»Du bist pünktlich. Wenigstens das!«
Munroe verkneift sich eine heftige Reaktion auf die anmaßende Art des Libanesen. So was war ja zu erwarten gewesen. Mit einer kurzen Gebärde der rechten Hand beruhigt Munroe den neben dem Türeingang stehengebliebenen Donahue, der ein wütendes Gesicht erkennen lässt.
Mit »Stop it, Jack!«, verstärkt Munroe die Geste, dann entspannt sich die lang aufgeschossene Gestalt neben der Tür wieder und lässt sich locker mit dem Rücken gegen die Wand des Lagerschuppens im Hinterhof des Gemüseladens fallen. Ein Kaugummi verschwindet in seinem Mund.
Es riecht nach leichter Fäulnis und frischen Früchten und nach dem süßlichen Duft orientalischer Zigaretten.
»Du hast eine witzige Sitzgelegenheit, Leutnant Habib!«, sagt Munroe trocken.
Der fahlbraune Mitvierziger sieht zwischen seinen gespreizten Schenkeln hindurch auf die leere Obstkiste, auf der er sitzt. Dann springt er, wie von der Tarantel gestochen, auf, stößt einen arabischen Fluch aus und gibt dem Sperrholzbehälter einen heftigen Fußtritt. Die Kiste fliegt scheppernd und schon in der Luft zersplitternd an die Wand, aber auf den noch unbeschädigten Brettern kann man immer noch lesen: Product of Israel/Haifa.
General Munroe wendet sich dann an den Vertreter des Palästinensischen Generalkommandos, der jetzt an einem Packtisch lehnt. Sie haben keine Zeit für solche Spielereien. Das Spezial Active Service Unit braucht die zwischen dem IRA-Armeerat und dem Generalkommando vereinbarte logistische Unterstützung dringend. Dafür haben sie bezahlt. »Habt ihr die Sachen fertig?«
»Wie abgemacht!«, kommt jetzt auch Leutnant Habib zur Geschäftsgrundlage zurück. Auch er will die Sache schnell abgewickelt wissen. Der Vertrag zwischen den Iren und dem Generalkommando ist zwar auf höchster Ebene geschlossen worden, aber er möchte die Leute so schnell wie möglich hier raushaben. Schließlich dient dieses Depot den Aktionen seiner eigenen Leute, und er möchte nicht wegen ein paar verrückter Iren mit der Neusser Tarnung bei den BKA-Leuten auffliegen, dazu haben sie in nächster Zeit zu viel vor.
Zwischen plötzlich gespitzten Lippen stößt der Mann mit dem kurzen Kraushaar einen scharfen Pfiff aus. Hinter den aufgestapelten Gemüsekisten erscheinen zwei junge Burschen mit stabilen Kisten, die sie vorsichtig zu dem im Hof parkenden Wagen der SASU-Leute tragen. »Ihr hättet aber besser einen Kombi genommen. Ist euer Problem!«
Munroe und Donahue verstauen einen Teil der Kisten im Kofferraum. Der Rest der Ladung findet vor und auf dem Rücksitz Platz. Der lange Ire lässt sich dann noch mehrere Säcke Kartoffeln und ein paar Kohlköpfe geben, mit denen er sorgfältig die sichtbaren Flächen der Kisten abdeckt. Jetzt ist von den Holzbehältern nichts mehr zu sehen.
»Das Gemüse bekommt ihr noch umsonst dazu!«, sagt der Kraushaarige zum Abschied.
Ohne die Miene zu verziehen, antwortet Munroe: »Wir checken den Inhalt und melden danach Vollzug an unsere Leute!«
Langsam fährt der schwerbeladene Wagen nach rechts aus der Ausfahrt heraus. Knapp 200 Meter weiter hält Munroe auf der rechten Straßenseite direkt neben einer gelben Telefonzelle, deren Scheiben von der Regennässe glänzen.
»Bei uns wäre die schon lange hinüber«, bemerkt Donahue mit erstauntem Tonfall.
»Das ist eben der Unterschied zwischen Iren und Deutschen!«
Sean South ist jetzt von seinem Beobachtungsposten herangekommen und versucht fluchend einen Platz neben dem Gemüse zu finden.
»Alles in Ordnung?«
»Ja. Bis auf diese verdammten Kartoffeln hier!«
»Wenn du sonst keine Probleme hast«, kicherte Donahue wenig teilnahmsvoll.
»Shut up, boys! Beobachtet den Verkehr. Das ist ein Einsatz!«, peitscht Munroes Stimme hart in das Geplänkel der beiden hinein.
