassischer fernöstlicher Musik aus tragbaren Musikanlagen. William reihte sich in den Strom der Läufer ein. Verdammt, er hatte vergessen, wie es sich anfühlte, wenn man in der tropischen Schwüle des Morgengrauens schneller als in Schrittgeschwindigkeit unterwegs war. Er keuchte sich über die erste Runde, das Herz schlug ihm bis zum Hals und in seinen Schuhen lief der Schweiß zusammen. Erstaunlicherweise gewöhnte sich sein Kreislauf rascher als erwartet an die Belastung. Die zweite Umrundung war zwar noch kein wirkliches Vergnügen, aber die Qual war auszuhalten. Nach einer guten halben Stunde wechselte William in ein moderates Wandertempo, sog den Duft des erwachenden Bangkoks ein und traute seinen Augen nicht, als er eine Goanna-Echse am Ufer eines Teiches entdeckte. Der ein Meter lange, schleichenartige Waran gähnte William schläfrig an. Nach dieser Begegnung, die nach einem thailändischen Sprichwort Glück und ein langes Leben versprach, beendete William seine erste Sportstunde seit Jahren und gönnte sich an den bereits geöffneten Garküchen im Lumphini-Park ein gesundes Frühstück mit frisch gepresstem Fruchtsaft, einer scharfen Nudelsuppe und ein paar chinesischen Dampfnudeln.

      Frisch geduscht und energiegeladen setzte er sich nach der Rückkehr in die Pension auf seine Terrasse, inhalierte zur Belohnung eine Lucky Strike und beschäftigte sich zum wiederholten Mal mit dem Dossier seiner Zielperson. Larry Mazzini war in der Welt herumgekommen. Er besaß neben der US-Staatsbürgerschaft noch die seines Geburtslandes Argentinien, wo er in den Jahren der Militärdiktatur zunächst Medizin studierte und anschließend eine Spezialausbildung an der Marineschule ESMA erhielt, der Escuela de Mecánica de la Armada, dem berüchtigten Foltergefängnis für politische Häftlinge. Dort erarbeitete er sich dank seiner effizienten Verhörmethoden den Ehrennamen El Comandante filigrana. Einige Zeit später verließ Mazzini Südamerika und war Ende der 1970er Jahre als selbstständiger Berater den kambodschanischen Roten Khmer beim Aufbau ihrer Konzentrationslager behilflich. Sein Renommee verhalf ihm später zu einer ähnlich gelagerten Tätigkeit in Burma, nachdem auch hier das Militär die Macht an sich gerissen hatte. Dann verlor sich seine Spur für geraume Zeit und es gab Gerüchte über seinen Tod. Durch einen Zufall fiel FBI-Beamten eine Liste von Honorarexperten in die Hände, die für die CIA nach den Anschlägen vom 11. September in ausländischen Untersuchungsgefängnissen mutmaßliche Terroristen sogenannten verschärften Verhören unterzogen hatten. Viele Indizien sprachen dafür, dass sich hinter einem besonders versierten Folterspezialisten aus Südafrika in Wahrheit Larry Mazzini verbarg.

      William blies die Wangen auf: Über fünftausend ermordete Gefangene an der ESMA in Buenos Aires, zwei Millionen tote Akademiker, Intellektuelle und buddhistische Mönche in Kambodscha, ähnliche Resultate in Burma. Dazu in ungezählten Fällen die Missachtung amerikanischer Verhörvorschriften in den illegalen Folterzentren der CIA, die nicht nur in Einzelfällen zum Tode der Inhaftierten geführt hatten. Mazzini schien sich an Orten wohlzufühlen, wo das Quälen und Töten von Menschen zum Tagesgeschäft gehörte.

      Eine Reihe von Nationen hatte einen internationalen Haftbefehl für Mazzini erwirkt, dem sich nach dem Ende des Terrorregimes der Roten Khmer auch Kambodscha anschloss. Eine Festnahme auf der Beerdigung seiner Mutter Holly auf dem Graceland-Friedhof von Chicago vor wenigen Jahren wurde in letzter Minute vereitelt. Seither schien Larry Mazzini wie vom Erdboden verschluckt zu sein.

      „Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie schon pensioniert sind.“

      Amüsiert musterte William seinen Gesprächspartner, der ihm in einem gut besuchten Schnellrestaurant eines Einkaufszentrums gegenübersaß. Nurathat Chatchawan, Kurzname Nut, internationaler Name Andy, ähnelte eher einem Informatikstudenten als einem Polizeibeamten im Ruhestand.

      „Ich habe den Dienst quittiert“, gab Andy unbeschwert zurück, und William dachte an die gottverfluchten Nächte, in denen er sich das Hirn zermartert hatte, ob und wann er das FBI verlassen wollte.

      „Khun William, wenn Sie wüssten, wie schwierig es in Bangkok ist, von dem Gehalt eines kleinen Polizisten eine Frau glücklich zu machen, geschweige denn eine Familie zu ernähren“, erläuterte Andy für einen Thai bemerkenswert offenherzig.

      „Sie haben nur wegen der Bezahlung gekündigt?“

      „Ich habe die Polizeiakademie mit Auszeichnung verlassen, spreche ein wenig Englisch und habe mich stets bemüht, meine Arbeit zur vollen Zufriedenheit meiner Vorgesetzten zu erledigen“, verteidigte sich der kaum Dreißigjährige mit der runden Metallbrille in fehlerfreiem Englisch und warf einen Blick auf sein teures amerikanisches Smartphone, das neben ihm lag.

      „Man hat Sie nicht genügend beachtet? Sie sahen Ihre Leistungen nicht ausreichend honoriert?“ William wusste noch aus alten Tagen, wie schwierig es für ehrgeizige Talente in Thailand war, ohne Beziehungen wirklich Karriere zu machen.

      „Wenn Sie das sagen, hört es sich besser an, als wenn ich es behaupte. Aber so in etwa ist’s gelaufen. Als Freelancer verdiene ich viel besser, bin mein eigener Chef und brauche kein tea money zum Überleben.“

      Tea money? William erinnerte sich an einen thailändischen Polizeileutnant, der ihm vor Jahren beim gemeinsamen Trinkgelage vertraulich verraten hatte,