Jahrgang 1936 – weiblich. Barbara Schaeffer-Hegel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Schaeffer-Hegel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783826080616
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Kapitel IX: Forschungsprojekte und mehr

       1. Studentenstreik an der TU

       2. Projektkurse im Lehramtsstudium – PiL

       3. Frauen mit Macht

       4. Gastprofessur in San Diego

       Kapitel X: Die Gründungen

       1. Hildegard Hamm-Brücher for Präsident

       2. EAF

       3. Femtec GmbH

       4. Krisen und Konflikte

       Kapitel XI: Das Leben danach

       1. Lieber Lesen e.V

       2. Sorgenfamilien

       3. Der Zauber des Alterns

      Ich habe lange gezögert, ein Buch über mich selbst und mein Leben zu schreiben. Einige wichtige, vor allem die wichtigsten beruflichen Erfahrungen meines Lebens sind unter dem Titel »Erfolgreich aus dem Nichts.« bereits im Verlag Königshausen & Neumann erschienen1. Und manche der mich besonders bewegenden Episoden, die mir selber, oder einigen meiner guten Freundinnen oder Freunden geschehen sind, habe ich als Material in die Erzählungen des Bandes »Julia und der Schattenmann«2 eingebracht. Mir, der nun 83-Jährigen, bleibt nicht mehr viel Zeit. Aber ich möchte doch meinen Kindern und Enkeln noch einiges darüber erzählen, wie eine Frau, die im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts geboren wurde und die in den fünfziger Jahren aufgewachsen ist, mit den Problemen umging, die sich ihr stellten –, Problemen, wie sie sich jungen Leuten auch heute ähnlich stellen. Die fünfziger Jahre und auch noch ein Großteil der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts waren nicht nur für Frauen, vor allem aber für diese, ein höchst unfreier, ein zutiefst rückwärtsgewandter, konservativer Zeitabschnitt, in dem es für die Probleme von jungen Menschen keine Möglichkeit für klärende Gespräche, keine Hilfe, keine Beratung, keine unterstützenden Lösungen gab.

      Die Erzählungen über mein Leben sind im Folgenden so wahr und getreu wiedergegeben, wie die Erinnerungen, auf denen sie beruhen, sein können. Zahlreiche Briefe und Aufzeichnungen, die ich als junges Mädchen gemacht habe, dienten mir zur Überprüfung. Und die Ereignisse, die mich emotional tief getroffen haben, und die ich daher tausendmal durchlebt habe, sind so tief in meinem Gedächtnis verankert, dass sie sich mit den Jahren wohl nur unwesentlich verändert haben.

      Mein Lebensbericht folgt keinem geradlinigen, chronologischen Ablauf der Ereignisse. Er betrachtet vielmehr die „Erfahrungsinseln“, die mich am tiefsten berührt, erschüttert und verändert haben. Diese Wendepunkte meines Lebens versuche ich in dem folgenden Bericht wie durch Scheinwerfer beleuchtete Ausschnitte so darzustellen, wie ich sie zu ihrer Zeit erlebt habe. Mein Bericht folgt auch keinem strikten Zeitplan, sondern inhaltlichen Zusammenhängen, die manchmal durch ein Thema, manchmal durch eine Person und deren Schicksal bestimmt sind. Er springt daher gelegentlich zwischen den Jahren; die zeitliche Orientierung versuche ich dann durch genaue Jahresangaben zu erleichtern.

      Meiner Fantasie habe ich nur in ganz wenigen Ausnahmen Lauf gelassen. Das Jahr 1953/54 habe ich als Austauschschülerin in den USA verbracht – in einer Familie, deren Verhalten mir gegenüber mich in eine schwere psychische Notsituation versetzte und mich aufs tiefste verstört und verunsichert hat. Da ich mir aber geschworen hatte, den Aufenthalt in dieser Familie nicht abzubrechen, war ich der krankmachenden Situation ein ganzes Jahr lang wehrlos ausgesetzt. Zur Bewältigung der mich auch danach noch mehrere Jahre belastenden psychischen Krise musste ich unbedingt verstehen, was die Motive dieser Familie, d.h. insbesondere was die Motive der Mutter dieser Familie waren. Was hatte Mom Hudson dazu gebracht, mich so zu behandeln und was hat sie daran gehindert, diesem auch für sie wahrnehmbaren Schrecken ein vorzeitiges Ende zu setzen. Die Informationen, die ich von Mom Hudsons Mutter und auch von ihrer Schwester über sie erhalten habe, habe ich daher zusammen mit meinen eigenen Erfahrungen mit ihr zu einer Erzählung ausgebaut, die die Katastrophe, in die ich hineingeraten war, von beiden Seiten her verständlich machen soll. In den Abschnitten über Mom Hudson, aber nur dort, sind daher einige erzählerische Freiheiten eingeflossen. In den Kapiteln Dr. Kramer und Ronchamp habe ich Textmaterial verwandt, das ich in abgewandelter Form bereits in meinem Erzählband »Julia und der Schattenmann« veröffentlicht habe.

