Bount ließ kein Wort darüber verlauten, dass er Caan aus dem Verkehr gezogen hatte. Er wollte erst das Frühstück abwarten. Darum kümmerten sich wieder die Taylors.
Mabel hatte sich einigermaßen von dem Schrecken erholt. Ihr war nichts Ernsthaftes passiert, doch das Erlebnis würde sie lange nicht vergessen können.
Strother Lynch schwor, Jim umzubringen, wenn er ihn zwischen die Finger bekam, und Bount hütete sich, ihm den augenblicklichen Aufenthaltsort des Schwarzen zu verraten.
Da keine neue Morddrohung in der Luft hing, maß man der Abwesenheit der beiden Männer wenig Bedeutung bei. Bount beobachtete Lynch, wie dieser an den beiden Autos vorbeistrich. Die Zündschlüssel, die sie auf Anweisung hatten stecken lassen müssen, waren längst verschwunden. Aber Lynch würde vermutlich versuchen, die Zündung kurzzuschließen. Das konnte er sich sparen, falls Doc Caan wirklich der Killer war.
Beim Frühstück langte Reverend Pool kräftig zu. Er war zuversichtlich, dass die Gefangenschaft bald vorüber sein würde.
Gegen Ende der Mahlzeit wurden die Gangster unruhig.
„He!“, rief Munk zum anderen Tisch hinüber. „Hat noch keiner den Brief gefunden, in dem der Plan erläutert wird?“
Allgemeines Kopfschütteln. Bount schwieg.
Er versorgte Caan und Jim mit Verpflegung, ohne dass es die anderen merkten, und erinnerte daran, dass James Stanley endlich beerdigt werden müsse. Die Grube hatte Jim bereits vorbereitet, und auch der Sarg stand bereit. Die Zeremonie war nur kurz. Die Gangster nahmen nicht daran teil.
Der Vormittag verstrich, ohne dass eine neue Anweisung auftauchte. Da stand für Bount fest, dass er sich nicht geirrt hatte. Caan war der Mörder. Ihm war das Handwerk gelegt worden.
Er beriet sich mit dem Reverend, wie sie sich verhalten sollten. Es war denkbar, dass die Gangster mit der Entdeckung ihres unbekannten Bosses keineswegs einverstanden waren. Immerhin kostete sie jeden von ihnen eine glatte Million. Es war für sie keine Schwierigkeit, Caan zu befreien, damit sie den Überfall durchziehen konnten.
Zunächst zeigte sich Pool über die Tatsache erschüttert, dass sich der Arzt als dreifacher Mörder entpuppt hatte. Einen Ausweg wusste er auch nicht.
Palmer machte einen Vorschlag: „Wir könnten behaupten, er sei geflohen, als er sich entdeckt sah. Ich spreche mit den Gefangenen. Wenn sie vernünftig sind, kehren sie freiwillig ins Gefängnis zurück. Ihnen kann man nichts vorwerfen.“
„Und wenn sie nicht einverstanden sind?“, fragte Bount zweifelnd.
„Das lassen wir auf uns zukommen. Auf jeden Fall muss mindestens ein Fahrzeug in unserem Besitz bleiben, damit wir von hier fortkönnen, um die Polizei zu verständigen. Die fängt die Burschen dann schon wieder ein.“
Sie kamen überein, dass Pool das Benzin aus den Tanks ablassen und in Kanister füllen sollte, die er im Schuppen versteckte.
Bount und Palmer gingen ins Haus und brachten den Gangstern die Nachricht, dass der Mann, auf dessen Nachricht sie warteten, geflohen sei. Palmer erklärte den Plan für gescheitert. Er stellte den Verbrechern gewisse Vergünstigungen in Aussicht, wenn sie freiwillig nach Alliance ins Gefängnis zurückkehrten und die beiden Waffen zurückgaben.
Die Männer murrten enttäuscht. Sie hatten sich schon als Millionäre gesehen.
Munk machte sich zu ihrem Sprecher.
„Es ist eine Menge, was Sie da von uns verlangen, Mister Palmer. Wir müssten fast böse auf Sie sein, weil Sie den Kerl haben entkommen lassen. Im Bau passen Sie viel besser auf. Sie werden verstehen, dass wir eine kleine Bedenkzeit brauchen. Mit dieser Enttäuschung müssen wir erst mal fertig werden.“
Das hörte sich vernünftig an. Sie handelten eine Stunde aus. Danach sollte die Entscheidung fallen.
