Im Februar 1451 bezog Mehmet den Königspalast in Edirne. Seine erste Handlung war überraschend und von entscheidender Bedeutung. Murat hatte einen kleinen Sohn hinterlassen, der von einer anderen Ehefrau stammte: Ahmed. Einige Tage nach Murats Tod, als sich die Mutter in den Thronsaal begeben hatte, um Mehmet ihr Beileid zu bekunden, schickte dieser einen Höfling namens Ali Bey in die Gemächer der Frau und ließ Ahmed im Bad ertränken. Am folgenden Tag ließ er Ali Bey wegen dieser Tat hinrichten, dann verheiratete er die gebrochene Mutter mit einem seiner adeligen Gefolgsleute. Es war eine ebenso skrupellose wie intelligente Tat, durch die der Machtkampf am osmanischen Hof zu seinem logischen Ende geführt wurde: Nur einer konnte herrschen, und um die Gefahr eines Bürgerkriegs zu bannen, durfte nur einer überleben – den Osmanen erschien dies vernünftiger als die endlosen Rivalitäten, unter denen Byzanz ausblutete. Mit einem Handstreich hatte Mehmet ein Modell für die osmanische Thronfolge geschaffen, das er später als Gesetz des Brudermords verankerte: »Welcher meiner Söhne auch immer den Sultansthron erbt, es geziemt sich für ihn, seinen Bruder zu töten im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung der Welt. Die meisten Rechtsgelehrten haben dieses Verfahren gebilligt. Handeln wir also ebenso.«15 Fortan sollte daher jeder Thronbesteigung mit schrecklicher Gewissheit eine Hinrichtung folgen. Dieser Brauch führte 1595 unter dem Sultanat von Mehmet III. zu einem wahren Exzess, als 19 Särge mit den Leichen seiner Brüder aus dem Palast getragen wurden. Doch auch das Brudermord-Gesetz konnte den Ausbruch von Bürgerkriegen nicht verhindern: Es begünstigte vielmehr vorbeugende Rebellionen von Söhnen, die um ihr Leben fürchteten, eine Folge, die auch Mehmet selbst zu spüren bekommen sollte. In Konstantinopel hätte man aus den Umständen des Todes des kleinen Ahmet Rückschlüsse ziehen können auf Mehmets Charakter. Aber offenbar wurde dies versäumt.
Siehe, der Bosporus schließt mit einem goldenen Schlüssel und öffnet/Schließt und öffnet zugleich Meere und Weltteile zween.
Pierre Gilles, französischer Gelehrter aus dem 16. Jahrhundert1
Überall im Abendland wurde der Tod Murats mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. In Venedig, Rom, Genua und Paris machte man sich nur allzu gern eine Ansicht zu eigen, die der Italiener Francesco Filelfo einen Monat später in einem Brief an den französischen König Karl zum Ausdruck brachte, wonach der junge Mehmet ein unerfahrener und einfältiger Mann sei. Weniger aufnahmebereit war man gegenüber seiner Schlussfolgerung, dass es nun an der Zeit sei, durch einen großangelegten Feldzug die Osmanen, »eine Horde käuflicher, verkommener Sklaven«,2 ein für allemal aus Europa zu vertreiben. Die Lust auf einen weiteren Kreuzzug war durch das blutige Debakel bei Varna 1444 nachhaltig gedämpft worden, und die europäischen Potentaten freuten sich darüber, dass nun der unerfahrene und bislang eher glücklose Mehmet den osmanischen Thron bestieg.
Doch jene, die den Großen Türken näher kannten, wussten es besser. Georgios Sphrantzes, der höchst angesehene Botschafter Konstantins, befand sich auf seiner Reise vom König von Georgien zum Kaiser von Trapezunt gerade auf dem Schwarzen Meer, als Murat starb. Sphrantzes war in vielfältige diplomatische Aktivitäten eingebunden, die darauf zielten, für den verwitweten Konstantin eine standesgemäße Braut zu finden, um seine missliche Lage zu verbessern, ihm die Gelegenheit zu verschaffen, einen Thronerben zu zeugen und seine Schatzkammer mit einer stattlichen Mitgift zu füllen. In Trapezunt empfing ihn Kaiser Johannes Komnenos sehr herzlich mit den Worten: »Herr Gesandter, ich habe Euch eine freudige Nachricht mitzuteilen, nur müsst Ihr mir dafür ein schönes Botengeschenk machen.« Sphrantzes reagierte bestürzt, als ihm der Kaiser den Tod des Sultans mitteilte: »Als ich dies hörte, verstummte ich und empfand einen solchen Schmerz, wie wenn ich den Tod eines meiner liebsten Angehörigen erfahren hätte. Dann sagte ich, niedergeschlagen: ›Majestät, das ist keine angenehme Nachricht, sondern eine höchst schmerzliche.‹« Sphrantzes berichtete dem Kaiser, was er über Mehmet wusste – dass er »von Kindheit an ein Feind der Christen« gewesen sei und darauf brenne, Konstantinopel zu erobern. Und Konstantin habe so wenig Finanzmittel, dass er dringend eine Zeit des Friedens und der Stabilität brauche, um die Kassen der Stadt wieder zu füllen.3
Aus Konstantinopel wurden eilends Abgesandte nach Edirne geschickt, um dem jungen Sultan die Ehre zu erweisen und sich rückzuversichern. Sie waren angenehm überrascht über den Empfang, der ihnen bereitet wurde. Mehmet zeigte sich vernünftig und zugänglich. Es heißt, er habe beim Propheten, dem Koran und den Engeln und Erzengeln geschworen, dass er »sich dem Frieden mit der Stadt und dem christlichen Kaiser verpflichtet fühle, solange er lebe«.4 Er versprach den Byzantinern sogar eine jährliche Zahlung aus den Steuereinnahmen einiger griechischer Städte im Struma-Tal, die eigentlich für Prinz Orhan bestimmt waren, den osmanischen Thronanwärter. Das Geld sollte für den Unterhalt Orhans verwendet werden, solange er in der Stadt festgehalten wurde.
