„Doch, doch ... vielleicht sogar großes Interesse, allerdings...“
„Ja?“
„Na ja, ’ne Katze im Sack habe ich noch nie gekauft. Ich müsste schon irgendeine Art von Beweis dafür haben, dass Ihr Material überhaupt was wert ist ... Können Sie mir so was liefern?“
Man scheint sich am anderen Ende der Leitung zu beraten, denn selbst durch den abgedeckten Hörer hindurch kann Benedict das Gewirr unterschiedlicher Stimmen vernehmen.
„Hören Sie, Hauptkommissar Benedict aus Düsseldorf, Sie wollen uns doch nicht etwa verarschen? Mein Wort drauf, es ist uns scheißegal, ob Sie Bulle sind oder sonst noch was! Munition haben wir satt!“
„Wie kommen Sie darauf?“, versucht er die aufgeregte Stimme zu beruhigen. „Wir wollen doch ein Geschäft machen, an dem beide Seiten Freude haben, oder? Und wenn Sie echtes Geld von mir wollen, muss ich sicher sein, dass ich von Ihnen auch echte Ware bekomme! Und das hat nichts mit Verarschung zu tun!“
„Also gut! Sie kriegen, was Sie wollen! Aber dann muss der Deal auch sofort über die Bühne gehen, sonst geht das Material an andere Interessenten!“
„Wann? Wie? Wer..."
Die folgenden Stunden hastet der Mann in der Zentral-Kartei durch die auf seinem Schreibtisch gestapelten Akten. Die Zeit im Nacken und immer fürchtend, den einen Namen vielleicht zu überlesen. Eben den Namen, der die Kollegen in Düsseldorf letztlich auf die Spur des Mörders von Raschke, alias Fuchs, führen könnte.
Um 16 Uhr verlässt Benedict mit den Ergebnissen seiner heutigen Nachforschungen die Normannenstraße, hetzt zum Bahnhof Lichtenberg und betritt kurz vor fünf mit eiligen Schritten den Eingang des VP-Heims am Murtzaner Ring. Fast hat er die Tür seines Zimmers erreicht, als ihn die laute Stimme des Objektleiters zum Umkehren zwingt.
„Hier ist gerade ein Päckchen für Sie abgegeben worden, Herr Benedict! Steht drauf ,Sofort zu öffnen!'.“
„Danke!“, ruft er, reißt das kleine Päckchen an sich und verschwindet auf seinem Zimmer, wo er es schwer atmend aufmacht. Ein Walkman. Fast wäre er seinen zitternden Fingern entfallen und auf dem Boden zu Bruch gegangen. Während er sich die beigelegten Kopfhörer aufsetzt, versucht er gleichzeitig aus der Hose zu steigen und in den Waschraum zu gehen. Seine unkoordinierten Bemühungen finden ihr abruptes Ende, als er sich plötzlich strauchelnd auf dem Fußboden wiederfindet. Der Fall gibt ihm dann endlich Gelegenheit, sein Gehirn wieder einzuschalten, und er versucht trotz Zeitnot die Dinge der Reihe nach durchzuführen. Auf der Bettstelle sitzend, betätigt er den Einschalthebel des Walkman. Einige Sekunden lang dringt nur ein etwas lauteres Rauschen aus den Kopfhörern, aber dann scheint der Wahlvorgang abzulaufen, gefolgt von einem Rufton. Nicht der typisch deutsche Rufton, nein, irgendwas ausländisches. Bevor er weiter herumrätseln kann, meldet sich der Teilnehmer am Ende. „Hallo! This is Dixie Lupinsky. Who’s speaking? ... Hallo! It’s Dean! How are you today? ... Hallo, my love! Are you alone? ... Yes ... I love you so much ... I know ... How is everything going? Are you making any progress? ..." Der Telefonmitschnitt dauert nur wenige Sekunden, aber es ist der definitive Beweis für die Echtheit des angebotenen Materials. Und jetzt weiß Benedict auch etwas mehr über diese Amerikanerin namens Dixie, die sich von allen möglichen Geheimdiensten verfolgt fühlt, von Dean Sangers Ermordung überzeugt ist und offensichtlich in Dean Sanger verliebt war ...
Fast hätte er die kleine Nachricht übersehen, die noch in den Resten des zerfetzten Briefumschlages liegt: Der Wert der Lieferung beträgt 50 000 DM. Kein Handel. Wir setzen uns mit Ihnen in Verbindung!
