Zwischendurch machte Lorenzo einen weiten Bogen um die belebte Hafeneinfahrt von Cala d’Or und wir fuhren an dem Küstenort vorbei, immer weiter nach Süden. Wenig bewohnte Abschnitte folgten, die mich mit ihrer Ursprünglichkeit und Rauheit beeindruckten. Unwillkürlich stieß ich einen tiefen Seufzer aus, was mir einen forschenden Blick von Lorenzo einbrachte.
»Es ist wunderschön hier. Bezaubernd. Faszinierend.«
Er lächelte zufrieden. »Ja, da bin ich ganz deiner Meinung. Irgendwie muss ich künftig auch während der Saison Zeit finden, öfters auszufahren. Es macht den Kopf frei.« Er gab Gas und wir schossen durch die Wellen. Meine Haare flatterten im Wind und ich genoss das Gefühl von Freiheit, das mich durchströmte, als gäbe es nur diesen perfekten Moment, in dem die Alltagssorgen in den Hintergrund rückten.
Wir passierten die Buchten von Figuera, Santanyí und Lombards und ich stellte fest, dass die Orte vom Meer aus ganz anders wirkten, als wenn man mit dem Auto oder zu Fuß unterwegs war. Nach einer Weile meldete mein Magen mit heftigem Grummeln, dass es Zeit für Energienachschub wurde. In diesem Moment drosselte Lorenzo den Motor und wandte sich zu mir. »Was hältst du von Mittagessen?«
»Wollte ich auch gerade fragen. Suchst du uns ein lauschiges Plätzchen?«
»Ein kleines Stück noch, dann kommen wir zur Cala Figuereta. Dort werden wir ankern. Kennst du die?«
Ich schüttelte den Kopf. »Um ehrlich zu sein, war ich ewig nicht mehr in dieser Gegend.«
Er nickte. »Ich muss gestehen, wenn ich das Boot nicht hätte, würde ich vieles gar nicht kennen.«
Es war eine kleine Bucht, die landseitig von schroffen Felswänden begrenzt war. Auf der anderen Seite hatten wir uneingeschränkte Sicht auf das offene Meer. Lorenzo verankerte das Schiff, dann klappte er einen Tisch aus, der mir bisher entgangen war.
»Wirklich praktisch«, stellte ich anerkennend fest, als wir einander gegenüber saßen und unser mitgebrachtes Essen ausbreiteten, um es miteinander zu teilen.
Er nickte lächelnd. »Es ist ein tolles Boot und ich freue mich jedes Mal, dass ich es habe.«
Ich überlegte, ob wir uns gut genug kannten, um ihm persönliche Fragen zu stellen, beschloss dann jedoch, es darauf ankommen zu lassen. »War es hart für dich, als Juliana das mit euch beendet hat?«
Einen Moment war er still, dann meinte er: »Es gab bisher wenige Frauen in meinem Leben, mit denen ich mir mehr als eine Affäre hätte vorstellen können. Sie war eindeutig eine davon.«
»Hast du dir nie gewünscht, eine Familie zu gründen?«, wagte ich mich weiter vor.
Er zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern. »Ich denke, ich bin dafür nicht geschaffen.«
Das überraschte mich. »Wie kommst du darauf?«
Lorenzo bedachte mich mit einem langen Blick, bevor er sich daran machte, seinen Serrano-Schinken und meinen Lieblingskäse aus Schaf- und Ziegenmilch auf eine Brotscheibe zu häufen. Als ich bereits davon ausging, dass er meine Frage ignorieren würde, meinte er: »Das liegt bei uns in der Familie. Die Gene oder was weiß ich.« Er nahm einen Bissen, kaute und schluckte. »Mein Vater hat meine Mutter ständig betrogen. Mama hat es akzeptiert, um uns den Vater nicht zu nehmen, wie sie es ausdrückte. Erst als wir aus dem Haus waren, hat sie sich von ihm scheiden lassen. Mein Bruder hat seine Ehe auch in den Sand gesetzt, also denke ich, ist es besser, ich probiere es gleich gar nicht, dann erspare ich mir und einer potenziellen Partnerin eine Menge Kummer und Ärger.«
Diese Sichtweise machte mich sprachlos. Das war also der Grund, warum er fast ausnahmslos flüchtige Affären hatte? Die Gene?
