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„HERR WOLF“, SAGTE Professor Oberweg, „ich kann Ihnen zur Auflösung Ihres Verlöbnisses nur gratulieren. Dieser Herr Peschke ist so ungefähr das Letzte. Natürlich sitzen wir knietief in dem Püree.“
„Nein.“
Dr. Wolfs Gesicht wurde hart wie gemeißelt.
„Nein, denn es war Nötigung, was er von Ihnen verlangte. Nur, ich weiß nicht, ob ich es fertigbringe, ihn darauf festzunageln.“
„Wegen Ihrer ehemaligen Braut?“
Dr. Wolf nickte und sah zum Fenster hinaus.
„Ja, ihretwegen. Immerhin habe ich sie sehr gerngehabt ... auch jetzt noch. Nur hätte sie sich so nie verhalten dürfen.“
Der alte Herr nickte.
„Das ehrt Sie, Herr Wolf. Nun, ich bin froh, dass Sie so sind, wie Sie sind. Bleiben Sie so. Sind die beiden Kollegen aus Stuttgart schon da?“
„Nein.“
Professor Oberweg lächelte väterlich.
„Kümmern Sie sich etwas um die beiden, das wird Sie beschäftigen und diese miese Sache vergessen lassen. Übrigens war ich eben auf der Visite bei der jungen Frau ... wie heißt sie gleich?“
„Hartwig.“
„Ja, bei ihr, Sie macht sich, und ich denke, wir können sie dann in zwei Tagen in die Wochenstation verlegen.“
„Sollte man sie nicht lassen, wo sie ist?“, fragte Dr. Wolf.
„Betten, mein lieber Herr Wolf, Betten!“
Dr. Wolf nickte. Natürlich, die Unfallstation war überfüllt.
Er wollte gehen, aber da rief ihn der Professor zurück.
„Da fällt mir noch etwas ein, Herr Wolf: Mich hat eben der Amtsarzt angerufen. Da war gestern dieser Praktiker Werner bei ihm. Es ist da eine alte Sache um einen jungen Burschen, der hier einmal behandelt wurde. Warten Sie mal...“
Er suchte auf seinem Schreibtisch nach der Notiz, fand sie und las vor:
„Fritz Gerloff ... ich habe die Krankengeschichte schon heraussuchen lassen und brauche nur noch den OP-Bericht. Aber den bekomme ich auch gleich. Können Sie sich entsinnen?“
„Im Augenblick nicht. Wie lange ist das her?“
„Ein Jahr. Pelvisfraktur mit Komplikationen und dann diese Suffokation während der Operation. Ich muss das erst mal in Ruhe lesen, was im OP-Bericht stand.“
„Ich entsinne mich. Es war ein junger Kerl, so etwa siebzehn. Radunfall. Hmm, jetzt ist es wieder da. Wir haben sofort operiert, weil er sagte, er habe zuletzt am Morgen gegessen, und es war, soviel ich weiß, kurz vor Mittag, als er auf dem Tisch lag. Dann ist es während der Frakturversorgung zu einer Suffocatio gekommen. Aber auf die Operation hatte das keinen Einfluss, was uns anging. Doch der Patient begann zu würgen und zu husten, so dass die Bauchmuskulatur schädliche Bewegung für die Pelvis war. Soviel ich weiß, haben Sie die Geschichte auch verfolgt. Herr Professor.“
„Ja, stimmt ja!“
Der alte Herr nahm die Goldrandbrille ab und wischte sich mit dem Zeigefinger über die Augen. Seine Hände waren wie die einer Frau so schmal und zierlich. Aber es waren, so dachte Dr. Wolf jetzt, die Hände eines genialen Operateurs.