*
Der blaue Kleinwagen fährt langsam an der Spitze einer langen Fahrzeugschlange durch die grauen Regenschauer des Nachmittags. Gegen 17 Uhr erreicht der Berufsverkehr hier seinen täglichen Höhepunkt. An der Kreuzung neben der großen Tennishalle stoppt die rote Ampel die Fahrerin des blauen Fahrzeuges. Im Vergrößerungsvisier des Helios-Sichtgerätes zeichnen sich die auf das Lenkrad trommelnden Finger der blonden Frau in scharfen Umrissen ab. Das hellere Zielfenster wandert, ohne zu zittern, millimeterweise höher und höher. Über die Brust zum Hals, dann auf einen Punkt zwischen den konzentriert zusammengekniffenen Augen der Fahrerin. Ruhig verharrt der Sichtpunkt für eine Sekunde auf dieser Stelle, dann zieht der Mann am Fenster den Abzugshebel federleicht zurück.
Klick.
Der blaue Wagen fährt langsam wieder an und führt den folgenden Fahrzeugpulk über die Kreuzung in die Ortschaft hinein. Die blonde Frau wird, vorausgesetzt, sie würde nicht noch in einen Verkehrsunfall verwickelt, unbehelligt ihr Ziel erreichen.
Jack Donahue schwenkt das Präzisionsgewehr zufrieden über das verstopfte Autobahnkreuz nach rechts hinweg und legt es dann auf den großen mit Zeitungspapier abgedeckten Esstisch zurück. Dieses SSG 69 hatte an der Spitze seines >Wunschzettels< gestanden. Obwohl die britische Armee normalerweise das SA 80 mit dem SUSAT-Visier einsetzt, bevorzugt der IRA-Scharfschütze Donahue das österreichische Gerät der Firma Steyr-Mannlicher. Auf größere Distanzen übertrifft es das britische Gewehr an Schussgenauigkeit, und auch das Kahles-Helios-Sichtgerät hat Vorteile gegenüber der SUSAT-Visiereinrichtung. Man kann beide Augen offen lassen und ist so vor plötzlichen Überraschungen aus dem seitlichen Sichtfeld relativ sicher.
»BiEfBiEs! Music ... News ... Information. Twenty four hours a day. The radio division of EsEsViCi!«, plärrt singend das Jingle des feindlichen Soldatensenders aus dem Kofferradio in der Operationsbasis des irischen Special Active Service Units. »Keeping you in touch. BiEfBiEs. BiEfBiEs!« Dann das Zeitzeichen und die Stimme: »This is Colin Hamilton with the BBC news from London!«
Die Lieferung der PLO-Freunde ist mittlerweile ausgepackt und gesichtet. Säuberlich liegen die verschiedenen Ausrüstungsgegenstände in Gruppen aufgeteilt auf dem Tisch und auf dem Fußboden. Die Aktionsausrüstung ist damit nahezu komplett.
Drei zusätzliche 9-mm-Browning-Gp-Mk2-Pistolen zu ihrem persönlichen Nahschutz, eine Stativstütze für das SSG 69, ein leichtes Greener Harpunengewehr mit drei Harpunen und sechs Rollen Spezialseil, zehn flache Packungen Semtex-Sprengstoff, Bauteile elektronischer Zündungsmechanismen, drei Sender, zwölf Handgranaten tschechischer Herkunft, Nebeltöpfe. Statt der sonst üblichen britischen Sterling-MP hatten die arabischen Lieferanten zwei Heckler-&-Koch-9mm-Maschinenpistolen geliefert, ein Waffentyp, der Donahue und South genauso vertraut ist und der besser zu bestimmten Teilen ihrer Ausrüstung passt.
Vervollständigt wird die PLO-Lieferung durch dazugehörige Munition, ein sowjetisches NSP-2-Infrarotsichtgerät, zwei Polaroid-Sofortbildkameras, Drahtschneider, Handstrahler, diverse Spezialwerkzeuge, zwei Einsatzuniformen der bundesdeutschen GSG 9 sowie zwei Dienstuniformen der englischen Militärpolizei nebst Armbinden und roten Dienstmützen.
Die noch verbleibenden vier Vorbereitungswochen wird das irische Spezialkommando mit der Feinplanung und Informationsaufbereitung zubringen. Munroe, Donahue und South wissen, dass eine der Hauptgefahren in der dabei möglichen Entdeckung und Enttarnung ihrer entsprechenden Aktivitäten liegen wird. Um dieses zumindest zu erschweren, sind von Belfast aus eine Reihe von Maßnahmen und Aktionen vorbereitet worden.
Um 19 Uhr verlässt Munroe in Begleitung von Sean South die Wohnung im dritten Stock des achtstöckigen Wohnblocks und begibt sich in die Telefonzelle an der Ecke der Straße. Zwar birgt das gewisse Gefahren, aber General Munroe schätzt die Gefahr höher ein, dass ein Gespräch von dem in der Wohnung befindlichen Telefonapparat per Zufall abgehört werden könnte.
Sean South beobachtet aus dem Eingang des mittlerweile geschlossenen DM-Supermarktes die Umgebung. Alles scheint in normaler Feierabendstimmung