Christmas Bloody Christmas 2. Thomas Williams. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Williams
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783948168186
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Großvater nicht. Er holte mit dem Stuhl erneut aus und wollte mich damit angreifen. Geistesgegenwärtig trat ich ihm ins Gesicht. Sein schiefer Kopf knackte nach hinten wie der Verschluss einer Bügelflasche. Er taumelte, ließ den Stuhl fallen und fiel zuckend zu Boden. Die Verkleidung der Zimmerdecke brannte lichterloh und tropfte zäh wie Honig herab. In den wenigen Sekunden hatte sich das Esszimmer in einen Glutofen verwandelt. Erschrocken blickte ich hinter mir aus dem Fenster. Ich musste fliehen. Unter mir befand sich ein Radweg. Ich würde geradewegs auf Asphalt krachen.

      Wie eine Schlange hatte Oma meine Ablenkung genutzt und den Stuhl aufgestellt, um ebenfalls auf die Fensterbank zu klettern. Plötzlich stand sie neben mir mit einem Messer in der Hand. In letzter Sekunde konnte ich es ihr aus der Hand schlagen. Aber sie versetzte mir einen Stoß, dass ich nach hinten stolperte und gegen die Fensterscheibe krachte. Panisch hielt ich mich an ihr fest. Vielleicht lag es an der Hitze oder der Wucht, etwas ließ das Glas bersten und wir stürzten hinaus. Es gelang mir, mich im Flug zu drehen und auf ihr zu landen. Ihr Schädel knallte auf den Asphalt und glich einer heruntergefallenen Pampelmuse.

      Ich hingegen hatte lediglich eine Gehirnerschütterung und litt an einer Amnesie.

      ß3V

      Ich konnte nur wenige Begebenheiten meiner Kindheit ins Gedächtnis rufen, jetzt jedoch traf mich die komplette Erinnerung mit einem Schlag. Als man mich fand, eng umschlungen mit meiner Großmutter, dachte jeder, es wäre ein verzweifelter Sprung gewesen, um dem Feuer zu entkommen. Niemand hatte geahnt, was vorgefallen war. Laut Pressebericht war das Haus niedergebrannt und mit ihm sämtliche Bewohner – bis auf mich und Oma, aber die war jetzt ebenfalls tot.

      Trotz der Tatsache, dass alle in meiner Familie Monster waren, erfüllte mich die Erkenntnis mit Trauer. Unablässig rannen mir Tränen aus den Augen.

      Unbemerkt war Schwester Bettina, die Nonne, die mich am meisten hasste, zu mir getreten.

      »Hör auf zu heulen! Brauchst dich nicht wichtigmachen!«

      Was sagte sie da? Als Leiterin der Gruppe kannte sie unsere Geschichten. Sollte sie nicht wissen, dass ich an Weihnachten meine Familie verloren hatte? Auch wenn sie den Tod verdient hatten und ich daran nicht ganz unschuldig gewesen war, stimmte mich Weihnachten traurig. Kein Wunder, oder?

      Die bronzefarbene Nonne indischen Ursprungs hatte trotz der Feierlichkeit schlechte Laune. Schon den ganzen Tag hatte sie uns putzen lassen und mit Spitzfindigkeiten drangsaliert. Anschließend mussten wir zur Kirche und jetzt zog sich das Brimborium auch noch unnötig in die Länge. Glaubte sie wirklich, dass sich irgendwer von uns auf die Geschenke freuen würde? Es waren in buntes Papier verpackte Zuteilungen vom Jugendamt – meist bestehend aus Kleidern, Taschen und Gegenständen, die eigentlich jeder normale Mensch besaß.

      Das fiese Lächeln von Sabine, ihrem Lieblingszögling und Tochter aus gutem Hause, streifte mich. Ich hasste dieses Mädchen. Wie oft verpetzte sie eine von uns und stellte selbst jede Menge Dummheiten an. Aber sie hatte ja alle Rechte.

      »Scheißkuh!«, fauchte ich ihr entgegen.

      Jetzt nahm das Drama seinen Lauf.

      »Wie kann man so undankbar an Heiligabend sein?«, schluchzte Sabine theatralisch und hielt sich die Hand an den Mund. Theresa, eine der beiden Erzieherinnen, hantierte erfolglos am Plattenspieler. Ja, ein antiquiertes Gerät. Angeblich war kein Geld da für etwas Neues, aber das hielt ich für eine Lüge.

      Somit gab es hier weder Internet noch Mobiltelefon, außer natürlich für die Mitarbeiter.

      Die Nonne, die einen halben Kopf kleiner war als ich, baute sich vor mir auf.

      »Du gehst jetzt in dein Zimmer. Bete und überdenke dein Verhalten! Wir lassen uns von dir das Fest der Liebe nicht zerstören.« Grob packte sie mich am Arm. Die Klosterfrau war es gewohnt, dass die Mädchen auf sie hörten. Niemand widersetzte sich. Und wenn doch jemand nur einen Hauch Ungehorsam zeigte, wurde er hart bestraft. Nicht nur der Frevler, sondern auch jeder, der sich mit ihm abgab. Die Angst war groß vor dieser Frau. Aber nicht mit mir!