      Anfang des Jahres hatte ich den ersten Teil meiner Erinnerungen aufgeschrieben und war unsicher, ob mir genügend Lebenszeit bliebe, auch noch die Jahre ab meinem 31. Lebensjahr in ebenso genauer Schilderung zu Papier zu bringen. Doch dann kam mir die Corona-Pandemie zu Hilfe. Vier Monate ländliche Quarantäne in unserer Wohnung im Allgäu gewährten mir Zeit, Ruhe und Konzentration für die Niederschrift des zweiten Teils meines Lebens.

      Inzwischen hatten aber mehrere gute Freundinnen den ersten Teil meiner Erinnerungen gelesen und bestanden darauf, dass ich meinen Lebensbericht nicht nur meiner Familie überlassen dürfe. Dass ich ihn unbedingt einer breiteren Leser*innenschaft zugänglich machen müsse, da die Lebensbedingungen von Frauen meiner Generation in dem Bericht so anschaulich und lebensnah beschrieben seien. Als dann auch mein Verlag auf Anfrage spontan bereit war, mein Manuskript zu drucken, habe ich zugestimmt.

      Jetzt ist also ein großer Teil meines Lebens für jedermann einsehbar, was auch für mich keine ganz leichte Entscheidung war. Trotzdem bleibt mein Lebensbericht meinen Kindern, Enkeln und Enkelinnen, meinen Nichten, Neffen, Großneffen und Großnichten gewidmet,

      mit herzlichem Dank dafür, dass Ihr mein Leben so vielfältig bereichert und in der Hoffnung, dass Ihr mich auch später noch ein bisschen in Erinnerung behaltet – wenn möglich in guter, aber auch in der mit Euren eigenen Erinnerungen vermischten Prägung.

      Eure Mama, Mami, Mam, Omama, Omi, O-Baba, Tante und Großtante, Eure

BarbaraMaria Rain, im August 2020

      1Barbara Schaeffer-Hegel: »Erfolgreich aus dem Nichts. Die Gründungsgeschichte der EAF e.V. und der Femtec GmbH«, Würzburg 2017.

      2Barbara Schaeffer Hegel: Julia und der Schattenmann. Erzählungen, Halle 2010.

      Hürden beim Eintritt ins Leben

      »In Wahrheit bedingt einzig Erfülltheit mit Erlebnis

      das Maß einer Seele –

      darum zählen in einer Lebensgeschichte

       nur die gespannten Augenblicke –,

      nur von ihnen aus gesehen wird sie richtig erzählt.«

      (Stefan Zweig: Marie Stuart, Einleitung)

      Der 10. November 1936 war ein Dienstag.

      Ich wurde morgens um 4:00 Uhr im Elisabeth Hospital in Kassel als zweites Kind und einzige Tochter des Dr. Ernst Immanuel Schweizer und seiner Frau Hilda Schweizer, geb. Schwab, geboren. Obwohl meine Mutter ihren Vornamen hasste, wurde er in der von ihr abgemilderten Form „Hilde“ der neugeborenen Barbara Christine als dritter Vorname angehängt. Eigentlich sollte meine Mutter „Paula“ heißen. Mein Großvater hatte ihr diesen im Jahre 1900 extrem altmodischen Namen aus Wut darüber verpasst, dass sein sechstes Kind nach bereits drei Töchtern schon wieder ein Mädchen war. Nach langem Drängen erreichten die älteren Schwestern meiner Mutter dann aber doch, dass ihr Vater zum Standesamt zurückkehrte und „Paula“ in „Hilda“ änderte. Mehr ging nicht.

      Am Tage vor meiner Geburt hatten meine Eltern, die aus dem heimatlichen Stuttgart nach Kassel gezogen waren, eines ihrer schwäbischen Lieblingsgerichte auf dem Mittagstisch: Linsen, Spätzle und Saidewürscht, was dazu führte, dass mein Vater die am Abend einsetzenden Leibschmerzen meiner Mutter auf die Linsen zurückführte und ihr wegen ihres Speiseplans Vorwürfe machte. Es waren aber nicht die Linsen.