Staat(sordnung), Entwicklung und Demokratie. Andreas Kislinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Kislinger
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Зарубежная публицистика
Год издания: 0
isbn: 9783838275208
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ausgespart bzw. nicht in deren primären Interessensbereich. Die nationalstaatlich-historisch zu betrachtende, nach innen gerichtete Selbstbestimmung des Volkes/der Völker als Ganzes hat sich analog zur Klassenbildung durch einen 'Vergruppungsprozess' ausdifferenziert, bei dem die Völker ihre Souveränität erst mittels Selbstbestimmung erringen mussten.

      Das ist ein Argument dafür, dass Nationen historisch auf bestimmten Volks- oder Völkergruppierungen aufbauen, die für jegliche Identitätsbildung der Nation zentral sind. Dem von Bühl zitierten nicht hinreichende Ausschließlichkeit einer ethnischen Betrachtungsweise bezüglich der Bestimmung von Nation ist weiters insofern Recht zu geben, als die Wurzeln einer Nation nicht verallgemeinerbar und daher qualitativ auf tiefere (politisch verortbare) Schichten bezogen analysiert werden müssen.

      Anzustreben wäre eine Theoriebildung, die klassenidentitätspolitische und sprachlich-ethnisch-volksbezogene Variablen in einer angemessenen Weise verbindet.

      Aus soziologischer Sicht ist bei der 'Nationwerdung' ein Vorgang der Differenzierung zentral, der sich aus psychologischer Sicht auch als ein Prozess der 'Vergruppung' zeigt. Vergruppung als Ausgangspunkt von Vergesellschaftung einerseits und von Vergemeinschaftung andererseits.

      "[Die Nation]...wird zur Grundform menschlicher Vergemeinschaftung," schreibt BÜHL (1970, S. 178). "...[A]n die Stelle eines universellen Gesellschaftsbegriffs tritt ein universeller Gemeinschaftsbegriff(*)."

      Der Prozess der Nationwerdung definiert das Gesellschaftsmodell aus Sicht der Struktur des Staatsinneren (in Form von Differenzierung und Integration), während das Gemeinschaftsmodell sich an diesen Prozess von der Großgruppe her annähert (s.o.).

      "...Während das Gesellschaftsmodell den Prozeß der Nationwerdung(*) sozusagen von seiner inneren Struktur her definierte, als einen Prozeß der zunehmenden Differenzierung und der gleichlaufenden Integration, ist für das Gemeinschaftsmodell dieser Prozeß der sich verändernden Struktur unproblematisch;...es bleibt der Prozeß einer im Umfang zunehmenden gesellschaftlichen Vergruppung (* ; BÜHL 1970, S. 178)."

      Die Kategorien Vergesellschaftung-Vergemeinschaftung-Differenzierung-Vergruppung sind neutral und bilden den ständig wirksamen Ereignis- und Tatbestand von Ausbeutung, der grundlegend für jegliche Organisationsleistung und Nationsbildung ist, nicht ab.

      Die anfangs ausgeführten Kategorien fordern das aber als zentrales Grundelement ein. BASSO (1975, S. 16f) isoliert die Faktoren des für die erste Formbildung und Herausbildung einer gleichlaufenden Integra-tion des Staates essentiellen Differenzierungsprozesses mit 'Arbeitsteilung', 'Entäußerung', 'Usurpation' und 'Klassenunterdrückung' (a.a.O.).

      Dieser Prozess, der sich als staatlich-gesellschaftliche Differenzierung beschreiben lässt, bedeutet auch, dass sich auf sozial-soziologischer Ebene Klassen bilden und das führt direkt zu den drei Kategorien von Basso.

      Die Identität und das Selbstbewusstsein einer nationszentrierten Weltanschauung, haben Werthaltungen zum Inhalt, die einer vorherrschenden national sich verankernden und -definierenden Bevölkerungsschicht entspricht.

      Beim Nationalismus grenzen und heben sich mehrere, zentrale Bevölkerungsteile des Volkes von ihrer Umwelt ab. Eine Nation wird weitgehend von einer gemeinsamen Weltanschauung 'zusammengehalten', der nationalistische Anteil einer Bevölkerung verabsolutiert aber den Nationalstaat und dessen Grenzen (siehe 'Nationalismus', WIKIPEDIA):

      "Nationalismus(*) bezeichnet Weltanschauungen und damit verbundene politische Bewegungen, die die Herstellung und Konsolidierung eines souveränen Nationalstaats und eine bewusste Identifizierung und Solidarisierung aller Mitglieder mit der Nation anstreben."

