Übergewicht und Krebs. Prof. Dr. Hermann Delbrück. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Prof. Dr. Hermann Delbrück
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Personalisierte Krebsvorsorge und Früherkennung
Жанр произведения: Секс и семейная психология
Год издания: 0
isbn: 9783347138193
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Einige Virusforscher – so der Nobelpreisträger Harald zur Hausen – vermuten als Ursache, dass sich im roten Fleisch – speziell im Rindfleisch – virusähnliche Erreger (BMMF) befinden, die das Krebswachstum fördern.

      • Konsumiert man viel Fleisch und zuckerhaltige Produkte, so kommt es zu einer Störung der Darmflora (Dysbiose), die die Entstehung sowohl von Übergewicht als auch Darmkrebs fördern soll (Stallmach et al 2017). Im Mausmodell soll ein Missverhältnis von Bacteroides mit anderen Darmbakterien zu Tumoren im Dickdarm führen (Thomas et al 2019). Für den Zusammenhang mit einer gestörten Darmflora spricht die Beobachtung, dass das Erkrankungsrisiko, nach längerer Einnahme von anaerob wirkenden Antibiotika, im oberen Dickdarmabschnitt, nicht aber im Enddarmbereich, erhöht ist.

      • Man geht davon aus, dass bei Übergewicht – speziell bei ausgeprägtem Bauchfett – Hormone und Entzündungsfaktoren produziert werden, die die Zellbildung im Darm anregen (Siegel et al 2010, Kim et al 2009, Halle und Schoenberg 2009).

      • Es ist bekannt, dass Darmpolypen bei ausgeprägtem Bauchfett häufiger entstehen. Schuld daran sollen im Bauchfett gebildete Entzündungsfaktoren sein. Dies könnte der Grund sein, weswegen Entzündungshemmer, wie Aspirin, das Wachstum von Cox-2-positiven Tumoren hemmen (Schlesinger al 2017). Dass übergewichtige Männer häufiger als Frauen an Darmkrebs erkranken, könnte im Zusammenhang mit dem beim männlichen Geschlecht häufiger ausgeprägten Bauchfett stehen.

      • Insulin und Insulin-ähnliche Wachstumsfaktoren fördern das Zellwachstum. Ein hoher Glykämischer Index – also eine zur Hyperinsulinämie führende Ernährung – gilt als Risikofaktor für eine Wiedererkrankung (Morales-Oyarvide et al 2019).

      • Bestimmte molekulare Subtypen von Darmkrebs (CTNNB1-negative Tumore, KRAS- oder BRAF-Wildtypen) sind bei Übergewicht besonders häufig (Morikawa et al 2013).

      • Glukose-Fruktose-Mischungen verstärken im Mausversuch das Tumorwachstum im Dickdarm, nicht aber im Enddarm (Goncalves et al 2019, Aleksandrova et al 2017, Johnson et al 2019).

      • Eine fettreiche Ernährung hemmt die körpereigene Krebsabwehr. Es kommt zu einer veränderten Aktivität natürlicher Killerzellen.

      • Einige Forscher vermuten, dass Übergewicht und körperliche Inaktivität unabhängige Risikofaktoren sind. Zum Beweis führen sie die Sumo-Ringer an, die trotz erheblichem Übergewicht angeblich nicht stärker krebsgefährdet sind, weil sie körperlich aktiv bleiben. Überhaupt besteht der Eindruck, dass Übergewichtige, die regelmäßig körperlich aktiv sind, kein erhöhtes Darmkrebsrisiko haben (Lee et al. 1992). Bekannt ist auch, dass adipöse Frauen nur dann ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben, wenn sie körperlich inaktiv sind.

      • Die meisten Lebensmittel, die zu einer Gewichtszunahme führen, wirken sich im Darm entzündungsfördernd (proinflammatorisch) aus und bewirken einen chronischen Reiz auf die Darmschleimhaut. Sie sollen das Krebsrisiko bei Männern um 44 % und bei Frauen um bis zu 22 % (relativ) erhöhen (Tabung et al 2018).

      • Beobachtungsstudien zeigen einen gewissen präventiven, jedoch statistisch nicht signifikanten, Effekt des Grüntee-Inhaltsstoffes EGCD hinsichtlich der Adenom-Bildung.

      Kommentar und Empfehlungen: Bekannt sind mehrere krebsfördernde Gensyndrome. Zusätzlich zu dem sehr häufigen Lynch-Syndrom (HNPCC =1/279) und der familiären Adeno Polyposis (FAP) kann man bei vielen Menschen hunderte winzige Genvariationen feststellen (SNPs). Ob sie in direktem oder indirektem Zusammenhang mit einem Krebsrisiko stehen, ist umstritten (Weigl et al 2019). Sicherlich bedarf es zusätzlicher Promotoren, damit sie aktiv werden. Zu ihnen gehören Lifestylefaktoren wie Übergewicht. Unterstützt wird die Hypothese von der Bedeutung der Lifestylefaktoren durch die Beobachtung, dass bei Halbgeschwistern von Darmkrebspatienten das Risiko, selbst zu erkranken, ebenso erhöht ist, wie bei „echten“ Geschwistern.

