Doch 678 wagte die byzantinische Flotte einen entscheidenden Ausfall. Gegen Ende der jährlichen Kampfsaison griff sie die muslimischen Schiffe an, wahrscheinlich in deren Stützpunkt in Kyzikos – die Einzelheiten sind entweder unklar oder wurden absichtlich unterdrückt – und schickte dabei ein Geschwader schneller Dromones ins Gefecht, leichte, wendige Kriegsschiffe, die mit mehr als 200 Ruderern besetzt waren. Es gibt keine zeitgenössischen Berichte, doch der Ablauf des Gefechts lässt sich aus späteren Darstellungen rekonstruieren. Als die angreifenden Schiffe nahe an ihre Gegner herangekommen waren, schleuderten sie nach dem üblichen Pfeilhagel mithilfe von Katapulten, die am Bug montiert waren, einen Strom flüssigen Feuers gegen sie. Feuerfetzen legten sich auf das Wasser zwischen den dicht zusammengedrängten Schiffen, sprangen auf die feindlichen Schiffe über, stürzten auf sie herab und fuhren »wie ein Feuerstrahl mitten durch sie hindurch«.5 Die Explosionen des Feuers wurden vom donnerartigem Getöse begleitet; Rauch verdunkelte den Himmel, und Dampf und Gas erstickten die verängstigten Seeleute auf den arabischen Kriegsschiffen. Der Feuersturm schien die Gesetze der Natur auf den Kopf zu stellen: Er konnte vom Angreifer zur Seite oder nach unten und in jede beliebige Richtung gelenkt werden; wo er die Oberfläche des Meeres berührte, entzündete sich das Wasser. Er besaß anscheinend auch eine klebende Eigenschaft, er haftete an den hölzernen Schiffsrümpfen und Masten und ließ sich nicht mehr ablösen, sodass die Schiffe und ihre Besatzung schnell von einem auflodernden Feuerschwall verschlungen wurden, der wie der Ausbruch eines zornigen Gottes erschien. In diesem unerhörten Inferno »verbrannten die Schiffe der Araber und ihre Besatzungen bei lebendigem Leibe«.6 Die Flotte wurde vernichtet, die traumatisierten Überlebenden hoben die Belagerung auf und segelten nach Hause, »nachdem sie viele Kämpfer verloren und großen Schaden erlitten hatten«.7 In einem Wintersturm gingen die meisten der verbliebenen arabischen Schiffe unter, während die arabische Armee auf dem asiatischen Ufer in einen Hinterhalt geriet und aufgerieben wurde. Entmutigt erklärte sich Muawijja 679 zu einem dreißigjährigen Friedensvertrag zu sehr ungünstigen Bedingungen bereit und starb im folgenden Jahr als gebrochener Mann. Zum ersten Mal hatten die Muslime einen größeren Rückschlag erlitten.
Die Chronisten betrachteten dieses Ereignis als Beweis dafür, dass sich das Rhomäer-Reich »Gottes Beistand«8 erfreue, doch in Wirklichkeit war es durch eine neuartige Technik gerettet worden: die Erfindung des so genannten griechischen Feuers. Die Geschichte dieser außergewöhnlichen Waffe ist bis heute umstritten – die Formel wurde von den Byzantinern als Staatsgeheimnis gehütet. Vermutlich kam ungefähr zur Zeit der Belagerung ein griechischer Flüchtling namens Kallinikos aus Syrien nach Konstantinopel und brachte eine Technik mit, die darin bestand, flüssiges Feuer mittels Druckspritzen abzuschießen. Dabei stützte er sich wahrscheinlich auf andere Methoden des Einsatzes von Feuer zu Kriegszwecken, die im Nahen Osten bereits weit verbreitet waren. Hauptbestandteil der Mischung war mit großer Wahrscheinlichkeit Erdöl aus natürlichen oberirdischen Quellen am Schwarzen Meer, das mit zerstoßenem Harz vermischt wurde, was ihm eine haftende Eigenschaft verlieh. In den geheimen Militärarsenalen der Stadt wurden während der Belagerung vermutlich die Katapulte für dieses Material verbessert. Die Byzantiner, die die technischen Errungenschaften des Römischen Reiches weiter gepflegt hatten, entwickelten eine Technik, die es ermöglichte, die Mixtur in verschlossenen Bronzebehältern zu erhitzen, sie mittels einer Handpumpe zu komprimieren und dann durch ein Rohr abzufeuern, in dem die Flüssigkeit durch einen Brandsatz entzündet wurde. Um auf einem hölzernen Schiff mit entflammbarem Material, Druck und Feuer sicher umzugehen, bedurfte es hoch qualifizierter Leute, und darin bestand das eigentliche Geheimnis des griechischen Feuers, das 678 die Kampfmoral der Araber brach.
