Mehmet hielt sich bis zu Murats Tod im Hintergrund, obwohl er sich weiter als Sultan betrachtete. Er begleitete seinen Vater 1448 in die zweite Schlacht auf dem Amselfeld, wo die Ungarn einen letzten Versuch unternahmen, die Macht der Osmanen zu brechen. Das war Mehmets Feuertaufe. Trotz schwerer Verluste der Osmanen endete auch diese Schlacht mit einem Triumph wie bei Varna und festigte die Legende von der Unbesiegbarkeit der Osmanen. Im Westen begann sich Pessimismus auszubreiten. »Durch ihre Organisation sind die Türken weit voraus«, schrieb Michael der Janitschar. »Wenn du sie verfolgst, fliehen sie; aber wenn sie dich verfolgen, wirst du nicht entkommen… Die Tataren haben die Türken mehrmals besiegt, die Christen dagegen noch nie, insbesondere nicht in offener Feldschlacht, vor allem weil sie zulassen, dass die Türken sie umzingeln und von der Flanke her angreifen.«7
Murat verbrachte seine letzten Lebensjahre in Edirne. Der Sultan hatte anscheinend die Lust an weiteren militärischen Abenteuern verloren und gab der Stabilität des Friedens den Vorzug vor den Ungewissheiten des Krieges. So lange er lebte, erfreute sich Konstantinopel eines unsicheren Friedens; als er im Februar 1451 starb, trauerten Freunde und Feinde gleichermaßen um ihn. »Die Verträge, die er unter heiligem Eid mit den Christen schloss«, schrieb der griechische Chronist Doukas, »hielt er stets ein. Sein Zorn war kurzlebig. Er war dem Kriegführen abgeneigt und vom Frieden angetan, und aus diesem Grunde gewährte ihm der Vater des Friedens einen friedlichen Tod, und er starb nicht unter dem Schwert.«8 Der griechische Chronist hätte sich wohl weniger freundlich geäußert, hätte er gewusst, welchen Rat Murat seinem Nachfolger hinterlassen hatte. Aufgrund der Einmischung von Byzanz in die Auseinandersetzungen der Osmanen in der Zeit nach 1440 war er überzeugt, dass der osmanische Staat nicht sicher sein konnte, so lange Konstantinopel eine christliche Enklave blieb. »Er gab es seinem ruhmreichen Nachfolger als Vermächtnis auf«, schrieb der osmanische Chronist Sa’d-uddin, »die Voraussetzungen für den Heiligen Krieg zu schaffen und diese Stadt einzunehmen, durch deren Eingliederung… er das Wohlergehen des muslimischen Volkes sichern und den verruchten Ungläubigen das Rückgrat brechen konnte.«9
Der Tod eines Sultans war stets ein gefährlicher Augenblick für den osmanischen Staat. Gemäß der Tradition und um eine Revolte des Militärs zu verhindern, wurde die Nachricht zunächst geheimgehalten. Murat hatte noch einen weiteren Sohn, einen kleinen Knaben namens Ahmet, der keine Gefahr für Mehmets Thronfolge darstellte, doch der Prätendent Orhan lebte nach wie vor in Konstantinopel, und Mehmet war nicht sonderlich beliebt beim Volk. Die Meldung vom Tod seines Vaters wurde ihm in einem versiegelten Brief von einem Kurier überbracht. Darin empfahl Halil Mehmet, nicht zu zaudern; sein rasches Erscheinen in Edirne sei unabdingbar, jedes Zögern könnte einen Aufstand provozieren. Der Überlieferung zufolge ließ Mehmet unverzüglich sein Pferd satteln und rief seinem Hofstaat zu: »Wer mich liebt, der folge mir.« In Begleitung der Soldaten seines Haushalts legte er die Strecke nach Gallipoli in zwei Tagen zurück. Als er Edirne erreichte, wurde er von einer großen Gruppe von Beamten, Wesiren, Mullahs, Statthaltern und gewöhnlichen Leuten mit einem Ritual empfangen, das aus jener Zeit stammte, als die Osmanen noch in den asiatischen Steppen lebten. Als sie noch eineinhalb Kilometer von der Stadt entfernt waren, stiegen die Abgesandten, die sie willkommen heißen sollten, von ihren Pferden ab und gingen schweigend auf ihre neuen Herren zu. Nach der Hälfte der Strecke blieben sie stehen und brachen in lautes Wehklagen für den verstorbenen Sultan aus. Auch Mehmet und sein Gefolge stiegen ab und stimmten in die Klage ein. Die winterliche Landschaft hallte wider von Klagegesängen. Die hohen Beamten verneigten sich vor dem neuen Sultan, dann stiegen alle wieder auf ihre Pferde und kehrten zum Palast zurück.
Am nächsten Tag fand die offizielle Vorstellung der Minister statt. Es war eine schwierige Situation, denn die Wesire des alten Sultans erfuhren nun, was mit ihnen geschehen sollte. Mehmet saß auf dem Thron, umgeben von seinen Beratern, denen er vertraute. Halil Pascha saß weiter hinten und beobachtete, was Mehmet tat. Der junge Sultan sagte: »Warum stehen die Wesire meines Vater so weit hinten? Holt sie nach vorne und sagt Halil, er möge seinen üblichen Platz einnehmen.« Halil wurde als Oberster Wesir bestätigt. Diese Entscheidung war typisch für Mehmet: Vorläufig den Status quo aufrechtzuerhalten, während er seine eigenen Pläne schmiedete und auf einen günstigen Zeitpunkt wartete.
