Neubelebung der ethischen und ästhetischen Kultur, so lautet der Sehnsuchts- und Hoffnungsschrei. Die erreichte technische Entwicklung soll in den Dienst sozial- und nationalethischer Ideale gestellt werden. Praktische Erziehungsarbeit hat da begeistert eingesetzt. Man erwartet das Höchste, nämlich eine nie dagewesene Verfeinerung und Veredlung des menschlichen Empfindens. Soziale und künstlerische Triebe sollen auf weitem Volks- und engerem Heimatboden ganz neue Entfaltung und Erfüllung finden. Auch der religiöse Trieb soll wieder ganz neu sprießen und grünen. Kurz, eine Geistes- und Herzenskultur soll stramm-methodisch erarbeitet werden, wie sie die Menschheit noch nie gesehen und erlebt habe.
Wer wollte sich über diese schönen Kulturideale nicht freuen? Und wer möchte nicht gerne dem glauben, was da bereits als Erfolg gemeldet wird? Redet man doch schon vom „neuen Menschen“, dessen höhere Menschlichkeit sowohl dem politischen als dem wirtschaftlichen Krieg entwachsen sei und eine staunenswerte Veredlung der menschlichen Seele darstelle. Nun, wir wollen abwarten, wie sich diese moralischen Kulturerrungenschaften beim nächsten europäischen Krieg bewähren werden.1 In der gegenwärtigen sozialen Praxis ist die Schärfe des Interessenkampfes durch die Pflege der schönen Kulturideale bisher um nichts gemildert worden. Der Mensch bleibt Mensch mit allen Eigenschaften seiner unveränderlichen menschlichen Natur.
Und doch gibt es eine Kultur des menschlichen Herzens, die nie versagt. Ja, es gibt eine Kultur der Herzen, die so sicher und solid arbeitet, dass sie sich beinahe unabhängig von jeder übrigen kulturellen Zeitströmung vollzieht. Sie gedeiht unter jeder Staats- und Wirtschaftsform, bei jedem Volke, jeder Rasse und in jeder Klasse. Sie ist an keine Zone noch Grenze gebunden. Auch hat sie weder Besitz noch Bildung zur Vorbedingung und umfasst sowohl die Jugend als das Alter. Sie bewährt sich in Friedens- und Kriegszeiten, in Reichtum und Armut, in guten und in bösen Tagen.
Es ist dies die Kultur der Herzen, die Jesus Christus, der unvergleichliche Herzenskündiger und Herzensgewinner, in die Welt gebracht hat.
Er hat keine zweifelhaften menschlichen Kulturideale gepredigt. Es ist merkwürdig, wie wenig er sich um die Kulturformen jener Zeit gekümmert hat. Weder trat er für sie ein noch gegen sie auf. Er brachte Höheres als zeitlich Menschliches. Er brachte Worte und Kräfte des ewigen Lebens. Er eröffnete ein Reich, das nicht von dieser Welt ist, aber in dieser Welt wirksam werden sollte. Er lehrte keine politischen und sozialen Reformen, sondern verkündigte einfach den Willen seines Vaters im Himmel, der jede Politik und jede Gesellschaft reformiert. Er war das Heil, das aus den Juden und zu den Juden kam, und kam doch für alle Völker. Er wollte nicht irdisch-menschliche Macht für sich oder für eine Menschenklasse oder für sein Volk gewinnen und gebrauchen, sondern stand nur im Dienste seines himmlischen Vaters und damit im Dienste aller Menschen. Er diente nicht einer Spanne Zeitgeschichte, und doch erfüllte sich in ihm seine Zeit und bleibt er der Erfüller aller Zeiten. Er wollte das eine große menschliche Herz für den einen großen Gott gewinnen. Das war es, wozu er in die Welt kam. Und so ist er der einzig wahre und höchste Kulturträger in der Gottes- und Menschheitsgeschichte und in ihm allein die Kultur der Herzen verbürgt.
Was heißt denn Kultur? Ich denke Urbar- und Fruchtbarmachung. Denn wenn ein Stück Land kultiviert wird, so wird es urbar und damit fruchtbar, weil ertragfähig gemacht. Wie sich der Mensch auch betätigen mag, seine Kulturtätigkeit hat immer den Zweck, die menschlichen Kräfte und ihre Stoffe für den Menschen fruchtbar, das heißt ertragfähig zu machen. Darin gipfelt jede zielbewusste menschliche Arbeit. Und was war das Ziel der Arbeit Jesu Christi auf Erden? Nichts Geringeres, als die menschlichen Herzen urbar und fruchtbar zu machen für Gott. Darum lag alle bloß menschliche Kulturarbeit außerhalb seiner Wertung, und doch wurde und wird durch die Kultivierung des menschlichen Herzens für Gott jede wirkliche Kulturarbeit zugleich und allein gesichert. Denn Fruchtbarmachung des menschlichen Herzens für Gott und Fruchtbarmachung der Erde für den Menschen garantieren einander, weil sie sich decken nach dem Willen Gottes. Jede Entfernung von unserem Vater im Himmel ist zugleich Kulturverfehlung auf Erden.