»Entschuldige, wenn ich dir das so hinknalle, aber das halte ich für absoluten Quatsch. Natürlich ist es deine Sache, ob du dich als Single wohlfühlst oder dir eine Familie wünschst, aber Treue ist eine Entscheidung und keine Frage der Gene.«
Seine Augenbrauen zuckten überrascht hoch. »Meinst du? Dann treffen aber eine Menge Leute falsche Entscheidungen.«
»Stimmt. Aber das hat nichts mit einer Veranlagung zu tun, die man in die Wiege gelegt bekommt, und deren Opfer man ist.«
»Klingt, als ob du dich mit dem Thema bereits gründlich auseinandergesetzt hättest.«
Ich zog eine Grimasse. »Das stimmt. Um ehrlich zu sein, hatte ich es schon mit einigen Männern zu tun, für die Treue ein Fremdwort war und alle möglichen Ausreden dafür parat hatten.«
»Trotzdem glaubst du noch immer daran, dass es möglich ist?«, fragte er ungläubig.
»Das ist es ganz bestimmt. Meine Eltern sind einander treu und meine Tante und mein Onkel führen auch eine gute Ehe.«
»Denkst du das oder weißt du es? Wie kannst du dir da so sicher sein?«
Ich verharrte mitten in der Bewegung und meine Olive rutschte von der Gabel und kullerte über den Tisch. Lorenzo fing sie gerade noch, bevor sie auf dem Boden landete, und hielt sie mir vor den Mund. Als ich sie zwischen die Zähne nahm, berührten meine Lippen seine Fingerspitzen. Das sanfte, aufregende Kribbeln, das sich davon ausgehend verbreitete, ließ mich beinahe vergessen, wovon wir gesprochen hatten. Erst nachdem ich den Kern auf den Rand meines Tellers gelegt hatte, war ich auch geistig wieder soweit, antworten zu können.
»Ich will es glauben«, gab ich dann zu. »Vielleicht ist die emotionale Treue aber ohnehin wichtiger als die körperliche.«
Er runzelte die Stirn und griff nach einer weiteren Brotscheibe. »Was meinst du damit?«
»Treue bedeutet für mich in einer Beziehung mehr, als nur mit niemand anderem ins Bett zu hüpfen. Für einander da sein. Achtsam sein, was der andere braucht, damit es ihm gut geht. Sich gegenseitig verwöhnen. Das Gleichgewicht von geben und nehmen. Nicht nur, einander verliebt in die Augen zu sehen, sondern gemeinsam in die gleiche Richtung zu schauen«, zitierte ich einen Dichter. Unter seinem intensiven Blick verstummte ich verlegen und fühlte, wie mir das Blut warm in die Wangen stieg.
»Wie kann jemand alleine sein, der sich so schöne Gedanken über Beziehung macht und offenbar viel zu geben hat?« Seine Stimme war samtig und weich und jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr er mich damit berührte, und zuckte mit den Schultern.
»Weil dazu zwei gehören und ich noch niemanden gefunden habe, der die gleichen Vorstellungen hat. Besonders das mit dem Geben und Nehmen funktionierte bisher nicht so richtig und ich habe es satt, mich ausnutzen zu lassen.«
»Das tut mir leid.« Lorenzo nahm einen großen Schluck Wasser, dann richtete er neuerlich den Blick auf mich. »Ich finde es bemerkenswert, dass ich hier sitze und mich mit dir über Beziehungen unterhalte. Am Ende polst du mich sogar noch um.« Er zwinkerte mir zu. »In der letzten Zeit passieren diesbezüglich ohnehin Dinge, die ich nie erwartet hatte. Erst holt sich Alejandro eine Braut aus Österreich und bekommt gleich auch noch einen ziemlich süßen Sohn dazu. Und dann die Sache mit Enrique. Ich hatte ja schon länger den leisen Verdacht, dass er schwul sein könnte, aber da stand ich anscheinend alleine da, oder?«
Er schmunzelte wissend und ich spürte, wie mir erneut die Röte in die Wangen stieg. Wie hatte er mitbekommen können, dass ich jahrelang unglücklich in den zurückhaltenden, liebenswerten Mann verschossen gewesen war, obwohl wir so wenig Kontakt gehabt hatten? Erst in den letzten Monaten, seit ich mich mit Florian angefreundet hatte, war ich öfter mit der Runde zusammen. Wusste vielleicht unsere ganze Clique darüber Bescheid?
»Ich