Muss ich dir die Wahrheit sagen? Der dramatische Arztroman. Sandy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandy Palmer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Эротическая литература
Год издания: 0
isbn: 9783745212150
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Schlimmste erkannte sie erst, nachdem zwei Männer den Verletzten vorsichtig aus dem Wagen herausgehoben hatten. Das rechte Bein war mehrmals gebrochen. Zu allem Unglück waren es offene Brüche, die stark bluteten.

      Zunächst vermochte sich die junge Ärztin nicht vorzustellen, wie es zu diesen Brüchen gekommen war, doch dann sah sie das Fernsehgerät, das zerstört auf dem Boden des Autos lag. Offenbar hatte es der Fahrer auf dem Nebensitz transportiert. Es war herabgestürzt und hatte ihm das Bein aufgeschlagen.

      Gerade als die junge Ärztin niederknien wollte, um die Blutungen notdürftig zu stillen, hörte sie aus der Ferne die Sirene des Unfallwagens, den wohl einer der Umstehenden vom Hotel aus telefonisch alarmiert hatte.

      Sie richtete sich erleichtert auf. Nun blieb ihr wenigstens die Arbeit erspart, auf der Straße den Verletzten zu verarzten.

      „Sie hier, Frau Dr. Holldorf?“ Einer der Sanitäter sah sie überrascht an.

      „Ich war zufällig in der Nähe“, erklärte Tatjana. „Bitte, beeilen Sie sich. Ich begleite Sie in die Klinik. Der Mann hat einen offenen Beinbruch und schon eine ganze Menge Blut verloren.“

      „Dann los!“, kommandierte der ältere der Sanitäter, und gemeinsam mit seinem jungen Kollegen hob er den Verletzten auf die mitgebrachte Trage und verstaute diese vorsichtig im Wagen.

      Tatjana stieg zu dem Verletzten, der teilnahmslos alles mit sich geschehen ließ. Offenbar hatte er einen Schock erlitten und nahm gar nicht mit vollem Bewusstsein wahr, was im Moment mit ihm geschah. Und vielleicht war es besser so, als wenn er die Schmerzen mit Bewusstsein gespürt hätte.

      Während der Fahrt tastete Tatjana mehrmals nach dem Puls des Mannes, wobei sie zu ihrer Erleichterung feststellen konnte, dass er den Umständen entsprechend gar nicht so schlecht war. Zwar war ein leichtes Flimmern festzustellen, hin und wieder Unregelmäßigkeiten, doch diese waren auf den Schock zurückzuführen. Der Blutverlust hatte sich noch nicht ausgewirkt.

      Tatjana tastete in die Brusttasche des Verletzten, wo Männer gewöhnlich ihre Brieftaschen aufzubewahren pflegten. Und richtig, auch jetzt zog sie eine Brieftasche hervor. Es war ein besonders teures Exemplar aus grauem Krokodilleder, das gewiss sehr kostbar war.

      Doch Tatjana Holldorf hatte für derlei Dinge keinen Sinn. Sie legte keinen Wert auf teure Kleidung, Schmuck und Pelze, sondern bevorzugte sportliche, bequeme Sachen.

      So kümmerte sie sich auch nicht um die Brieftasche selbst, sondern öffnete sie und schaute nach, ob sich eventuell ein Ausweis darin befand.

      Was sie dann sah, überraschte sie doch: Der Patient war kein gewöhnlicher Sterblicher, nein, er war ein echter Graf! Und das beeindruckte die sonst so sachliche Frau Doktor Holldorf nun doch!

      Graf Max von Wietershausen, stand in dem Personalausweis, den sie in der Hand hielt.

      Sinnend betrachtete Tatjana daraufhin den Patienten, der bleich und mit etwas eingefallenem Gesicht vor ihr auf der schmalen Trage des Sanitätswagens lag.

      Er hatte gut geschnittene Züge, einen schmalen, Energie verratenden Mund und ein Kinn, das kräftig und männlich wirkte. Die Nase war ein wenig groß geraten, sie kam Tatjana direkt aristokratisch vor. Der Anzug des Grafen stammte offenbar von einem erstklassigen Schneider, der Stoff aus England. Das Hemd war aus reiner Seide. Sie konnte es trotz der Blutflecken genau erkennen. Die Krawatte war ein Traum aus blau-gelb gestreifter Seide.

      Dies alles nahm Tatjana mit einem einzigen langen Blick wahr, doch dann wandte sie sich wieder dem Patienten Graf Wietershausen zu. Im Grunde war es doch egal, ob er nun ein Adeliger war oder ein einfacher Straßenarbeiter. Für sie hatte nur eines wichtig zu sein: Er war ein Mensch, der ihre ärztliche Hilfe brauchte. Und sie hatte dafür zu sorgen, dass er diese auch in ausreichendem Maße erhielt.

