Als er aus seinem Wagen stieg, lockerte er sich die Krawatte und rieb sich den Hals.
Als er meinen verwunderten Blick bemerkte, lächelte er mild. „Ich glaube, ich werde mich niemals an diese Dinger gewöhnen!“
„Meinen Sie Krawatten?“
„Wer sie erfunden hat, hat es nicht gut mit denen gemeint, die sie sich bis heute umbinden müssen! Normalerweise trage ich in St. Petersburg so etwas nie. Eher einen Rollkragenpullover!“
„Ist vielleicht eine Frage der Konventionen“, warf Rudi ein.
Marenkov nickte. „Hier in Berlin gibt es Restaurants, in die man ohne Krawatte gar nicht hineinkommt!“
„In St. Petersburg gibt es so etwas nicht?“, wunderte sich Rudi.
Marenkov grinste. „Inzwischen schon. Früher wäre das eine bourgeoise Verirrung gewesen.“
„Das nennt man dann wohl Globalisierung“, sagte Rudi.
Wir ließen uns vom Lift in den 12. Stock tragen, wo die Adresse lag, die uns angegeben worden war.
An der Wohnungstür standen zwei Namen: Nora Coldewey und Johanna Steinmann.
Eine junge Frau in Pullover und Jeans öffnete uns.
„Harry Kubinke, BKA. Wir suchen Frau Nora Coldewey.“
„Die ist nicht da.“
„Dann sind Sie Johanna Steinmann?“
„Ja, aber was wollen Sie?“
„Vielleicht können wir einen Moment hereinkommen.“
Johanna Steinmann seufzte und wirkte sichtlich genervt. „Wenn es sein muss...“
„Leider ja“, sagte Rudi.
Sie führte uns in die Wohnung. „Wo befindet sich Nora Coldewey sich jetzt?“, fragte ich. „Wir haben Anlass zu der Annahme, dass sie sich in Lebensgefahr befindet.“
Johanna schluckte. „Ich habe keine Ahnung. Wir wohnen nur zusammen, aber ansonsten macht jede ihr eigenes Ding.“
„Was machen Sie beruflich?“
„Ich arbeiten in der Filiale einer Bank hier um die Ecke.“
„Und Nora Coldewey?“
„Sie hat mal diesen und jenen Job. Hören Sie, was werfen Sie ihr eigentlich vor?“
„Gar nichts. Aber sie ist vermutlich eine wichtige Zeugin. Sagt ihnen der Name Bykow etwas?“
„Das ist der Typ, mit dem sie zuletzt zusammen war. Ein viel älterer Mann, Marke seriös und bieder. Sie hat praktisch bei ihm gewohnt und sich aushalten lassen. Ich kann so etwas nicht verstehen.“
„Dieser Bykow ist verschwunden, hat wahrscheinlich jemanden umgebracht und seine eigenen Tod vorgetäuscht“, erklärte ich. „Er scheint eine große Nummer in der internationalen Kunstmafia zu sein und versucht wohl gerade unterzutauchen, weil ihn seine ehemaligen Geschäftsfreunde zu töten versuchen. Und wenn Ihre Freundin damit auch nur ganz am Rande etwas zu tun haben sollte, sollten Sie uns das sagen, dann erhöhen Sie ihre Chance, sowohl juristisch als auch körperlich einigermaßen unversehrt aus der Sache herauszukommen.“
Joanne atmete tief durch. Rudi warf einen Blick in eines der Zimmer. Die Tür stand halb offen.
„Ist das Noras Zimmer?“, fragte er.
„Ja“, murmelte Johanna. Sie rieb die Handflächen gegeneinander und schien mit sich zu ringen. Sie hatte wohl das Gefühl, eine Freundin zu denunzieren, wenn sie uns half.
Es dauerte etwas, bis sie begriff, dass sie ihr höchstens damit half.
„Es ist schon seltsam“, murmelte sie.