Ist das nicht überwältigend groß, dass der Schöpfer um das Herz seines Geschöpfes wirbt? Nicht um eine bebaute Erde, nicht um die Entstehung prächtiger Städte, nicht um das Emporblühen fleißigen Gewerbes, nicht um staatliche, politische, soziale und wirtschaftliche Bildungen und Verbindungen und ihre irdischen Erträge, nicht um wissenschaftliche, technische, künstlerische Leistungen ist es unserem Gott zuerst und zuletzt zu tun, sondern allein um die Gewinnung des menschlichen Herzens. Alle Kultur ist nur Mittel zum einen Ziel. Dient das Mittel dem Ziel, so bleibt es, dient es nicht, so zertrümmert es Gott, wie der Töpfer das Tongefäß zertrümmert. Was liegt ihm an Kulturwerten? Er sucht Herzenswerte! So allein ist es göttlich, mag es dem kleinen Menschen auch noch so ungöttlich erscheinen.
Menschenkind, der lebendige Gott wirbt also um dein Herz! Schaffe du, was du schaffen kannst, erwirb, was du erwerben kannst, leiste, was du zu leisten vermagst, es bleibt dabei: dein Schöpfer, der dir alle die Kräfte zum Schaffen und Erwerben gegeben, die du so nötig brauchst, bedarf deiner Leistungen um ihrer selbst willen nicht, er bedarf nur deines Herzens. Er steht über deinem Können und Nichtkönnen, über deinem Reichsein und Armsein: er will mit allem, was du kannst oder nicht kannst, was du hast oder nicht hast, nur dein Herz gewinnen. Kann er es dir abgewinnen, so stehst auch du dann, wie er steht, über allem und bist ein gottseliger, erlöster Mensch.
Das ist der Sinn der frohen Botschaft, die Gott durch den Mund Jesu verkündigte.
Und so überirdisch wie diese Botschaft ist, so überirdisch ist auch der Mittler, der einige Gottessohn, der sie dir überbringt. Und so überirdisch ist auch das Mittel, mit dem der Herzenskündiger und Herzensgewinner dein Herz kultivieren, das heißt für Gott urbar und fruchtbar machen will.
Das Mittel des Mittlers ist sein Wort.
Höre! Denn Christus spricht gerade hier: Wer Ohren hat, zu hören, der höre! Höre also! Nicht die Ergebnisse menschlicher Gelehrsamkeit, nicht die Worte derer, die sich für weise halten, nicht die Worte der Staatsmänner, nicht die Worte der Dichter, nicht die Worte der Ethiker und Reformer, nicht die Worte der Moraltheologen und Moralphilosophen, nicht die Wortmachereien redseliger Predigtkünstler, nicht Buch- noch Zeitungsworte vermögen das menschliche Herz wahrhaft zu kultivieren, das heißt fruchtbar zu machen für Gott, sondern allein das lebendige Gotteswort, das Gott in seinem Sohne Jesus Christus geredet hat, ist das untrügliche Mittel, unser Herz zu kultivieren.
Die Tatsachen beweisen es. Sie selbst haben das Göttliche vom bloß Menschlichen geschieden. Wieviel Menschenworte sind als Rauch und Schall, als Lug und Trug verweht! Jesu Worte aber haben an Lebenskraft und Lebenssaft nichts verloren. Sie wirken heute auf hörende Ohren so unmittelbar göttlich wie damals, wo sie Gott der Welt zum Heil schenkte. Großer Dichter und Denker Worte mögen das menschliche Herz und Leben menschlich bereichert haben, Jesu Worte haben unausgesetzt Herz und Leben erneuert. Denn er ist nicht nur der unvergleichliche Herzenskenner, er ist auch der einzige Herzenserneuerer. Weil er der Herzenskündiger ist, weiß Er, was im Menschen ist, weiß, dass dem Menschenherzen kein Flicken und Pflastern hilft; soll das Menschenherz kultiviert werden, damit es fruchtbar werde für Gott, so muss es erneuert werden. Herzenskultur bedeutet nach dem Evangelium Herzenserneuerung. Und diese kann wie gesagt niemals durch zeitlich bedingte und irrende Menschenworte, sondern durch das Wort der ewigen, unveränderlichen und unvergänglichen Wahrheit aus dem Munde dessen, der die Wahrheit persönlich ist, zustande kommen. Jeder Weise mochte sagen: Ich rede Wahrheit, aber keiner konnte sagen: Ich bin die Wahrheit. Jeder Genius mochte sich der geschichtlichen „Unsterblichkeit“ erfreuen;