Fürchte die Dunkelheit. Peter Gerdes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Gerdes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839264829
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seine gewöhnlich ansteckende Wirkung. Sie wandte sich Stahnke zu: »Frau Haak ist wieder wach, macht aber immer noch einen ziemlich verstörten Eindruck, sagt das Krankenhaus. Sollen wir trotzdem?«

      »Sollen wir was?« Stahnke tat sich schwer mit dem Umschalten. »Ach ja, die junge Frau.«

      »Genau, Marion Haak, siebenundzwanzig Jahre alt, zahntechnische Laborantin, wohnt hier in Leer. Ordnungsgemäß gemeldet, sauberes Führungszeugnis.« KK Rosenbohm hatte ihre Hausaufgaben gemacht, sehr ordentlich, wie nicht anders zu erwarten.

      »Nein«, entschied Stahnke. »Das machen wir später, lassen wir Frau Haak noch etwas ausruhen. Kramer, wir beide fahren raus nach Veenhusen, und Sie, Frau Rosenbohm, kümmern sich inzwischen um den toten Alki. Der Name muss doch rauszukriegen sein.«

      »Ist gut«, sagte die Kommissarin. Kramer nickte nur. Manninga und Stahnke erhoben sich.

      3.

      Wie ist es nur möglich, überlegte Stahnke, während er den Plattenweg abschritt, der rund um das Haus der Familie Frerichs führte. Da wohnt einer auf dem Land, nicht einmal im Dorf, sondern auch noch ganz am Rand, mitten in der Einöde, und was ist? Mehr Lärm als in der Großstadt. Während der wenigen Minuten seines Aufenthalts waren schon drei Sandlaster mit Hänger die Betonstraße entlanggerumpelt, die dicht an Frerichs’ Haus vorbei zu den Kiesgruben führte, zwei Züge waren auf der Strecke jenseits der benachbarten Felder unüberhörbar vorbeigerauscht, der eine Richtung Emden, der andere nach Leer, und jetzt dröhnte auch noch ein Propellerflugzeug über ihn hinweg, offenbar im Anflug auf den Flugplatz Nüttermoor. Vom beständigen, gleichförmigen Donnern des Verkehrs auf der Bundesstraße, hin und wieder zersägt vom Kreischen eines Zweitaktmotorrads, ganz zu schweigen. Was hier wohl erst im Herbst los war, zur Mäh- und Erntezeit? Schwärme von Fliegen ließen vermuten, dass auf den Feldern, an die das Grundstück grenzte, mit Gülle nicht gespart wurde. Oh nein, dachte Stahnke, dann schon lieber die Leeraner Altstadt mit all ihren lauten Festen, knatternden Teenie-Rollern und grölenden Betrunkenen.

      Wie wohl das Ehepaar Frerichs, beide Ende vierzig und kinderlos, hier draußen seine Abende verbracht hatte? Gemeinsam saufend vor dem Fernseher? Eher nicht, schließlich wurden beide in mehreren Vereinen als Mitglieder geführt, nicht nur bei den Jägern und Schützen. Das hieß dann wohl öffentliches Trinken in trauter Gemeinschaft.

      »Wo hat sie denn gelegen?«, fragte Stahnke, als er die Umrundung des Hauses abgeschlossen hatte und wieder an der großen überdachten Terrasse angekommen war.

      »Dort«, sagte Kramer und zeigte auf eine schmale Tür, die offenbar in die Küche führte. »Sie muss von hier gekommen sein, denn an ihren Arbeitsschuhen war Gartenerde, im ganzen Haus aber nicht. Sie war wohl bei der Gartenarbeit und wollte schnell einen Schluck Tee trinken.«

      »Worüber ihr Mann so erzürnt war, dass er sie unverzüglich erschoss«, ergänzte Stahnke. »Kramer, Kramer, wohin soll das noch führen mit Ihren vorschnellen Schlüssen.« Aus den Augenwinkeln heraus versuchte er auszumachen, ob seine Ironie Wirkung zeigte.

      Der Oberkommissar reagierte nicht.

      Wenn er jetzt doch lachen würde, dachte Stahnke. Oder sich verteidigen oder mich wüst beschimpfen, denn wenn hier einer zu vorschnellen Schlüssen neigt, dann ist das ganz gewiss nicht er. Aber nein, er sagt gar nichts, und jetzt stehe ich wieder da mit meiner blöden Bemerkung und meinem schlechten Gewissen. Warum macht er das bloß immer mit mir? Und warum kann ich denn nicht endlich mal die Schnauze halten, wenn mir so etwas in den Sinn kommt? Einen besseren Kollegen als Kramer könnte ich mir nicht wünschen, ein loyaleren auch nicht. Mehr als einmal hätte er mich schon in die Pfanne hauen können. Dann säße er vielleicht schon auf meinem Pos­ten. Also warum zum Teufel muss ich ihn andauernd pieken?

      Maike Rosenbohm fiel ihm ein. Die hätte ihm Contra gegeben. So eine lässt sich nichts gefallen. Astreine Polizistin. Tolle Frau. Die würde ihren Weg machen.

      Und wohin würde der sie führen? Zügig zum Hauptkommissar? Und auf seinen Posten?

