„Einer von Bykows Wagen fehlt“, stellte er fest. „Es ist der Chevrolet. Er hat die dazugehörige Chipkarte genau um 4.30 Uhr heute Morgen benutzt.“
„Könnte man feststellen, ob sich Bykow wirklich in seinem Wagen befand?“, fragte Rudi.
„Sicher. Dauert aber ein bisschen.“
„Macht nichts“, sagte ich. „Das könnte uns eventuell weiterbringen. Und vielleicht stellen Sie dann auch gleich mal fest, wann Kai-Uwe Thränhart zuletzt im Gebäude gewesen ist.“
„In Ordnung“, nickte der Wachmann, an dessen Uniformhemd der Name >Werner E. Schmidtlein< in Großbuchstaben aufgebügelt war.
Es dauerte eine Weile, bis Schmidtlein die richtigen Stellen in den Aufzeichnungen herausgesucht hatte. Es war auf dem Bildschirm deutlich zu sehen, wie Kai-Uwe Thränhart am Vortag gegen Mittag mit seinem Wagen in die Tiefgarage gefahren war. Erst nach Mitternacht hatte er sie wieder verlassen.
„Wahrscheinlich war da diese Privatvorführung für irgendwelche erlesenen Kunden zu Ende“, meinte Rudi.
Anschließend zeigte uns Schmidtlein die Szenen, in denen man sehen konnte, wie Bykows Audi am Morgen um 4.30 Uhr die Tiefgarage verließ.
„Können Sie die den Fahrer näher heranzoomen?“, fragte ich.
„Sicher“, nickte Schmidtlein.
Er vergrößerte den Bildausschnitt, der den Mann hinter dem Steuer des Audis zeigte. Aber mehr als ein gepixelter Schatten war dort nicht zu sehen.
„Wer sollte das denn sonst sein – außer Bykow?“, fragte Reekers.
Ich zuckte mit den Schultern. „Wir sind uns nicht sicher, ob Bykow zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch am Leben war. Den Wagen könnte auch sein Mörder benutzt haben.“
Wir ließen uns noch den Blick auf Bykows Parklatz zeigen.
Allerdings versperrten ein Pfeiler sowie ein paar andere Fahrzeuge den Blick. So war auch nicht zu sehen, wer den Wagen bestiegen hatte und ob der Betreffende vielleicht noch eine Leiche im Kofferraum verstaute.
„Noch eine letzte Frage“, wandte ich mich an Reekers. „Vor zwei Monaten soll eine gewisse Nora bei Bykow eingezogen sein. Hatte sie zufälligerweise auch eine Chip Card für die Tiefgarage?“
Reekers schüttelte den Kopf. „Nein. Sie ist bei uns nicht bekannt. Bykow war Eigentümer seiner Wohnung. Der konnte dort wohnen lassen, wen er wollte.“
„Offenbar hatte die Lady keine eigenen Wagen“, kommentierte Rudi.
10
„Wenn du mich fragst, dann passt das alles überhaupt nicht zusammen“, meinte Rudi, während wir mit dem Lift zurück in die Galerie im Erdgeschoss fuhren. „Bykow fährt mit seinem eigenen Wagen am frühen Morgen aus der Tiefgarage, obwohl er in seiner Wohnung ermordet wurde?“
„Wir wissen nicht, wer am Steuer des Audis saß“, erinnerte ich Rudi.