      Für die Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts, schreibt ALTER (1985, S. 10), dass bei multinationalen Großstaaten, die beim osmanischen Reich und der Habsburgermonarchie zerschlagen wurden, der Nationalismus wieder zur Triebkraft der Herausbildung neuer Staaten wurde. In den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten bildeten sich Griechenland, Italien, das Deutsche Reich, die Tschechoslowakei und Polen. Nationalistische Interessen waren seit damals Anlass für die koloniale Expansion der europäischen Mächte (s.o.).

      Wie ALTER (s.o. S. 11) ausführt, wurde im Zweiten Weltkrieg der Nationalismus zu einem Synonym für Intoleranz, Inhumanität und Gewalt. Im Namen des Nationalismus wurden Eroberungen und Vertreibungen gerechtfertigt:

      "Im Namen des Nationalismus wurden Kriege geführt und es geschahen ungeheuerliche Verbrechen. Auf Nationalismus war es einerseits zurückzuführen, daß Menschen gewaltsam aus ihren angestammten Siedlungsgebieten vertrieben und territoriale Eroberungen gerechtfertigt werden konnten."

      Das vermehrte Auftreten von Nationalismus innerhalb eines bestehenden Staatsgebildes lässt sich als verdrängte, aufgestaute, sehr instinktbehaftete und -gesteuerte Emotionen darstellen, die Reflexe und Reaktionen sind auf manifeste und latente Bedrohungsformen von territorial meist außerhalb befindlichen Akteuren. Diese Reflexe und Emotionen werden beim Nationalismus in eine sich selbst legitimierende Gewaltbereitschaft eingebettet.

      ALTER (1985, S. 11) beschreibt die positiven Seiten des Nationalismus, der für ein Volk eine freie und gerechte Gesellschaftsordnung bewirken kann:

      "Mit Nationalismus befanden sich...Hoffnungen auf eine freie und gerechte Gesellschaftsordnung. Nationalismus bedeutete in der Tat für Völker und Individuen vielfach Befreiung von politischer und sozialer Diskriminierung."

      Der Nationalismus ist ein zentrales Mittel der Legitimation von (aufkeimender) Herrschaft.

      Den Staat als historisch von politischen Verbänden ausgehend beschreibt WEBER (1966, S. 28) und als ein

      "...auf das Mittel der legitimen (das heißt: als legitim angesehenen) Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen. Damit es bestehe, müssen sich also die beherrschten Menschen der beanspruchten Autorität der jeweils herrschenden fügen."

      Zum Verständnis der Motive der eigenen Unterwerfung durch andere Akteure müsse man die äußeren Mittel, auf die sich eine Herrschaft stützt, und die Rechtfertigungsgründe, die die Mächtigen ausweisen, explorieren (s.o.).

      MANN (1988, S. 73) unterscheidet vier hoheitsstaatliche Prinzipien, die den modernen Staat kennzeichnen:

      "(1) Die ideologischen, ökonomischen und militärischen Ressourcen der Macht des territorialen Staates sind entlang einer innen-außen Relation organisiert, dessen Machtbefugnisse auf ein begrenztes, rechtsverbindliches Gebiet bezogen und zentriert ist. (2) Institutionen, Parteien und andere staatliche Akteure werden aus gesellschaftlichen und politischen Prozessen erzeugt. (3) Staatliche Institutionen sind funktionell für die unterschiedlichen Interessensgruppen, deren innere Konsistenz das Ergebnis des innerstaatlichen Kräftespiels und der unterschiedlich effizienten Machtnetzwerke ist. (4) Staaten sind geopolitisch miteinander vernetzt."

      In der ersten Kategorie beschreibt MANN (1998, S. 74) den Widerspruch von einem Innen und Außen und postuliert, dass das Innere sich nur aus einem Außen her organisieren und zentrieren kann.

      Je mehr sich das Innere herausbildet, desto mehr muss das Äußere abnehmen. Prozesse der Zentrierung, so man von einem Gebiet der Unbestimmtheit ausgeht, kristallisieren sich heraus, indem sie sich differenzieren und immer wieder abspalten.

      So gesehen gibt es in Zeiten eines unbestimmten Übergangs noch kein Innen und Außen. Je mehr sich ein Innen bildet, desto weniger wird ein Außen. Je mehr Machtbefugnisse das Innen ausbildet, desto mehr zieht es diese vom Außen ab und schottet sich davon ab. Das wären die Regeln eines sich (auch) territorial herausbildenden Flächengebildes, das später dann als Staat bezeichnet wird.