      Na, und wenn schon. Bis dahin war er sowieso schon pensioniert.

      »Wo hat sie denn gegärtnert, die Frau Frerichs?«, fragte er. Suchend blickte er sich um; der Garten war groß, selbst für ländliche Verhältnisse, und durch mehrere hohe Hecken unterteilt. Vermutlich des Windes wegen, der hier ziemlich heftig übers platte Land wehte. Recht unübersichtliche Gartenanlage, fast schon ein grünes Labyrinth.

      »Es gibt mehrere Stellen, an denen kürzlich gegraben wurde. Dort hinten unter den Rosenbüschen, rund um das Stallgebäude und dann noch vorne zwischen Rasen und Entwässerungsgraben.« Ja, das war Kramer: Korrekt, gründlich, unerschüttert. Tröstlich. Und zum Verzweifeln.

      Den Stall mit seinen Klinkermauern und dem Satteldach hatte Stahnke erst für ein Nachbarhaus gehalten. Innen waren noch Schweinekoben und Rinderboxen erkennbar, Nutztiere aber wurden hier offensichtlich schon lange nicht mehr gehalten. Alles war sauber gestrichen, und an den Wänden waren Gartengeräte, Holzstapel, Plastikplanen und verschiedene Werkzeuge ordentlich aufgereiht. Frerichs arbeitete seit Jahren im Emder Volkswagenwerk, so wie viele andere Männer auch, die früher in der Landwirtschaft tätig gewesen waren.

      Einige der Gartengeräte wiesen noch Spuren anhaftender Erde auf. Der Boden hier schien schwer zu sein, offenbar lehmhaltige Kleierde, obwohl Leer doch auf einem sandigen Geestrücken lag. Entweder verlief hier irgendwo die Grenze zum Marschland, oder aber der Kleiboden war nachträglich aufgebracht worden. Die meisten Erdspuren waren trocken und krümelig, nur die auf einem Spaten und einer Schaufel waren noch klebrig und hinterließen Schmierspuren an den Fingern des Hauptkommissars. Kleiboden trocknete eben selbst bei sommerlicher Hitze nur oberflächlich aus.

      »Waren dies die Geräte, mit denen Frau Frerichs gestern gearbeitet hat?«, fragte Stahnke.

      »Anzunehmen«, antwortete Kramer. »Draußen liegen jedenfalls keine mehr rum.«

      »Also hat die Frau ihre Sachen ordentlich weggestellt. Demnach wollte sie die Gartenarbeit wohl für diesen Tag beenden.«

      »Ja, sieht so aus.«

      »Aber ihre Schuhe hat sie nicht ausgezogen«, sagte Stahnke. »Und auch nicht saubergemacht, richtig? So wie sie war, mit dicken Erdklumpen an den Sohlen, ist sie ins Haus gelaufen. Können Sie sich das von einer ostfriesischen Hausfrau vorstellen?«

      Stumm schüttelte Kramer den Kopf.

      Seite an Seite gingen die beiden Männer zurück zur überdachten Terrasse. Neben der Fußmatte, ordentlich ausgerichtet, stand dort ein Paar Slipper, Damenhausschuhe, eindeutig. Erdklümpchen auf der anderen Seite der Matte wiesen den Platz aus, wo die Arbeitsschuhe gewöhnlich abgestreift wurden. Das war gestern unterblieben. Warum?

      »Vielleicht hat das Telefon geklingelt«, sagte Kramer.

      »Möglich«, sagte Stahnke. »Das ließe sich sogar nachprüfen, die Tatzeit haben wir ja so ungefähr.« Aber wirklich überzeugt kam er sich selber nicht vor.

      Behutsam den Trittsteinen folgend, schlenderte er zwischen den Rabatten entlang. Rosenbüsche, alle gleich hoch, alle blühend, allesamt rot. Dazwischen nackte graue Erde. Eintönig. Aber ordentlich, wie manche es mochten. Er nicht. Er liebte Gärten, wo die Stauden so wild und bunt und dicht neben- und durcheinander standen, dass sie sich gegenseitig in die Höhe und zu immer mehr Pracht trieben. Solch einen Garten würde Stahnke natürlich niemals im Griff behalten, das wuss­te er genau. Binnen weniger Monate würde daraus eine grüne Hölle entstehen. Deshalb war sein eigenes Gartenfleckchen eher kahl, genau genommen eine Mooswiese mit einem Baumstumpf in der Mitte. Ideal, um bei Sonne drauf zu sitzen und zu lesen. Trotzdem liebte er prallvolle Wuchergärten. Für ihn war das kein Widerspruch. Lieben hieß ja nicht unbedingt gleich besitzen wollen.

      Dort war der Entwässerungsgraben, und hier, ebenfalls von mannshohen Buchsbaumhecken umsäumt, die dritte Stelle, an der Frau Frerichs geackert hatte, ein Rasenstück mit fast kahlen Blumenbeeten an zwei Seiten. Die Spuren ihrer Arbeit waren noch zu erkennen, auch wenn der Boden sorgfältig geglättet worden und die Erde inzwischen getrocknet war, so dass sie sich vom Boden rechts