Der Hammermord am Hansering. Bernd Kaufholz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Kaufholz
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Юриспруденция, право
Год издания: 0
isbn: 9783963115196
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suchen. Er legt sein Fahrrad ab und stopft sich die Pfeife. Kurz darauf knattert ein Angelbekannter mit seinem Fahrradanbaumotor an ihm vorbei. Die Ausbeute an Würmern ist aufgrund der Trockenheit nicht sehr groß und seine Blechbüchse bleibt fast leer. Kramer entschließt sich daraufhin, Buschobst zu sammeln. Er geht ins Unterholz in Richtung Kühnau.

      Zurück an der Schleuse zündet er sich die nächste Pfeife an. In einiger Entfernung fährt eine „Frauensperson“ vorbei. „Ob die sich wohl mit einem Kerl treffen will?“, schießt es dem Spanner durch den Kopf. Er steigt aufs Rad und nimmt die Verfolgung auf. Doch er sieht die Radfahrerin, bei der es sich um Christel Kohnert handelt, vorerst nicht wieder. Kramer fährt den Elbweg 26entlang. Am Waldrand unweit der Elbe setzt er sich hin und beobachtet das Gelände. Rund dreißig Meter weiter stehen zwei Eichen. Dort sammelt Christel Eicheln. Sie ruft dem Rentner zu: „Sie suchen wohl auch?“. Kramer antwortet: „Ja, aber es muss erst Frost kommen oder ein starker Wind.“

       Tatrekonstruktion: Nachdem der Täter am Bruchgraben nach Regenwürmern gesucht hat, schiebt er sein Fahrrad entlang des Grabens zu einem Buschäpfelbaum

      Völlig arglos geht das Mädchen zu dem Mann, den sie kennt, und setzt sich zu ihm. Kramer ist geschlechtlich erregt. Wörtlich sagt er bei seiner zehnten Vernehmung: „Ich war in Uffregung, und ich dachte, ich kann es bei dem Kind mal machen.“

      Kramer greift der Achtjährigen unter den Rock und fasst mit der anderen Hand an Christels Hals. Er drückt ihr die Kehle zu. Sie wehrt sich mit Händen und Beinen. Er drückt stärker zu. Dann vergewaltigt er das Kind. Christel rührt sich nicht mehr.

      Am 12. Januar, bei seinem letzten Verhör bei der Morduntersuchungskommission, wird er von Hauptmann Düben gefragt: „Warum fassten Sie das Kind an den Hals und würgten es, obwohl 27Sie durchaus die Möglichkeit hatten, den Mund des Kindes zuzuhalten und somit das Schreien zu verhindern?“

       Tatrekonstruktion: Das Kind (dargestellt durch eine Puppe) setzt sich völlig arglos zu dem „freundlichen Onkel“

      Kramer: „Ich habe so lange den Hals zugedrückt, dass das Kind gestorben ist. Ich hatte kein Interesse daran, dass die Tat bekannt wird, und habe deshalb so lange zugedrückt.“

      Nachdem sich der Invalidenrentner an dem Kind vergangen hat, rafft er die Bekleidung des Mädchens zusammen, säubert sich damit und trägt sie zum nahegelegenen Waldrand. Dabei sieht er ein rotes Mädchenfahrrad, das dort liegt. Doch das interessiert den Vergewaltiger nicht, er will schnell zurück zur leblosen Christel. Er befürchtet, dass jemand vorbeikommen und seine Tat entdecken könnte.

      Er fasst das Kind unter den Kopf und an den Arm. Er schüttelt es, springt wieder auf, läuft hin und her. Langsam wird ihm klar, was er getan hat. „Was machst du nun bloß?“, hämmert es in seinem Kopf. Da fällt sein Blick auf die Elbe, die in Sichtweite vorbeifließt. Er fasst das Kind am rechten Arm und rechten Bein 28und trägt es zum Wasser. Zwischendurch muss er mehrmals kurz Pause machen. Auf einem Buhnenkopf legt er Christel ab und rollt sie von dort ins Wasser.

       Tatrekonstruktion: Der Mörder würgt Christel

      „Warum haben Sie das Kind in die Elbe verbracht? Wenn Sie der Meinung waren, dass es tot ist, hätten Sie es doch liegen lassen oder Hilfe holen können“, fragt Düben sein Gegenüber am 12. Januar.