      Als sie durch das kleine rückwärtige Fenster des Krankenwagens hinausblickte, erkannte sie, dass sie ihr Ziel gleich erreicht hatten. Sie waren auf dem Zufahrtsweg zum Krankenhaus.

      In diesem Augenblick knirschten auch schon die Reifen auf dem Kies, der Wagen kam zum Stehen. Bevor sie in den Weg eingebogen waren, der zur Klinik führte, hatte der Sanitäter, der den Wagen steuerte, die Sirene abgestellt, um die Kranken in ihren Betten nicht unnötig zu erregen.

      Jetzt sprangen beide Männer heraus, halfen erst Tatjana beim Aussteigen und hoben dann den Verletzten aus dem Wagen.

      Die Pfortenschwester hatte schon den diensthabenden Arzt verständigt, der sofort in den Ambulanzraum geeilt war.

      Als die Sanitäter mit der Trage jetzt diesen Raum betraten, blickte Dr. Breitner überrascht hoch, als er hinter den Männern Tatjana Holldorf erkannte.

      „Nanu, Frau Kollegin, was führt Sie denn hierher?“, fragte er überrascht. „Sie sind doch heute dienstfrei?“

      „Ich war in der Nähe des Unfallortes“, erklärte Tatjana, „und ich bin mit dem Sanitätswagen gekommen.“

      „Wunderbar“, freute sich Markus Breitner, „dann brauche ich ja nicht allein die ganze Arbeit zu machen.“

      Und während er sprach, gab er sich daran, den Verletzten einer Untersuchung zu unterziehen.

      „Er hat offenbar Frakturen am Unterschenkel, eine am rechten Arm und Rippenbrüche“, sagte Tatjana, während sie schnell ihre Kostümjacke mit einem weißen Kittel vertauschte.

      „Danke, dann kann ich mir diese Arbeit ja schon sparen.“ Er wandte sich an zwei Schwestern, die gerade dabei waren, den Verletzten zu säubern. „Bringen Sie ihn in den Röntgenraum. Hier kann ich nichts für den Mann tun. Erst einmal muss ich ein paar Aufnahmen von seinen Brüchen haben.“

      „Hat die Blutung am Bein aufgehört?“, erkundigte sich Tatjana.

      Dr. Breitner schaute sich das rechte Bein des Mannes an. „Ich glaube, ja“, erklärte er. „Der Notverband, den Sie angelegt haben, hat wohl den Blutstrom gestoppt.“

      „Es ist eine riesige Wunde“, sagte Tatjana. „Sie werden wohl nähen müssen.“

      „Es bleibt mir aber auch nichts erspart!“, seufzte der junge Chirurg. „Ich weiß es auch nicht, aber immer, wenn ich Dienst habe, passieren die kompliziertesten Unfälle.“

      Tatjana lächelte ein wenig. „Das kommt Ihnen nur so vor“, meinte sie. „Man empfindet es wohl so, weil man als diensthabender Arzt an einem Sonntag die ganze Arbeit allein machen muss. Wenn viele Kollegen im Hause sind, verteilt es sich besser, und alles sieht nur noch halb so schlimm aus.“

      „Da könnten Sie recht haben“, gab Markus zu. „Aber nun ist genug geredet. Schwester Liselotte, haben Sie den Verband am Bein abgenommen? – Ja, lassen Sie mich mal sehen“, er blickte kritisch auf die große Wunde, die sich geschlossen hatte. „Sieht nicht gut aus“, meinte er dann. „Sie haben recht, Frau Holldorf, ich muss nähen. Das bedeutet für den Patienten, dass er das Bein nicht eingegipst bekommt, sondern in einer Schale wochenlang ruhig halten muss. Das erfordert viel Geduld.“

      „Es muss nun mal sein.“ Tatjana sah zu, wie die beiden Schwestern den Verletzten hinüber in den Röntgenraum schoben, der direkt neben dem Ambulanzraum war.

      Dr. Breitner machte die benötigten Aufnahmen selbst, da auch die Röntgenassistentin heute frei hatte.

      Die Diagnose der beiden Ärzte bestätigte sich voll und ganz. Gut eineinhalb Stunden beschäftigten sich Tatjana Holldorf und Markus Breitner damit, den Verletzten einzugipsen, die Brüche zu richten und das rechte Bein ruhigzustellen.

      „Puh, das war Schwerarbeit“, stöhnte Markus, als er den Patienten endlich wohlversorgt auf der Station wusste. „Ich hätte nicht gewusst, wie ich ohne Sie fertig geworden wäre, Frau Holldorf. Herzlichen Dank für Ihre Hilfe.“

      „Nichts zu danken. Das war doch selbstverständlich.“ Die Ärztin legte den schmutzigen Kittel ab und griff wieder nach ihrer Kostümjacke. „Ich schaue noch schnell einmal nach dem Patienten, dann bin ich endgültig weg“, sagte sie. „Das Wetter ist zu schön, um es in der Krankenhausluft zu verbringen.