Der neue Sultan war 17 Jahre alt, eine Mischung aus Zuversicht und Zaudern, Ehrgeiz und Reserviertheit prägte seinen Charakter. Die vergangenen Jahre hatten deutliche Spuren bei Mehmet hinterlassen. Er war vermutlich schon als kleiner Junge von seiner Mutter getrennt worden und hatte in der Schattenwelt des osmanischen Hofes größtenteils durch Glück überlebt. Schon als junger Mann galt er als sehr verschlossen und argwöhnisch gegenüber anderen: ein selbstbewusster, hochmütiger Mann, der keine menschlichen Regungen zeigte und von brennendem Ehrgeiz beseelt war – eine widersprüchliche und komplizierte Persönlichkeit. Der Mann, der später in der Renaissance als grausames und abartiges Ungeheuer dargestellt werden sollte, war eine Ansammlung von Widersprüchen. Er war schlau, tapfer und impulsiv – er war zu großer Verschlagenheit und tyrannischer Grausamkeit fähig, konnte aber auch unvermittelt sehr freundlich sein. Er war launisch und unberechenbar, ein bisexuell veranlagter Mann, der vor engeren Bindungen zurückschreckte, er verzieh niemals eine Beleidigung, wurde aber wegen seiner tiefen Frömmigkeit respektiert. Seine Hauptcharakterzüge waren bereits ausgebildet: Der spätere Tyrann, der auch ein Gelehrter war; der besessene Militärstratege, der persische Lyrik und Gartenbaukunst liebte; der Fachmann für Logistik und praktische Planungen, der so abergläubisch war, dass er sich bei militärischen Entscheidungen auf seinen Hofastrologen verließ; der islamische Krieger, der großzügig sein konnte gegenüber nichtmuslimischen Untertanen und die Gesellschaft von Ausländern und nichtorthodoxen Denkern des Islam suchte.
Die Handvoll Porträts, die im Laufe seines Lebens entstanden, lieferten wahrscheinlich zum ersten Mal ein authentisches Bild eines osmanischen Sultans. Dabei zeigt sich ein sehr ebenmäßiges Gesicht – ein scharf geschnittenes Profil, eine Adlernase, die übervollen Lippen nach vorne ragt wie »ein Papageienschnabel, der auf Kirschen einpickt«,11 wie es ein osmanischer Poet bildhaft ausdrückte, umrahmt durch einen rötlichen Bart auf einem vorspringenden Kinn. In einer stilisierten Miniatur hält er mit juwelenbesetzten Fingern zart eine Rose an seine Nase. Dies entsprach der herkömmlichen Darstellung eines Sultans als Ästheten, Gartenliebhabers und Verfassers persischer Vierzeiler, doch sie ist verbunden mit einem starren Blick, als schaue er zu einem weit entfernten Punkt, wo die Welt verschwindet. Auf anderen, reiferen Porträts hat Mehmet einen Stiernacken und ist wohlbeleibt, und auf dem berühmten späten Porträt von Bellini, das heute in der Nationalgalerie in London hängt, wirkt er ernst und krank. Alle diese Bilder vermitteln einen Anflug von gelassener Autorität, die natürliche Aura der Macht von »Gottes Schatten auf Erden«, die auf der Gewissheit beruht, dass die Welt in seinen Händen liegt. Doch seine Haltung wirkt zu natürlich, um herablassend zu erscheinen, und sie bringt zugleich eine kühle Melancholie zum Ausdruck, die an die kalten und gefährlichen Jahre seiner Kindheit erinnert.
Diese Porträts decken sich mit einer eindrucksvollen Beschreibung des jungen Mehmet durch den Italiener Giacomo de Languschi:
Der Herrscher, der Große Türke Mehmet Bei, ist ein junger Mann … gut gewachsen, von eher großer als mittlerer Statur, gewandt im Umgang mit Waffen, eher Furcht einflößend denn ehrwürdig, selten lachend, sehr umsichtig, ausgestattet mit Großzügigkeit, beharrlich im Verfolgen seiner Pläne, kühn in all seinen Unternehmungen und ähnlich erpicht auf Ruhm wie Alexander der Mazedonier. Jeden Tag lässt er sich römische und andere Werke vorlesen. Er spricht drei Sprachen, Türkisch, Griechisch und Slawisch. Er ist bemüht, sich die Geographie Italiens anzueignen… wo der Sitz des Papstes liegt und jener des Kaisers, und zu erfahren, wie viele Königreiche es in Europa gibt. Er besitzt eine Landkarte Europas mit allen Ländern und Provinzen. Er lernt nichts mit größerem Interesse und Begeisterung als die Geographie der Welt und militärische Angelegenheiten; er ist erfüllt von dem Verlangen zu herrschen; er prüft sehr geschickt alle Umstände. Mit einem solchen Mann haben wir Christen es zu tun… Heute, so sagt er, haben sich die Zeiten geändert, und er verkündet, dass er vom Osten in das Abendland vorstoßen werde, wie in früheren Zeiten die Menschen des Westens in den Orient gezogen sind. Es dürfe, so verkündet er, nur ein Reich geben, einen Glauben und einen Herrscher der Welt.12
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