Verdammt, die Zeit! Gut, dass er wenigstens einen seiner dunkleren Armani-Anzüge und die passenden Schuhe dabei hat. Die Krawatte? Vielleicht etwas zu bunt für die Oper, aber was soll’s. Muss gehen. Rasieren? An sich noch nicht nötig, aber ... sicher ist sicher. Und auch wegen des After Shaves. Sie riecht es doch so gerne.
Als er um zehn nach sechs ganz schön verschwitzt und mit einem satten Rasierschnitt über der Oberlippe in seiner Telefonzelle steht, klopft ihm das Herz bis zum Hals, und er hört den Puls in seinen Ohren wummern.
„Mensch, wird aber auch Zeit! Ich will auch mal pünktlich aus dem Laden rauskommen! Also schieß los!“
Benedict rattert mit fast atemloser Stimme die Namen und Geburtsdaten so schnell herunter, dass ihn Kommissar Ganser im Düsseldorfer Präsidium mehrmals unterbrechen muss. Dann ist er endlich durch.
„Dieser irre Typ vom WDR nervt mich hier langsam. Kannst du den nicht endlich mal zurückrufen?“
Auch der noch. Hätte er fast vergessen.
„Hallo, Hallo! Sie haben die heißeste Musiknummer...“
„Hören Sie auf mit dem Schwachsinn! Ich bin’s. Benedict!“
„Ach Sie gibt’s noch? Sie glauben wohl, wir hätten hier sonst nichts Anderes zu tun! Die Schnepfe, die Sie suchen, heißt Dixie Lupinski!“
„Weiß ich auch schon.“
„Na is ja gut. Brauch ich ja nicht weiter ...“
„Reden Sie schon. Was haben Sie über sie rausbekommen?“
„Wo ist eigentlich das Nest mit den komischen Vögeln, die Sie immer ausgraben? Erst dieser abgefuckte Ami-Sänger mit dem Lenin-Orden, und jetzt noch eine hysterische Zimtzicke, die halb Amerika mit ihren irren Geschichten auf den Geist geht! Also, die Schnecke ist völlig verstrahlt, hat den Schuss nicht gehört, capito!“
„Hören Sie, ich hab nicht viel Zeit, mir Ihr Gesülze anzuhören. Haben Sie was über sie oder nicht?“
„Ja, ja. Is’ schon gut. Die is’n Amateur. Keine Professionelle im Business. Hat vor Jahren jeden nur anwählbaren Anrufbeantworter rund um L.A. mit ihrem Sanger-Spezi vollgelabert und den Produzenten absolut unprofessionell gemachte Tapes mit dem Sanger-Gedudel zugeschickt. Der volle Joke für den dust-bin! Dean ... who? Hat sogar versucht, so was wie’n Dean Sanger Fanclub in den USA auf die Rolle zu bringen, aber da war sie wohl das einzige Mitglied. Zur Zeit geht die News, dass die Männer in den weißen Anzügen mit der Zwangsjacke hinter ihr eine Polonaise durch die Staaten veranstalten ...“ Wie es Vitus H. Benedict anschließend gelingt, noch rechtzeitig vor Vera Uschakowa die breite Freitreppe der Staatsoper Unter den Linden zu erreichen, das weiß er selbst nicht, aber als sie aus der Taxe steigt, geht sein Atem wieder normal und sein „Guten Abend!“ klingt formvollendet und höflich.
12
„A kiss is just a kiss, a sigh is just a sigh ..."
Der Pianomann in der Bar des Intercontinental Hotels hatte Benedicts grünen Schein gerne angenommen, um Veras Musikwunsch zu erfüllen. Der Einsatz hat sich gelohnt. Verträumt sieht sie in das Licht der flackernden Kerze, und in ihren Augen schimmert der Perlmuttglanz von Südseemuscheln. Mit ihren für den Abend rot lackierten Fingernägeln klopft sie den Rhythmus der Melodie auf der Zigarettenpackung mit.
Diesmal hat er keinen stinkigen Arbeitsoverall über seinen Sachen, und der Schein der Streichholzflamme, mit der er ihr Feuer gibt, erhellt für einen Augenblick ihre beiden entspannten Gesichter. Mit einer intimen, fast besitzergreifenden Bewegung legt sie ihre Hand auf seine, um die Flamme näher zu führen. Ihre Berührung durchfährt ihn wie ein Glutstrahl, und am liebsten