      »Du weißt, wer du bist. Du weißt, was du getan hast. Lass dir das nicht gefallen!«, hörte ich eine Stimme in meinem Kopf. Jetzt war mir alles klar. Seit einem Jahr wurde ich von ihr schikaniert. In ihren Augen war jedes junge Mädchen eine Nutte, das sich nicht für das Kloster entschied.

      Natürlich hatte ich öfter einen Schwanz in mir gehabt als sie. Und ich wusste auch, wie es war, jemandem einen zu blasen. Aber deswegen war ich noch längst keine Hure.

      Ohne dass ich es beabsichtigt hatte, landete meine Faust in ihrem Gesicht. Schwester Bettina hielt sich die Nase und schwankte zurück. Blut quoll durch ihre Finger und tropfte auf das helle Ordensgewand.

      Schweigen dominierte für eine Sekunde den Raum. Nur das Knistern der Schallplatte war zu vernehmen.

      Schwester Bettina blickte mich entsetzt an. Erneut schlug ich sie. Diesmal in ihren rundlichen Bauch. Mein Hieb setzte ihr so zu, dass sich die Nonne krümmte und würgte.

      Die Mädchen schrien.

      Die Erzieherinnen blickten verdutzt in die Runde. Sie hatten sich auf einen ruhigen Abend eingestellt. Schon vor dem Mittagessen hatten sie vom Weihnachtspunsch genascht, den nur die ›Erwachsenen‹ trinken durften, also ausschließlich das Personal. Beschwipst und überfordert von der neuen Lage, hielten sie sich verwirrt zurück. Einigen Mädchen dagegen waren unvorbereitete Wutausbrüche nicht fremd. Schnell fanden sie zu sich. Darunter auch Mira, eine dunkelhäutige Schönheit, die aufgrund ihres Äußeren von einigen Mädchen wie auch den Erzieherinnen gehänselt wurde. Sie holte aus und ließ Sabine, Bettinas Lieblingstochter, die panisch zu kreischen angefangen hatte, mit einem Fausthieb auf die Kehle verstummen. Aus heiterem Himmel fand auch die Nadel auf dem Plattenspieler ihren Kurs und Weihnachtslied für Weihnachtslied schallte durch den Raum.

      Das war der Auftakt.

      Die unterdrückten Gefühle meiner Kumpaninnen brachen hervor und aus dem Fest der Liebe wurde ein handfestes Gerangel. Plötzlich schlug jeder jeden. Teenager in festlicher Bekleidung zogen sich gegenseitig an den Haaren oder prügelten wie Raufbolde aufeinander ein. Die indische Nonne rief etwas, aber niemand schien sie zu hören. Fräulein Ursula ergriff nun die Initiative. Ich hasste dieses fettleibige Weib für mein Leben und sie mich ebenso. Warum sich eine Frau, die über dreißig Jahre alt war, noch Fräulein nennen ließ, war ein weiteres Charakteristikum für den veralteten Zeitgeist dieser Einrichtung.

      »Jetzt beruhigen wir uns alle mal!« Ergeben hielt sie die Hände in die Luft und schritt an den kämpfenden Mädchen vorbei, die von ihr kaum Notiz nahmen. Theresa, die andere Erzieherin, die noch immer nicht verstand, was geschah, bekam von irgendwem eine Tasse über den Kopf gezogen. Sie fiel bewusstlos zu Boden. Niemand kümmerte sich darum. Theresa tat immer, was Bettina ihr auftrug und gab der Klosterfrau in jedem Fall recht. Die Schützlinge interessierten sie nicht im Geringsten.

      Schwester Bettina kauerte noch immer am Boden und blickte mich wütend an. Die perfekte Höhe, ihr mein Knie in die Visage zu befördern. Ich umklammerte mit beiden Händen ihren Hinterkopf und rammte ihr das Knie so oft in die Fresse, bis ich etwas Scharfes fühlte, das durch die Wollstrumpfhose drang. Als ich auf mein Knie blickte, war der Stoff rot gefärbt. Die Nonne, die unter ihrem Schleier nur noch einen matschigen Brei als Gesicht trug, klappte zusammen. Fräulein Ursula hatte es nicht gesehen. Sie schaute zu den anderen Mädchen, rief deren Namen und drohte damit, ihnen die morgige Heimreise zu verbieten.

      Meine Augen fingen sich in denen von Mira. Uns betraf es nicht, denn wir beide waren dazu verdammt, die Weihnachtsferien hier im Heim zu verbringen. Als ob uns derselbe Gedanke getroffen hätte, nahmen wir uns an den Händen. Unsere Arme wie ein Tau gespannt, rannten wir auf die fette Erzieherin zu. Der Aufprall riss uns auseinander. Stechende Schmerzen fraßen sich durch die Finger meiner linken Hand, als seien sie gebrochen. Aber schon tröstete mich der Anblick, als ich sah, wie Ursula stolperte und in die Weihnachtstanne fiel. Der Baum krachte gegen die Wand und knickte in der Mitte zusammen. Schon griffen die kleinen Flämmchen um sich. Die trockenen Zweige jauchzten und ein heller Lichtschein umhüllte die Erzieherin.

      Die anderen Mädchen waren noch