      „Es sollte doch niemand sehen. Ich hatte Angst, dass ich eine Strafe kriege, wenn das rauskommt“, so der Mörder. „Ich wollte, dass die Leiche untergeht oder irgendwohin abgetrieben wird.“

      Kramer geht zum Tatort zurück, setzt sich hin und zündet sich eine Pfeife an. Er weiß genau, was er getan hat, kann sich seine Tat jedoch nicht erklären. Dass die Wäsche des Kindes und das Fahrrad am Waldrand liegen, hat er vergessen. Er will nur noch so schnell es geht vom Ort seiner grausamen Tat verschwinden. Er schnappt sich sein Fahrrad und geht zum Weg. Er fährt nach Großkühnau. Auf seiner Fahrt sieht er in 150, 200 Metern Entfernung einen Mann, der ebenfalls in Richtung Kühnau unterwegs ist. Es ist Otto Lutz. Kurz vor der Pappelallee 29holt er den Mann ein. Dort, wo sein Schwiegersohn und andere Kies aufladen, hält er an. Sein Enkel kommt freudig auf ihn zugelaufen. „Opa, ich habe dich schon von Weitem erkannt“, freut sich der Kleine. Kramer streichelt dem Jungen mit der Hand über den Kopf, mit der er Minuten zuvor Christel erwürgt hat.

       Auf dem Weg fuhr der Täter mit dem Rad; Tafel 1 (v. l. n. r.): dort legte Kramer sein Fahrrad ab; Tafel 2: dort setzte sich der Täter hin und beobachtete das Gelände; Tafel 3: Eiche, dort bemerkte Kramer Christel beim Eichelnsammeln; Tafel 4: dort, einige Meter im Wald, versteckte der Mörder die Bekleidung des Kindes; Tafel 5: dort wurde das Mädchenfahrrad gefunden. Der Pfeil (zwischen Tafeln 3 und 4) kennzeichnet die Waldschneise zwischen „Blauen Heger“ und „Lange Hau“.

      Zu Hause geht Kramer seinen normalen Tagesarbeiten nach. Er melkt seine Ziege, schaut nach dem Feuer, siebt die Milch durch und stellt sie kalt, füttert sein Schwein. Er wäscht sich, isst Abendbrot und legt sich danach schlafen.

      Am 12. Januar wird mit einer weiteren der vielen Lügen aufgeräumt, die Kramer den Ermittlern aufgetischt hat. Die Kripo befragt Helga Abraham* aus Großkühnau. Der Rentner und die Zeugin waren viele Jahre Nachbarn, bevor Kramer nach Kleinkühnau gezogen war. Die 25-Jährige sagt aus, dass Kramer und Familie Kohnert im selben Haus gewohnt hatten und der Rentner somit auch die kleine Christel gekannt hat. Kramer hatte beharrlich bestritten, dass er das Mädchen kennt.

      Kramer wird in der psychiatrischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Herzberge-Berlin auf seinen Geisteszustand 30untersucht. Anfang Februar 1960 kommt Chefarzt Dr. Irro zu dem Schluss, dass der Tatverdächtige „in der Lage war, das Strafbare seines Handelns zu erkennen. Die Fähigkeit entsprechend dieser Einsicht zu handeln, war jedoch eingeschränkt.“ Diese Einschränkung sei „durch den gesteigerten sexuellen Affekt gegeben“. Allerdings sei die Persönlichkeit des Untersuchten noch weitgehend intakt, sodass die Voraussetzungen für den Paragraphen 51, Absatz II (Schuldunfähigkeit), nicht gegeben seien.

      Am 23. März 1960 beginnt der Prozess gegen Kramer vor dem 2. Strafsenat des Bezirksgerichts Halle. Bereits am zweiten Verhandlungstag spricht der Vorsitzende Richter Saebetzki das Urteil: „Der Angeklagte Kramer wird wegen Mordes gemäß Paragraph 211 Strafgesetzbuch zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.“

      „Aus dem gierigen Verlangen, seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen, ist er über das ahnungslose, vertrauensselige achtjährige Kind hergefallen“, sagt Saebetzki in der Urteilsbegründung. Der Entschluss des Täters sei darauf gerichtet gewesen, ganz gleich mit welchen Folgen, mit dem Kind den Geschlechtsverkehr auszuführen.

      „Charakteristisch für seine Einstellung in sexuellen Fragen und in seiner Einstellung zur Frau ist seine Äußerung, dass er ein zehn- bis zwölfjähriges Schulmädchen durchaus für einen Geschlechtsverkehr geeignet hält.“

      Dann wendet sich der Richter dem Strafmaß zu. „Nach Paragraph 211 Strafgesetzbuch wird ein Mörder mit dem Tode bestraft. Es sind jedoch Verbrechen denkbar, die von noch größerer Gesellschaftsgefährlichkeit sind, zum Beispiel, wenn durch das Verbrechen mehrere Menschen vorsätzlich getötet wurden oder sich diese Tat gegen den Bestand unseres Arbeiter- und Bauernstaates in starkem Maße richtet.“ Der vorliegende Fall trage jedoch keines dieser Merkmale. Es könne deshalb nach Absatz 3 des Paragraphen 211 von der Anwendung der Todesstrafe „Abstand genommen werden“. Die verabscheuungswürdige 31Tat des Angeklagten mache es jedoch erforderlich, ihn „für die Dauer seines Lebens von der Gesellschaft zu isolieren“.

      Rechtsanwalt Dr. Heine geht in Berufung. Der Jurist möchte,