Der angesprochene Geistleib, die Seele, macht unser eigentliches Leben aus. Während der Erdenreise bildet der menschliche Körper nur das „Gefährt“ für die Seele – die Seele bedient sich sozusagen nur des Körpers, um sich im materiellen Dasein ausdrücken zu können. Wir sind also nicht der Körper, sondern wohnen nur vorübergehend in ihm. Bei dem Vorgang, den die Menschen Tod nennen, verlassen wir in Wirklichkeit nur dieses irdische Gefährt, um in einer anderen Sphäre weiter zu existieren. Für die Seele gibt es keinen Tod – sie existiert ewig. In der Seele ist auch alles festgelegt, gespeichert, gleichsam eingraviert, was wir aus früheren Inkarnationen in ein neues Erdenleben mitbringen. Die Seele überträgt bei der Einverleibung diese Speicherungen auf die Gene, die eine Verbindungsstelle zum Geistigen bilden. Dadurch kann ein Mensch wieder dieselben Wesensmerkmale ausbilden wie im entsprechenden Vorleben. Oder hat er gleiche Veranlagungen oder Begabungen wie im Vorleben. Nur so sind beispielsweise die ungewöhnlichen, frühkindlichen Begabungen Mozarts erklärbar.
Von der Seele werden auch feinste Signale an den Menschen ausgesandt, die über das Gehirn laufen. Der Mensch nennt diese „Stimme“ dann sein Gewissen. Dieser stille, untrügliche Mahner kommt stets aus der Wahrheit – darauf werden wir später ausführlich zurückkommen – und seine Sprache sind feinste Impulse, die wir in unserem Innern wahrnehmen, aber nicht in menschliche Worte übersetzen können. Die menschliche Sprache ist dafür viel zu grob – bei all ihrer Großartigkeit bleibt sie doch nur eine Erfindung für den Alltagsgebrauch, damit Menschen sich durch äußerliche Kommunikation miteinander verständigen können. Sie wissen selbst, wie unzureichend Sprache ist und wie oft wir „aneinander vorbeireden“. Eine höhere Kommunikation – von Seele zu Seele – geschieht erst auf höherer Ebene, ohne menschliche Worte und ohne Missverständnisse.
1 Albert Schweitzer; Die Ehrfurcht vor dem Leben; Becksche Reihe
2 Matthäus 7, Vers 14
Mit Tieren leben
Meine Entwicklung zur fleischlosen Ernährung vollzog sich über lange Zeiträume hinweg und erfolgte auf unterschiedlichen Wahrnehmungs- oder Bewusstseinsebenen. Hineinspielten einerseits die angesprochenen feinen Impulse meines Gewissens, andererseits handfeste medizinische Erwägungen. Für mich besteht kein Zweifel daran, dass dieser gesamte Entwicklungsprozess einer der entschiedensten in meinem Leben war, denn dabei ging es nicht einfach nur um die praktische Nahrungsumstellung auf fleischlose Kost.
Da – wie bei jedem Menschen – mein persönlicher Entwicklungsverlauf in meine Familiengeschichte eingewoben war und ist, sehe ich meinen Werdegang nicht erst mit meinem Eintritt in dieses Erdenleben beginnend, sondern begreife auch frühere Einflüsse als maßgeblich, beispielsweise die Jahre des 1. Weltkriegs:
Am 30. Oktober 1914 fiel mein leiblicher Großvater, Konrad Fischer, im Alter von 35 Jahren bei Morsan in Nordfrankreich – so wurde es seiner Frau, meiner Großmutter, durch den Kommandanten des Reserveinfanterieregimentes Nr. 32 mitgeteilt. Wie meine Nachforschungen ergeben haben, sollten in jenen Tagen dort heftige Kämpfe getobt haben. Der Moloch Krieg hatte der Frau den Ehemann, zwei kleinen Söhnen den Vater und dem Hof den Bauern weggenommen – einfach so, „nachmittags um 17: 15 Uhr“ stand in dem Mitteilungsschreiben und „Gefallen für das Vaterland“, wie es damals hieß, und „Auf dem Felde der Ehre!“
Die kleinen Söhne hießen Heinrich und Hans. Heinrich, der Ältere, der 25 Jahre später mein Vater werden sollte, wurde vier Tage nach diesem Ereignis, am 3. November, fünf Jahre alt. Ob er es wohl begriff, als man ihm sagte: „Dein Vater kommt nicht wieder!“? Wie war wohl seiner Mutter zumute, die in die Familie ihres Mannes eingeheiratet hatte und nun mit dem Hof und den beiden Kleinkindern alleine dastand? Nur ihre Schwiegermutter war noch da, um mitzuhelfen – sie starb erst 1926. Der Schwiegervater war bereits 1908, im Alter von 50 Jahren, an einer Lungenentzündung gestorben. Die drei Brüder ihres gefallenen Mannes waren alle im Krieg – und kein Mann konnte die schwere Feldarbeit mit den Pferden leisten. Welch eine Katastrophe für die beiden Frauen! Nie habe ich meine Großmutter gefragt, wie sie das damals alles bewältigt hat und wie ihr zumute war – warum bloß nicht?