Den zahlreichen weiteren Gesandten wurden ähnliche Zusicherungen gegeben. Im September erneuerten die Venezianer, die Handelsinteressen in Edirne hatten, ihren Friedensvertrag mit Mehmet, während der serbische Despot Georg Brankovi durch die Rückkehr seiner Tochter besänftigt wurde, die mit Murat vermählt gewesen war, sowie durch die Rückgabe einiger Städte. Dafür verlangte Mehmet von Georg, ihn bei Verhandlungen mit den Ungarn zu unterstützen, die unter ihrem brillanten Führer, dem Regenten Johann Hunyadi, für die Osmanen die größte Gefahr aus dem christlichen Europa darstellten. Da Hunyadi zu Hause ebenfalls Aufsässige niederschlagen musste, willigte er in einen dreijährigen Friedensvertrag ein. Auch Gesandte von den Genuesen in Galata, von den Fürsten von Chios, Lesbos und Rhodos, aus Trapezunt, der Wallachei und Dubrovnik erreichten ähnliche Friedensgarantien zu annehmbaren Bedingungen. Im Herbst 1451 war man im Westen allgemein der Auffassung, dass Mehmet fest unter der Kuratel des friedliebenden Großwesirs Halil Pascha stehe und für niemanden eine Bedrohung darstelle – und anscheinend ließen sich auch in Konstantinopel viele Leute, die weniger wachsam oder erfahren waren als Sphrantzes, in Sicherheit wiegen. Die Könige und Potentaten der christlichen Welt wollten nur zu gern glauben, dass keine Gefahr drohe. Mehmet jedoch durchdachte sorgfältig, was er tat.
Die Christen waren nicht die Einzigen, die Mehmets Willensstärke unterschätzten. Im Herbst 1451 versuchte der aufmüpfige Bey von Karaman abermals, den Osmanen einige Gebiete in Westanatolien zu entreißen. Er eroberte Festungen, setzte ehemalige Stammesführer wieder ein und stieß auf osmanisches Territorium vor. Mehmet schickte seine Generäle, um den Aufstand niederzuschlagen, und erschien auch selbst am Ort des Geschehens, nachdem er in Edirne die Friedensverträge unter Dach und Fach gebracht hatte. Die Revolte wurde rasch niedergeschlagen, und Mehmet kehrte wieder nach Hause zurück. In Bursa wartete eine weitere Kraftprobe auf ihn – diesmal ging sie von seiner eigenen Elitetruppe aus, den Janitscharen. »Sie standen bewaffnet zu beiden Seiten der Straße und riefen ihm zu: ›Dies war erste Feldzug unseres Sultans, und dafür sollte er uns die üblichen Zulagen bezahlen.‹«.5 Mehmet sah sich gezwungen, die Forderung zu erfüllen; zehn Säcke mit Münzen wurden unter den Meuterern verteilt, doch für Mehmet war dies eine entscheidende Herausforderung seiner Autorität, die er nicht hinnehmen wollte. Einige Tage später rief er den General der Janitscharen zu sich, tadelte ihn und enthob ihn seines Postens; mehrere Offiziere wurden auf ähnliche Weise bestraft. Dies war die zweite Revolte, die Mehmet erlebte, und er erkannte, dass er sich rückhaltlos auf die Janitscharen verlassen können musste, wenn die Eroberung von Konstantinopel gelingen sollte. Das Regiment wurde entsprechend umstrukturiert; er stockte es um 7000 Männer aus seiner eigenen Leibgarde auf und ernannte einen neuen General.
Zur selben Zeit leiteten Konstantin und seine Berater eine Initiative in die Wege, die