„Gut, gehen wir davon aus, dass es der Mörder war, der am Steuer saß. Er veranlasst Bykow, ihm die Tür aufzumachen...“
„Das heißt, er muss Bykow bekannt gewesen sein, Rudi!“
„Nicht unbedingt. Eine Automatik mit Schalldämpfer könnte auch ein überzeugendes Argument gewesen sein! Und sag jetzt nicht, dass er um seines Gastes willen die Alarmanlage ausgeschaltet hat! Die hat er einfach nur vergessen, weil am Vorabend doch eine dieser mysteriösen Präsentationen gewesen ist, deren Gäste so lichtscheu sind, dass sie nicht von einer Überwachungskamera aufgezeichnet werden wollen.“
„Wie auch immer. Es kommt zum Streit, vielleicht auch zum Kampf“, sagte ich. „Der Schuss in der Galerie ist eine Tatsache. Bykow bekommt eine Kugel ab, und der Killer durchsucht das ganze Haus nach belastendem Material! Aber ein unbekannter Profi hätte Bykow schon an der Tür erschossen. Also muss es doch ein Bekannter gewesen sein.“
„Okay, ich gebe zu, dass sie offenbar noch eine ganze Weile miteinander geredet haben, Harry. Vielleicht wollte der Killer zuerst noch Informationen aus Bykow herausholen.“
Ich atmete tief durch „Vielleicht sollten wir das ganze mal umgekehrt durchdenken, Rudi.“
„Wie meinst du das?“
„Na, wir gehen doch bis jetzt immer davon aus, dass Bykow das Opfer war. Wie funktioniert das denn, wenn er der Täter ist?“
„Komm schon, das ist nicht dein Ernst, Harry!“
„Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf die Blutanalyse.“
Als wir in der Galerie ankamen, war Meinhart Dommacher bereits vom Café Kaputt zurückgekehrt.
Bykow hatte dort tatsächlich jeden Morgen sein Frühstück eingenommen, wie Dommacher uns berichtete. In der Zeit vor seiner letzten Reise nach Russland war dabei oft eine junge Frau zugegen gewesen. „Bykow wurde gestern zum letzten Mal im Café Kaputt gesehen“, berichtete Dommacher. „Und zwar zusammen mit einem Mann, der ein ziemlich auffälliges Äußeres hatte: kaum 1,60 groß, fast kein Hals, breites Gesicht und grauer Cäsar-Schnitt. Er trug einen blauen Blazer und sprach mit sehr hartem, ausländischem Akzent.“
„Ein Russe?“, fragte Rudi.
„Möglich. Die Leute in dem Café waren sich leider nicht sicher. Tatsache ist, dass das Arbeitsfrühstück der beiden mit einem lautstarken Krach endete! Bykow blieb allein zurück.“
„Wir müssen unbedingt mit dem Zwergen-Cäsar sprechen!“, stellte ich klar.
Dommacher nickte. „Deswegen habe ich auch bereits in Ihrem Präsidium angerufen. Sie verfügen da über einen exzellenten Zeichner...“
„Prewitt!“, schloss ich.
„Genau. Er begibt sich mit seinem Laptop zum Café Kaputt und fertigt aus den Angaben der Angestellten ein Phantombild. Vielleicht finden wir ihn dann.“ Dommacher blickte auf die Uhr. „Sie beide waren ja eine Weile weg und da habe ich die Zeit genutzt, um den Kerl zu überprüfen, den Bykow in der Galerie angestellt hatte.“
Ich hob die Augenbrauen.
„Kai-Uwe Thränhart?“
Er nickte. „Genau. Über den Kerl gibt es eine Datei, die man über unser Datenverbundsystem einsehen kann. Mehrere Verurteilungen wegen Hehlerei stehen auf seinem Kerbholz.“
„Das ist interessant.“
„Noch interessanter ist, worum es dabei ging, Harry. Sie werden es nicht glauben: Er hatte sich auf illegale Kunstgegenstände spezialisiert. Allerdings war er damals noch auf Kunst aus Südostasien versessen.“
„Vielleicht liefen Bykows Verbindungen zur Kunstmafia über diesen Thränhart“, vermutete ich.
Dommachers Gedanken schienen sich in dieselbe Richtung zu bewegen. „Das liegt meiner Ansicht nach nahe.“
11
Wir befragten noch systematisch die anderen Bewohner des Hauses. Die meisten waren um diese Zeit zur Arbeit und so würden wir wahrscheinlich noch einmal zurückkommen müssen.
Ein Siebzigjähriger, der seine Wohnung im fünften Stock hatte, beschwerte sich darüber, dass gegen vier Uhr dreißig morgens ein Transporter mit laufendem Motor vor der Galerie gestanden hatte.
„Ich habe einen leichten Schlaf und war deswegen ziemlich sauer“, meinte der Zeuge.
Er hieß Thomas Grünberg und war ein ehemaliger Börsenmakler, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Allerdings verfolgte er die aktuellen Kurse immer noch rund um die Uhr online und spekulierte wohl auch in gewissem Rahmen mit seinen Ersparnissen. Zumindest verfolgte er auf drei