„Wovon sprechen Sie?“
„Nora war für kurze Zeit Sekretärin in einer Anwaltskanzlei. Dadurch hat sie Bykow kennengelernt.“
„Was war das für eine Kanzlei?“
„Irgend so ein Nobelunternehmen. Hatte viel mit Kunst zu tun.“
„Heißt dieser Anwalt zufällig Maximilian Gallesco?“
Sie blickte auf. „Ja, woher wissen Sie das?“
„Reden Sie einfach weiter!“, forderte ich. Sie nickte und biss sich dabei auf die Lippen. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie fortfuhr. Auf jeden Fall würde uns Gallesco noch ein paar Fragen beantworten müssen, denn seine geschäftliche Beziehung zu Bykow war offenbar viel enger, als er das uns gegenüber dargestellt hatte. Außerdem musste Gallesco uns auch noch erklären, was er mit dem Zwergen-Cäsar zu tun hatte. Bislang hatten wir Gallesco nicht erreichen können. Aber es wurde Zeit, dass sich das änderte.
„Wie ich schon erwähnte, ist Nora bei Bykow eingezogen und der hat sie mit alle möglichen Geschenken verwöhnt. Aber vor ein paar Wochen war Schluss. Sie hat nicht darüber gesprochen, weshalb. Sie wohnte dann wieder ständig hier. Aus dem Mietvertrag ist sie ja sicherheitshalber nie ausgestiegen. Seltsam ist nur, dass sie seit ein paar Tagen wieder dauernd unterwegs ist und mir nichts darüber sagt, wo sie hingeht. Außerdem tut sie seltsame Dinge. Sie besorgt Männerkleidung, sie verhandelt am Telefon über den Kauf eines Geländewagens gegen Barzahlung und noch ein paar andere Sachen. Das hat für mich alles keinen Sinn ergeben, aber wo sie mir jetzt erzählen, dass Herr Bykow unterzutauchen versucht, sieht es fast so aus, als würde sie ihm dabei helfen.“
„Hat sie ein Handy?“
„Ja.“
„Dann werden wir versuchen das von unserem Präsidium aus anpeilen zu lassen“, sagte ich. „Geben Sie uns bitte die Nummer!“
Sie nickte stumm.
34
Als wir zum Parkplatz gingen, meinte Marenkov: „Scheint so, als hätten Sie diesen Bykow bislang etwas unterschätzt!“
„Sie nicht?“, fragte ich.
Marenkov zuckte mit den Schultern. „Sie wissen doch, wie das ist. Polizeibehörden erfahren alles mögliche, aber beweisen lässt sich nicht alles, was man erfährt.“
„Das stimmt leider.“
Wir stiegen in unsere Wagen und fuhren los.
Die Kollegen des Innendienstes unseres Präsidium konnten das Handy von Nora Coldewey sehr schnell orten.
Es war glücklicherweise eingeschaltet und befand sich in der Nähe eines Sees in Mecklenburg-Vorpommern.
Es gab dort Wochenendhäuser, die man mieten konnte. Ansonsten war das Gebiet kaum besiedelt. Eine Naherholungsoase vor den Toren Berlins.
Wir machten uns auf den Weg.
Kriminaldirektor Bock alarmierte die Kollegen der ortsansässigen Polizei, die das Gebiet weiträumig absperren sollten. Bykow stand jetzt offiziell unter dem Verdacht, ein Kapitalverbrechen begangen zu haben, auch wenn uns kurioserweise die Leiche fehlte.
Wir waren schon unterwegs, als der Kontakt plötzlich abbrach.
Das Handy von Nora Coldewey ließ nicht mehr anpeilen.
Die Ursache dafür konnte natürlich ganz harmlos sein.
Kriminaldirektor Bock bat die zuständigen Polizeidienststelle vor Ort, ein paar zusätzliche Einsatzkräfte zur letzten angepeilten Position zu schicken.
Zwanzig Minuten später hatten die Kollegen diese, bis auf wenige Meter exakt bestimmbare Position erreicht.
Sie befand sich in der Nähe eines kleinen Holzhauses am Seeufer mit eigenem Bootssteg, das Tage- und Wochenweise vermietet wurde. Aber es gab dort auf den ersten Blick weder eine Spur von Nora Coldewey noch von Bykow. Nur Spuren von Reifen, die zu einem Geländewagen