       Versicherte zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr haben Anspruch auf einen einmaligen Gesundheitstest (Check Up 35). Dieser schließt auch eine Beratung mit ein. Jugendliche Übergewichtige sollten bei dieser Präventionsberatung auf ihre höhere Krebsgefährdung und die Relevanz von Krebsvorsorge-Untersuchungen hingewiesen werden. Schließlich sind sie weit häufiger als allgemein angenommen von Darmpolypen betroffen (Giovannucci et al 1997, Brown et al 2009). Sie zählen zu den Risikopersonen – ebenso wie Menschen mit Lynch-Syndrom oder familiärer Adenopolyposis, –, die eine Vorsorge-Darmspiegelung vorzeitig durchführen lassen müssen.

       Interessant und schwer erklärbar ist der krebsschützende Effekt einer Hormonersatztherapie bei Frauen nach den Wechseljahren. Bei anderen Organen erhöht eine Hormonersatztherapie nämlich umgekehrt eher das Erkrankungsrisiko.

       Laien zählen häufig auch den Afterkrebs (Analkarzinom) zu den Darmkrebserkrankungen, obwohl sich Gewebeaufbau, Ursachen, Verlauf und Therapie deutlich unterscheiden. Die letzten Jahre haben weltweit eine dramatische Zunahme von Afterkrebs mit sich gebracht. Hauptursache sind Infektionen mit dem HP-Virus beim Analverkehr. Impfungen gegen HPV-Übertragungen beugen den Infektionen vor.

      Schutzmaßnahmen zur Reduzierung des Darmkrebsrisikos

      • Gewichtabnahme bei Übergewicht. Bariatrische Operationen führen zu einer signifikanten Gewichtsabnahme und einer Reduzierung des Darmkrebsrisikos (Bailly et al 2020) (wahrscheinlich)

      • Dickdarmentfernung bei erblich bedingtem Darmkrebsrisiko (z. B. bei FAP)(gesichert)

      • Verminderung des Anteils tierischer Fette in der täglichen Ernährung (sehr wahrscheinlich)

      • Nur mäßiger Verzehr von rotem Fleisch (vermutet)

      • Stärkung der unspezifischen Immunabwehr (nicht gesichert)

      • Chemoprophylaxe (z. B. mit AspirinR) (gesichert)

      • Chirurgische und/oder endoskopische Polypenentfernung (gesichert)

      • Behandlung von Begleiterkrankungen (z. B. einer Colitis ulcerosa) (gesichert)

      • Regelmäßige Darmspiegelungen und Entfernung von Krebsvorstufen (gesichert)

      • Nicht rauchen (wahrscheinlich)

      • Körperliche (sportliche) Aktivität. (gesichert).

      • Verbesserung der Vitamin-D-Aufnahme (wahrscheinlich)

      • Mediterrane Kost (wahrscheinlich)

      • Hoher Anteil an Gemüse und Obst bei der Ernährung (wahrscheinlich)

      • Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine (nicht gesichert)

      • Reduzierung des Alkoholkonsums (gesichert)

      • Therapie eines Typ-2-Diabetes (gesichert)

      • Geringe und gezielte Strahlenbelastung bei Prostata- und Enddarmkrebs (wahrscheinlich)

      • Stabilisierung der Colitis-ulcerosa-Aktivität (gesichert)

      Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Je mehr Risiken man hat, desto größer ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit – und umso notwendiger sind die Vorbeugung und Krebs-Früherkennungs-Untersuchungen.

       Die Tatsache, dass die Anzahl der Patienten mit aggressivem Darmkrebs in Deutschland seit Jahren kontinuierlich sinkt, ist dem Screening mit Stuhlbluttests, besonders aber der Vorsorgespiegelung – mit gleichzeitiger Entfernung von Krebsvorstufen – zu verdanken. Die Darmspiegelung und die prophylaktische Polypenentfernung ist eindeutig die beste Krebsvorsorge/Früherkennungs/Maßnahme. Bei einer noch häufigeren und frühzeitigeren Inanspruchnahme würde die Erkrankungs- und Sterberate voraussichtlich weiter sinken.

       Schätzungen ergaben, dass Männer mit einem mittleren genetischen Risiko und einem durchschnittlichen Lebensstil, die keine Darmspiegelung wahrnehmen, ein 30-Jahres-Risiko für Darmkrebs von 7,4 Prozent haben. Anders ausgedrückt: Von hundert Männern mit diesem Risikoprofil werden sieben bis acht innerhalb der nächsten 30 Jahre an Darmkrebs erkranken. Bei Männern mit vergleichbarem genetischem Hintergrund, die jedoch gesünder lebten und eine Darmspiegelung wahrnehmen,