Bount nutzte die Zeit, um in der Umgebung nach weiteren Sprengladungen zu suchen. Das war eine aufwendige Arbeit, denn er musste sehr vorsichtig zu Werke gehen, wollte er nicht einen Ritt durch die Hölle antreten.
Er kam auch nicht sehr weit. Mabel Taylor rief ihm von weitem zu, dass sie ihn unbedingt sprechen müsse. Sie wirkte sehr aufgeregt.
„Es tut mir leid, dass ich nicht früher daran gedacht habe“, sprudelte sie hervor. „Aber gestern war ich so durcheinander. Und dann ist mir auch erst jetzt bewusst geworden, dass es nicht der Reverend gewesen sein kann. Der ist ja wesentlich beleibter.“
So konnte man Pool, der stets der erste am Tisch war, getrost nennen. Was daran allerdings so aufregend war, verstand Bount nicht.
Mabel Taylor berichtete, wie sie gestern versucht hatte, den Geistlichen im Stall zu belauschen, weil er ihr verdächtig erschien. Auf ihrem Beobachtungsposten sei sie dann von Jim überfallen worden.
„Ich habe aber einen Mann im Stall gesehen. Er suchte oder versteckte gerade etwas unterm Stroh. Er war sehr mager, also niemals der Reverend. Und Jim stand ja hinter mir.“
„Ein dritter Mann? Und Sie irren sich bestimmt nicht?“
„Auf keinen Fall, Mister Reiniger.“
Caan oder Lynch konnten es auch nicht gewesen sein. Sie befanden sich um diese Zeit noch gar nicht auf der Ranch. Was hatte das zu bedeuten?
Auf jeden Fall musste Bount Reiniger der Sache nachgehen. Sie war wichtig genug. Womöglich hatte er mit dem Doc doch den falschen Mann unschädlich gemacht. Oder es existierte noch ein Helfer, der Caan jeweils das Alibi lieferte.
Bount ging mit dem Mädchen zum Stall, um sich die Stelle zeigen zu lassen.
Vorher wurden sie von dem Gefängnisdirektor aufgehalten. Palmer sah aus, als hätte er eine Gabel verschluckt. Wortlos streckte er seine Hand aus, in der er einen Zettel hielt.
„Was sagen Sie jetzt, Mister Reiniger?“
Es war eine herbe Überraschung. Der Brief enthielt erste Anweisungen für den morgigen Überfall. Danach sollte der Geldtransport ungefähr fünf Meilen hinter Lance Creek in einen Hinterhalt gelockt werden. Dazu sollte der Gefängniswagen dienen, der ein amtliches Aussehen hatte.
„Natürlich denken die Burschen jetzt nicht mehr daran, ins Gefängnis zurückzugehen“, berichtete Palmer. „Sie sind Feuer und Flamme und behaupten, Sie hätten nur geblufft.“
„Kommen Sie mit!“, forderte ihn Bount auf.
Zu dritt liefen sie ins Haus und eilten die Treppe hoch. Die Tür zu Caans Gefängnis war noch zugesperrt. Bount schloss auf, und der Arzt giftete ihn an, kaum dass er den Raum betrat: „Haben Sie jetzt endlich kapiert, dass Sie sich lächerlich machen? Nehmen Sie mir gefälligst die Handschellen ab!“
„Das werde ich hübsch bleibenlassen. Erst einmal stöbern wir Ihren Komplizen auf.“
Er erzählte Palmer, was er von Mabel Taylor erfahren hatte, und gemeinsam gingen sie zum Stall.
Sicherheitshalber händigte er dem Direktor den Revolver aus, den er dem Doc abgenommen hatte. Er selbst behielt die Pistole von Peter Brass. An die hatte der Killer nicht gedacht.
„Es ist aber nicht nötig, dass die anderen etwas von unseren Waffen erfahren“, mahnte er.
„Ich werde mich hüten. Inzwischen habe ich kapiert, dass der Fall noch längst nicht ausgestanden ist.“
Das Mädchen blieb im Hintergrund, während sich die beiden Männer durch die Stalltür warfen und sofort in Deckung gingen.
Kein Schuss begrüßte sie. Der Stall war leer.
„Was nun?“, fragte Palmer enttäuscht.