Vierzig Jahre lang ärgerte die Omajjaden-Dynastie in Damaskus der Rückschlag bei Konstantinopel. Für die islamischen Theologen blieb es unverständlich, dass sich die Menschheit nicht beizeiten dazu bereit gefunden hatte, den Islam anzunehmen oder sich der muslimischen Herrschaft zu unterwerfen. Im Jahr 717 wurde ein zweiter, noch entschlossener Versuch unternommen, das Bollwerk zu erstürmen, das einer Ausbreitung des Glaubens nach Europa im Wege stand. Der Angriff der Araber erfolgte zu einer Zeit, als das Byzantinische Reich in Bedrängnis war. Am 25. März 717 war mit Leo II. ein neuer Kaiser gekrönt worden; fünf Monate später sah dieser sich einer Streitmacht von 80.000 Mann gegenüber, die sich entlang der Landmauer eingegraben hatte, und einer Flotte von 1800 Schiffen, die die Meerenge unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Die Araber hatten aus der vorangegangenen Belagerung gelernt und ihre Strategie verbessert. Der muslimische General Maslama hatte schnell erkannt, dass man den Mauern der Stadt mit herkömmlichen Belagerungsmaschinen nicht beikommen konnte; folglich sollte diesmal eine totale Blockade verhängt werden, um die Stadt auszuhungern. Dass es ihm mit seiner Absicht ernst war, unterstrich die Tatsache, dass seine Armee Weizensamen mitbrachte. Im Herbst 717 pflügten die Araber den Boden vor den Stadtmauern um und legten Weizenfelder an, die sie im nächsten Sommer abernten wollten, um sich Nahrung zu verschaffen. Dann richteten sie sich häuslich ein und warteten. Ein Vorstoß griechischer Feuerschiffe hatte einen gewissen Erfolg, konnte den Belagerungsring aber nicht sprengen. Alles war überaus sorgfältig geplant worden, um die Ungläubigen in die Knie zu zwingen.
Am Ende jedoch erwartete die Araber eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes, die unerbittlich über sie hereinbrach. Nach Darstellung ihrer eigenen Chronisten gelang es Leo, seine Feinde durch ein raffiniertes diplomatisches Doppelspiel zu täuschen, das selbst nach den Maßstäben der Byzantiner wahrhaft bewunderungswürdig war. Er ließ Maslama ausrichten, dass die Stadt zur Kapitulation bereit sei, wenn die Araber ihre Lager mit Nahrungsvorräten zerstörten und den Verteidigern Getreide zukommen ließen. Nachdem dies geschehen war, verschanzte sich Leo hinter den Mauern und verweigerte weitere Verhandlungen. Dann brach über die getäuschte arabische Armee ein strenger Winter herein, auf den sie nicht vorbereitet war. Der Boden war hundert Tage lang von Schnee bedeckt; viele Kamele und Pferde erfroren. Den Soldaten, die zunehmend von Verzweiflung erfasst wurden, blieb nichts anders übrig, als die Kadaver zu essen. Die griechischen Chronisten, die nicht gerade für ihre Objektivität bekannt waren, berichteten von noch schauderhafteren Dingen. »Einige berichten«, schrieb Theophanes der Bekenner hundert Jahre später, »dass sie auch Leichen, ja sogar ihre eigenen Exkremente in den Backofen warfen, einpökelten und verzehrten.«9 Dem Hunger folgten Krankheiten; Tausende Soldaten erfroren. Die Araber hatten keine Erfahrung mit den strengen Wintern am Bosporus: Der Boden war zu hart, um Tote zu beerdigen; Hunderte Leichen mussten ins Meer geworfen werden.
Im folgenden Frühjahr erschien eine große arabische Flotte mit Nachschub und Material, um der bedrängten Armee zu Hilfe zu kommen, aber auch sie konnte das Blatt nicht wenden. Da sie vor dem gefährlichen griechischen Feuer gewarnt worden waren, entluden und versteckten die Araber ihre Schiffe an der asiatischen Küste. Doch dann liefen einige Besatzungsmitglieder, die ägyptische Christen waren, zum Kaiser über und verrieten den Byzantinern die Position der Schiffe. Eine Gruppe von Feuerschiffen fiel über die unvorbereiteten arabischen Schiffe her und vernichtete sie. Eine zur selben Zeit von Syrien aus in Marsch gesetzte Truppe geriet in einen Hinterhalt und wurde von der byzantinischen Infanterie aufgerieben. Unterdessen hatte sich der unbeugsame und listenreiche Leo mit den nichtchristlichen Bulgaren verständigt. Er brachte sie dazu, die Ungläubigen vor den Mauern anzugreifen; in der folgenden Schlacht wurden 22.000 Araber getötet. Am 15. August 718, fast ein Jahr nach ihrer Ankunft, hoben die Armeen des Kalifen die Belagerung auf und zogen sich über das Land und das Meer zurück. Während sich die abziehenden Soldaten im anatolischen Hochland wiederholter Angriffe erwehren mussten, hatten die Muslime noch weitere Rückschläge zu verkraften. Im Marmarameer gingen mehrere Schiffe bei Stürmen unter; die übrigen wurden durch einen unterseeischen Vulkanausbruch in der Ägäis vernichtet, der so heftig war, »dass das Meerwasser zu brodeln begann und das Pech, mit dem die Schiffe gedichtet waren, erweichte, sodass alle Schiffe samt Besatzungen in der Tiefe versanken«.10 Von der gewaltigen Flotte, die dereinst ausgelaufen war, kehrten nur fünf Schiffe nach Syrien zurück, »um die Macht Gottes zu verkünden«.11 Byzanz hatte unter dem Ansturm des Islam gewankt, war aber nicht gefallen. Konstantinopel hatte überlebt mittels einer Verbindung aus technischer Innovation, diplomatischem Geschick, individueller Meisterleistungen, massiver Befestigungsanlagen – und nicht zuletzt auch Glück. Die Byzantiner hatten dafür jedoch erwartungsgemäß