So trug der Krieg Zerstörung und Elend von den Schützengräben bis in die zurückgebliebenen Familien hinein. Bis heute sind die Menschen daraus nicht klüger geworden: Sie rüsten und rüsten auf, immer noch! Das Schlimme dabei ist, dass die meisten Verantwortlichen sich „christlich“ nennen oder sich zu einer Kirche bekennen, die sich christlich nennt. Unbegreiflich angesichts dessen, dass der große Menschheitslehrer, Jesus Christus, der vor 2.000 Jahren durch den Sand von Galiläa schritt, die vollkommene Gewaltlosigkeit lehrte und vorlebte. Ist das alles in Wahrheit nicht ein riesiger Etikettenschwindel?
Die drei Brüder meines zurückgebliebenen Großvaters hatten die Weltkatastrophe, zwar teils mit erheblichen Verwundungen, aber doch lebend, überstanden. Die beiden Älteren waren bereits bei Kriegsbeginn verheiratet gewesen und kehrten 1918 zu ihren Familien zurück. Als nun der Jüngste, Johannes Fischer, im Alter von 23 Jahren ebenfalls zurückkam und feststellen musste, dass ihm seine Jugendliebe nicht die Treue gehalten hatte, heiratete er die Witwe, seine 15 Jahre ältere Schwägerin. So wurde der einstige Onkel den Kindern Heinrich und Hans zum Vater. Eine Liebesheirat war das vermutlich nicht, eher eine Entscheidung der Vernunft. Aber so konnte der Hof weiter bestehen und die Halbwaisen hatten wieder einen Vater. Dieses ungleiche Ehepaar bekam noch den gemeinsamen Sohn, Georg. Mein eigentlicher Großonkel Johannes war durch diese Heirat zu meinem Großvater geworden – ein besser Großvater hätte er nicht sein können.
Heinrich Fischer heiratete zu Silvester 1938 Maria Glebe und zog in das Haus ihrer Familie ein, zu dem eine Nebenerwerbslandwirtschaft in Aua gehörte, an der Landstraße gelegen. Am 11. Oktober 1939 wurde ich als deren Sohn geboren.
Über Europa hatten sich schon wieder dunkle Wolken ausgebreitet: Sechs Wochen bevor ich zur Welt kam, war Hitler in Polen einmarschiert und hatte damit die zweite große Katastrophe des 20. Jahrhunderts in Gang gesetzt. Es waren gerade einmal 21 Jahre vergangen, seitdem die erste Katastrophe beendet worden war. Wieder mussten die jungen Söhne von Müttern, die um deren Leben bangten, zwangsweise hinaus – aber nicht, um das Vaterland zu verteidigen, sondern es war vielmehr der Größenwahn eines Einzelnen und seiner Gefolgschaft, der ein ganzes Volk terrorisierte. Der Krieg weitete sich aus, und bald wurde auch mein Vater eingezogen.
Im Sommer 1941 starb die Mutter meiner Mutter im Alter von 60 Jahren. Die Todesursache war nicht bekannt, sie hatte ihr Leben lang nie einen Arzt aufgesucht. Wie ich den späteren Erzählungen meiner Mutter entnehmen konnte, hatten sie sich gut verstanden. Diese Großmutter hatte auch ihren Schwiegersohn liebevoll in die Hausgemeinschaft aufgenommen – zu dieser Zeit lebten normalerweise alle Menschen in einer Großfamilie zusammen.
Wieder brachte ein mörderischer Krieg großes Chaos und Leid in das Leben vieler Menschen – so auch in das Leben meiner Mutter, die obendrein den frühen Tod ihrer eigenen Mutter zu betrauern hatte und mit mir, einem Kleinkind von nicht einmal zwei Jahren, und der kleinen Landwirtschaft praktisch alleine dastand. Das hieß, fast jeden Tag Kühe anschirren, anspannen, auf eine Wiese fahren, mit der Sense frisches Gras für die Tiere mähen und wieder nach Hause fahren. Zwei Milchkühe und etliche Schweine mussten täglich versorgt werden, von der anstehenden Feldarbeit gar nicht zu reden: mit den Fahrkühen stundenlang pflügen! Wo sollte in dieser Zeit das kleine Kind bleiben? Zwar lebte mein Großvater noch, aber wegen seines stets kränkelnden Zustandes war er eher eine zusätzliche Last als eine Hilfe.
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