„Wissen Sie, Herr Wolf, der Amtsarzt hält das ja auch alles nur für Blabla. Bestimmt steckt wieder Peschke dahinter. Also der Junge hat ein Revers unterschrieben, auf dem er behauptet, er habe Ihnen vor der Operation gesagt, dass er kurz zuvor gegessen hätte.“
„Davon abgesehen, dass dies eine Lüge ist, würde er heute nicht besser dastehen. Wie Sie aus der Krankengeschichte ersehen, hatte er noch eine Ostitis, und das ist auch der eigentliche Grund der Fehlbildungen. Knochenentzündung ist nun mal keine Kleinigkeit.“
„Ja, ja, Herr Wolf, das regeln wir schon. Machen Sie sich keine Sorgen.“
Das Telefon summte, und der Professor nahm ab. Er meldete sich, machte dann plötzlich ein erstauntes Gesicht und sagte nur:
„Ja, ich komme selbst.“
Dann legte er auf.
„Herr Peschke hat das Verwaltungsdirektorium einberufen und meine Anwesenheit dort erbeten. Ich glaube, Herr Wolf, der Bursche wird jetzt bissig.“
„Es tut mir leid, dass Sie meinetwegen ...“
„Papperlapapp!“, lachte der Professor. „Bevor ich in die klassische Chirurgie ging, war ich als junger Mann vier Jahre bei Professor Sülz in der Zahnchirurgie. Dort habe ich zumindest gelernt, einen anständigen Backenzahn auszureißen. Und das werde ich gleich mal wieder versuchen bei Peschke. Bis nachher, Herr Wolf, und denken Sie an unsere Neuankömmlinge.“
Er lächelte noch, als er ging.
Dr. Wolf begab sich nach unten ins Labor. Er hatte dort noch einige Untersuchungen zu begutachten, musste noch Röntgenaufnahmen ansehen und war gerade mitten in seiner Arbeit, als ihn eine Laborantin ans Telefon rief.
Dr. Wolf verschlug es fast die Sprache, aber es war Inge.
„Gert“, sagte sie, „ich muss dich dringend sprechen. Ich bin frei. Paps hat eine Kaution hinterlegt. Kann ich dich irgendwo treffen?“
„Jetzt?“
„Ja, es ist sehr dringend.“
„Aber ich kann doch nicht weg.“
„Bitte, wenn nur noch ein Fünkchen Liebe in dir zu mir übrig ist, dann such einen Vertreter und komm. Bitte, komm sofort!“
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ALWIN PESCHKE THRONTE wie ein Buddha am Kopfende des langen Tisches des Konferenzraumes. Rechts und links saßen die acht anderen Verwaltungsräte, überwiegend einflussreiche Kaufleute oder Politiker der Stadt. Der zehnte Mann im Reigen des Verwaltungsrates war der kaufmännische Direktor der Klinik, ein stiller und bescheidener Mann.
Als Professor Oberweg eintrat, spürte er sofort, dass hier schon seitens Herrn Peschkes Stimmung gemacht worden war.
Die Begrüßung fiel ziemlich kühl aus. Der Professor aber wartete nicht, bis Peschke oder ein anderer das Wort ergriffen hatte, sondern sagte knapp:
„Wenn dies hier eine Konferenz ist, kann ich nicht daran teilnehmen. Dazu gehört eine entsprechende Ankündigungsfrist, und ich muss wissen, worum es geht. Außerdem ist meine Zeit sehr in Anspruch genommen. Sie können mir jetzt nur mitteilen, was Sie auf einer noch zu vereinbarenden Konferenz mit mir besprechen wollen. Selbstredend werde ich dazu meine Herren ebenso heranziehen. Nun, was also wünschen Sie bitte?“
Bis auf Peschke waren wohl alle der Ansicht, dass es wirklich nicht anging, den Chefarzt der Chirurgie zu überrumpeln. Doch Peschke sah das alles ganz anders.
„Herr Professor“, tönte es vom anderen Tischende, „wir sind hier keine kleinen Jungen, die Sie springen lassen können, wie Sie das wollen. Ich will Ihnen auch die Zeit nicht stehlen. Nur so viel: Wir haben vor Ihrem Kommen abgestimmt. Ihr Vertrag mit der Klinik ist zum Jahresende abgelaufen. Wir werden ihn nicht erneuern. Das ist das Resultat unserer Abstimmung. Gründe nennen wir Ihnen auch: Erstens